1. Das Ziel der Sozialisierung
Die vom Sozialismus geforderte „Sozialisierung“ bedeutet eine neue Regelung der Produktion mit dem Ziel der Ersetzung kapitalistischer Privatwirtschaft durch sozialistische Gemeinwirtschaft. Ihre erste Phase besteht in der Vergesellschaftung der Produktionsmittel und der dadurch bewirkten Emanzipation der Arbeit, ihre zweite besteht in der Vergesellschaftung der Arbeit.
2. Was ist Produktion?
Die Aufgabe der Sozialisierung bezieht sich auf die Produktion. „Produktion“ bedeutet aber in diesem Zusammenhang nicht den technischen Prozess der Erzeugung von Sachgütern, die Beziehung zwischen Mensch und (natürlich gegebenem oder künstlich hergestelltem) Material. Vielmehr bedeutet „Produktion“ hier lediglich die mit jeder technischen Produktion verbundenen gesellschaftlichen Beziehungen zwischen mehreren Menschen, somit die „gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse“. Gegenstand der Neuregelung durch „Sozialisierung“ ist die Produktion als Inbegriff gesellschaftlicher Verhältnisse. „In der Produktion beziehen sich die Menschen nicht allein auf die Natur, sondern auch auf einander. Sie produzieren nur, indem sie auf eine bestimmte Weise zusammenwirken und ihre Tätigkeiten gegeneinander austauschen. Um zu produzieren, treten sie in bestimmte Beziehungen und Verhältnisse zueinander, und nur innerhalb dieser gesellschaftlichen Beziehungen und Verhältnisse findet ihre Beziehung zur Natur, findet die Produktion statt.“ Die Struktur der vom Sozialismus bekämpften kapitalistischen Privatwirtschaft wird dadurch bestimmt, dass in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung der gesellschaftliche Vorgang der Produktion wesentlich als private Angelegenheit einzelner Personen angesehen wird. Die Sozialisierung bezweckt demgegenüber die Herbeiführung einer sozialistischen Gemeinwirtschaft, d. h. einer Wirtschaftsordnung, welche den gesellschaftlichen Vorgang der Produktion als eine öffentliche Angelegenheit der produzierenden und konsumierenden Gesamtheit betrachtet.
3. Was sind Produktionsmittel?
Der erste Schritt zur Sozialisierung ist die Beseitigung des kapitalistischen Privateigentums an den zur Produktion gebrauchten „Produktionsmitteln“ und seine Ersetzung durch gesellschaftliches Eigentum. „Produktionsmittel“ sind alle diejenigen körperlichen Gegenstände oder Sachgüter, die für den Zweck der Produktion verwendet werden. Dazu gehören nach dem Erfurter Programm insbesondere: „Grund und Boden, Gruben und Bergwerke, Rohstoffe, Werkzeuge, Maschinen, Verkehrsmittel“. Nicht die innere Beschaffenheit eines Gegenstandes, sondern seine Verwendung für den Zweck der Produktion macht ich nzum Produktionsmittel. Es können also, allgemein gesprochen, „Produktionsmittel“ sein die gesamte Erde in ihrer ursprünglich gegebenen Gestalt und Beschaffenheit (Natur) und alle an der Erdoberfläche, sowie unter und über ihr durch bewusste menschliche Tätigkeit hervorgebrachten Veränderungen (Anlagen). Für den Zweck der Produktion verwendet wird ein Gegenstand dadurch, dass durch seinen Gebrauch eine produktive Leistung hervorgebracht wird. Die produktive Leistung kann bestehen in Darbietungen oder Dienstleistungen, die ein gegenwärtiges Bedürfnis unmittelbar befriedigen sollen, z. B. die Leistungen des konzertierenden Virtuosen, des Droschenkutschers oder des Personals eines Eisenbahnzuges. In der Regel aber besteht die produktive Leistung in der Hervorbringung von Sachgütern, die als Mittel zur Befriedigung künftiger Bedürfnisse dienen sollen (Konsumtionsmittel). „Produktionsmittel“ sind im ersteren Falle die zu der Darbietung oder Dienstleistung gebrauchten Gegenstände (der Flügel, die Droschke, die Lokomotive), im zweiten die zur Hervorbringung der Konsumtionsgüter verwendeten Gegenstände (Rohstoffe, Maschinen usw.). Jede produktive Leistung dient, unmittelbar oder mittelbar, dem Konsum. Diejenige menschliche Tätigkeit, welche durch Gebrauch von Produktionsmitteln eine produktive Leistung irgendeiner Art hervorbringt, heißt Arbeit. Arbeit ist also selbst kein einzelnes Produktionsmittel neben anderen Arten von Produktionsmitteln, sondern die allgemeine und notwendige Bedingung jedes produktiven Gebrauchs der Produktionsmittel, also jeder Produktion überhaupt. Wie unter 2 ausgeführt, erfolgt die Produktion, der Gebrauch der Produktionsmittel zur Hervorbringung produktiver Leistungen, auf der heutigen Stufe der ökonomischen Entwicklung nicht durch einzelne, ihren eigenen Bedarf durch eigene Arbeit selbständig befriedigende Personen, vielmehr durch das arbeitsteilige Zusammenwirken mehrerer, die durch gemeinsame Arbeit eine gemeinsame produktive Leistung hervorbringen. Die zu solcher gemeinschaftlicher Produktion gebrauchten sachlichen Produktionsmittel sind aber unter kapitalistischer Wirtschaftsordnung nicht das gemeinsame Eigentum der produzierenden und konsumierenden Gemeinschaft, sondern das Privateigentum einzelner an der produktiven Arbeit teilnehmender oder nicht teilnehmender Personen.
4. Was ist Kapital?
Das Privateigentum an Produktionsmitteln wird zum Kapital durch den Hinzutritt der Lohnarbeit. In einer Gesellschaft, in der die zur Produktion nötigen Produktionsmittel im Privateigentum des einen Teils der Gesellschaft stehen, während der andere Teil der Gesellschaft von dem Eigentum an Produktionsmitteln ausgeschlossen ist, und nur über seine Arbeitskraft verfügen kann, erlangt der Eigentümer der Produktionsmittel (Kapitalist) die Macht zur Beherrschung des gesellschaftlichen Produktionsvorganges und zur Aneignung seines gesamten Ertrages, abzüglich desjenigen Betrages, mit welchem er die zur Produktion benötigten Arbeitskräfte kauft, d. h. die eigentumslosen Produzenten (proletarische Lohnarbeiter) zu der ihnen im Produktionsprozesse obliegenden Arbeitsleistung bestimmt. Die Arbeitskraft, vor dem Abschluss des „Arbeitsvertrages“, ein eigentumsähnliches privates Recht ihres natürlichen Trägers, wird durch den Arbeitsvertrag Privateigentum eines anderen. Sie gehört während des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst nicht ihrem natürlichen Träger, sondern dem Eigentümer der zur Produktion gebrauchten Produktionsmittel (dem Kapitalisten). „Das Eigentum in seiner heutigen Gestalt bewegt sich in dem Gegensatz zwischen Kapital und Lohnarbeit.“ „Kapital“ in diesem Sinne des Wortes, als Recht auf die private Beherrschung und Nutzung (Exploitation) der gesellschaftlichen Produktion, kann in einer Gesellschaft, in welcher die Produktion unter Verwendung eigentumsloser Lohnarbeiter vor sich geht, jedes Privateigentum an Produktionsmitteln sein, einerlei, um was für Produktionsmittel es sich handelt. „Kapital“ ist die Bezeichnung bestimmter gesellschaftlicher Produktionsverhältnisse, nicht die Bezeichnung bestimmter materieller Arten von Produktionsmitteln. Es können also „Kapital“ nicht nur die in der bürgerlichen Nationalökonomie häufig allein mit diesem Namen bezeichneten und dem ursprünglich gegebenen „Grund und Boden“ entgegengesetzten Erzeugnisse früher geleisteter Arbeit („produzierte Produktionsmittel“, „Anlagen“) sein, sondern auch der Grund und Boden (die „Natur“) selbst; das eine wie das andere „Produktionsmittel“ wird zum Kapital dann, wenn es die im Privateigentum stehende sachliche Grundlage einer auf unfreier Lohnarbeit beruhenden Produktion bildet. Bezeichnen wir das Einkommen, welches der kapitalistische Eigentümer von Produktionsmitteln aus der mit seinen Produktionsmitteln stattfin- denden gesellschaftlichen Produktion ohne eigene Arbeit bezieht, als seine Rente, so gehört zu dieser Rente jedes arbeitslose Einkommen des Kapitalisten, auch die sogenannte „Bodenrente“. Kapitalist ist somit nicht nur der Besitzer des auf dem Grund und Boden errichteten Produktionsbetriebes, der daraus die „Kapitalrente“ im engeren Sinne bezieht, sondern auch der Privateigentümer des Bodens, auf dem der Produktionsbetrieb steht, als derjenige, welcher einen Teil des Ertrages der Produktion unter dem Namen der „Grundrente“ an sich zieht. „Grundrente“ und „Kapitalrente im engeren Sinn“ sind, als gesellschaftliches Produktionsverhältnis, gleichermaßen „Kapitalrente“.
5. Die kapitalistische Gesellschaftsordnung
Wird in einer Gesellschaft das gesellschaftliche Produktionsverhältnis der „Lohnarbeiter“ zur allgemeinen Grundlage der gesellschaftlichen der gesellschaftlichen Produktion, so wird damit jedes in ihr bestehende Privateigentum an Produktionsmitteln zum Kapital. Die gesamten Mitglieder einer derartigen Gesellschaftsordnung zerfallen in zwei Klassen: die die Produktion ausbeutenden und beherrschenden Kapitalisten einerseits, die ausgebeuteten proletarischen Lohnsklaven andererseits. Zur Kapitalistenklasse gehören nicht nur die unmittelbaren Leiter und Nutznießer der gesellschaftlichen Produktion, vielmehr allgemein jeder, der an der Beherrschung und dem Ertrage der gesellschaftlichen Produktion unmittelbar oder mittelbar irgendeinen Anteil hat, der nicht die Belohnung, einer von ihm selbst im Produktionsprozess geleisteten produktiven Arbeit darstellt. Einerlei ist, ob er daneben noch ein teilweise auf eigener produktiver Arbeit beruhendes Einkommen (den sogenannten „Unternehmergewinn“) bezieht, welches er auch beziehen könnte, ohne Privateigentümer der Produktionsmittel (Bezieher von Grundrente und sonstiger Kapitalrente) zu sein. Während es für die frühere Entwicklungsstufe der „kapitalistischen“ Gesellschaftsordnung das Normale war, dass eine einzelne Person zugleich Leiter und Nutznießer der gesellschaftlichen Produktion war, verteilen sich diese Funktionen heute normalerweise auf mehrere Personen oder Personengruppen, die alle an der Beherrschung und dem Ertrage der Produktion mehr oder weniger unmittelbar beteiligt sind. So lernten wir schon oben den Fall kennen, dass der kapitalistische Grundeigentümer sich mit dem kapitalistischen Betriebseigentümer in die Ausbeutung der in dem Betrieb stattfindenden Produktion teilt. Zwei andere typische Fälle einer solchen Zerspaltung der kapitalistischen Funktion sind erstens der Fall, dass die eigentlichen Eigentümer die Produktion nicht selbst leiten, sondern zu ihrem Nutzen durch einen anderen leiten lassen, z. B. als Aktionäre durch den geschäftsführenden Vorstand der Aktiengesellschaft. Noch verbreiteter ist der andere hierhergehörige Fall: dass ein Produktionsbetrieb mit Kredit arbeitet. Auch an einem derartigen Betrieb sind als „Kapitalisten“ mehrere Personen beteiligt, nämlich erstens der sogenannte und juristische „Eigentümer“ des Betriebes, daneben aber zweitens auch die Kreditgeber. Beide zusammen teilen sich in die Beherrschung und Nutzung (Exploitation) der betreffenden Produktion. Die Ersetzung des Privateigentums an Produktionsmitteln durch gesellschaftliches Eigentum, die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, ist gleichbedeutend mit der Befreiung der Arbeit von der kapitalistischen Fremdherrschaft und Ausbeutung, der sie in der kapitalistischen Wirtschaft während des Produktionsprozesses untersteht. Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel ist also gleichbedeutend mit der Beseitigung des die heutige kapitalistische Wirtschaftsordnung beherrschenden Gegensatzes von Kapital und Lohnarbeit und der aus diesem Gegensatz entspringenden sozialen Klasseneinteilung, der Klassenherrschaft und des Klassenkampfes.
6. Wirtschaftliche und politische Macht, privates und öffentliches Recht
Die Forderung der Vergesellschaftung der Produktionsmittel und der Befreiung der produktiven Arbeit ist die Forderung der Umwandlung einer historisch entstandenen Erscheinungsform des gesellschaftlichen Produktionsverhältnisses „Eigentum“ in eine andere, erst entstehende Erscheinungsform. Das kapitalistische Privateigentum, wie es in dem Gegensatz von Kapital und Lohnarbeit in Erscheinung tritt, ist nicht eine ewig gültige, sondern nur eine zeitlich gültig gewesene Form der gesellschaftlichen Produktion. Die Macht des kapitalistischen Privateigentümers zur Beherrschung der gesellschaftlichen Produktion und zur Aneignung ihres Ertrages erscheint als eine wirtschaftlich begründete Macht, im Gegensatz zu den politisch begründeten Machtverhältnissen (den Herrschafts- und Steuerrechten des Staates gegenüber den einzelnen Staatsbürgern). Beide Arten von Macht sind aber, wie unter Nr. 2 gezeigt, gleichermaßen gesellschaftliche Verhältnisse von Mensch zu Mensch, in ihrer Entstehung wie in ihrem Fortbestande abhängig von den sie duldenden und stützenden Anschauungen der Gesellschaft, besonders von den sie anerkennenden und ihre Anerkennung nötigenfalls erzwingenden Rechtsätzen des Staates. „Der Eigentümer einer Sache kann (…) mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.“ Diese Gleichheit zwischen wirtschaftlicher und politischer Macht wird verschleiert durch die unserm gegenwärtigen, unter dem Zeichen des kapitalistischen Privateigentums stehenden Rechtssystem eigentümliche Einteilung des gesamten Rechts in Privatrecht und öffentliches Recht. „Publicum ius est, quod ad statum rei Romane spectat, privatum, quod ad singulorum utilitatem.“ (Öffentliches Recht ist, was auf das Wohl der gesamten staatlichen Gemeinschaft gerichtet ist, Privatrecht, was dem Nutzen des einzelnen dient.) Die Behandlung der zwischenmenschlichen Beziehungen des Wirtschaftslebens als privates Recht konnte niemals und nirgends restlos durchgeführt werden, weil dadurch Staat und Gesellschaft auseinandergefallen wären. Stets und überall war das Recht des Eigentümers der Produktionsmittel, „mit seiner Sache nach Belieben zu verfahren“, eingeschränkt durch öffentlichrechtliche, im Interesse der Allgemeinheit erlassene Gebote und Verbote; und ebenso war die aus dem formell „freien“ Eigentums- und Verfügungsrecht des Arbeiters über seine Arbeitskraft entspringende materielle Unfreiheit des eigentumslosen Lohnarbeiters während des gesellschaftlichen Produktionsprozesses tatsächlich überall gemildert durch zwingende Einschränkungen der Vertragsfreiheit und durch öffentlich-rechtlichen Arbeiterschutz in irgendeiner Form.
7. Sozialisierung und Sozialpolitik
Aus den bisherigen Darlegungen scheint zu folgen, dass es grundsätzlich zwei verschiedene Wege zur „Vergesellschaftung der Produktionsmittel“, zur Beseitigung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln gebe: Man könne vergesellschaften, indem man Produktionsmittel dem Machtbereich des einzelnen Kapitalisten entzieht (Enteignung) und dem Machtbereich öffentlicher Funktionäre unterstellt (Verstaatlichung, Kommunalisierung und andere, noch zu behandelnde Formen). Und man könne vergesellschaften, indem man ohne Enteignung der Eigentümer den Inhalt des Privateigentums an Produktionsmitteln innerlich umwandelt, indem man die nach bisheriger, privatrechtlicher Auffassung zum Privatvermögen der kapitalistischen Eigentümer gehörende Produktion fortschreitend als öffentlich-rechtliche Angelegenheit behandelt, deren Regelung nicht mehr dem privatrechtlichen Eigentümer kraft eigenen, privaten Rechtes allein zusteht, sondern daneben auch bestimmten, öffentlichrechtlichen Organen: den fachlich und territorial gegliederten Verbänden der Arbeiter, der Unternehmer, und der vereinigten Arbeiter und Unternehmer (Arbeitsgemeinschaften, Ar- beitskammern). Der Hauptvertreter dieser zweiten Form von „Sozialisierung“ ist heute Eduard Bernstein. Nach ihm ist „die Hauptsache bei der Vergesellschaftung, dass wir die Produktion, das Wirtschaftsleben unter die Kontrolle der Allgemeinheit stellen“. Die Sozialisierung kann nach ihm auch so vor sich gehen, dass „die Allgemeinheit durch Gesetze und durch Verordnungen immer stärker in die Kontrolle des Wirtschaftslebens eingreift“, und er vertritt heute wie vor 20 Jahren den Satz, dass „in einem guten Fabrikgesetz mehr Sozialismus stecken kann, als in einer Verstaatlichung von etlichen hundert Unternehmungen und Betrieben“. Diese Bernsteinsche Ansicht besteht in der Formulierung, wie sie hier auftritt, in der gänzlichen Gleichsetzung von „Sozialpolitik“ und „Sozialisierung“. Durch allmähliche, sozialpolitische Einschränkung der Befugnisse des Privateigentümers soll das Privateigentum in stetiger Entwicklung in öffentliches Eigentum umgewandelt werden. In Wahrheit kann aber die Sozialpolitik, die ihrem Begriff nach das Privateigentum des Kapitalisten voraussetzt, und lediglich den Konflikt zwischen den eigenen Rechten des Kapitalisten und den Ansprüchen der Allgemeinheit schlichten will, ohne Sprung und radikale Wendung niemals in eine wahrhafte Sozialisierung (Vergesellschaftung) übergehen. Das auch für eine wahrhafte Sozialisierung bedeutsame Element, welches der Bernsteinsche Gedanken neben der Anerkennung der kapitalistischen Denkweise gleichwohl enthält, wird weiter unten zur Geltung gebracht. Einstweilen halten wir fest: keine Vergesellschaftung von Produktionsmitteln ohne die, auf einmal oder schrittweise vollzogene, gänzliche Ausschaltung des Privateigentümers aus dem gesellschaftlichen Produktionsprozess!
8. Sozialisierung und Eigentumsteilung. „Halbe Maßregeln“
Aus dieser negativen Bedingung jeder echten Vergesellschaftung ergibt sich zunächst folgendes: Keine „Vergesellschaftung von Produktionsmitteln“, sondern ein bloßer Wechsel der Privateigentümer vollzieht sich in allen den Vorgängen, welche nur eine Aufteilung von Privateigentum unter mehrere Berechtigte darstellen. Dazu gehört auch der Übergang des Eigentums von einer Einzelperson auf eine sogenannte „juristische Person“ des Privatrechts, z.B. die Überführung einer im Einzeleigentum stehenden Unternehmung in das Gesamteigentum einer Aktiengesellschaft. Derartige Vorgänge sind so wenig Sozialisierung, wie die von einigen schlecht unterrichteten Gegnern des Sozialismus bisweilen als „Sozialisierung“ angesprochenen einfachen Teilungsprojekte, z.B. die Aufteilung des Großgrundbesitzes in kleine Siedlungen zahlreicher Eigentümer. Derartige Dinge bleiben in der Folge unberücksichtigt. Desgleichen ergibt sich aus der Forderung der gänzlichen Ausschaltung des Privateigentümers aus dem Produktionsprozesse das Ungenügende aller jener Maßregeln, welche auf eine Gewaltenteilung und Ertragsteilung zwischen dem nichtarbeitenden Eigentümer und dem nichtbesitzenden Arbeiter andererseits hinauslaufen. Hierher gehört: 1. der Vorschlag Kautskys [6], zwar „den Grund und Boden, soweit er in großen Betrieben bewirtschaftet wird, ohne weiteres zu verstaatlichen“, dabei aber „die auf ihm oder in ihm befindlichen Betriebe“ als „Privatbetriebe“, die ihren Grund und Boden vom Staate gepachtet haben, weiter wirtschaften zu lassen. – Hierher gehören ferner 2. alle die seit hundert Jahren von wohlwollenden Kapitalisten immer wieder mit oder ohne Erfolg lancierten Projekte der „Gewinnbeteiligung“, der Auszahlung eines Teils des Gesamtertrages des Betriebes an seine Lohnarbeiter, 3. die neuerdings vielfach unter dem falschen Namen der „industriellen Demokratie“ empfohlene Beteiligung der von den Betriebsangehörigen für den einzelnen Betrieb gewählten Arbeiter- und Angestelltenvertretungen (Arbeiterausschüssen, Betriebsräten, Angestelltenausschüssen) an der grundsätzlich weiter dem kapitalistischen Eigentümer belassenen Beherrschung und Verwaltung der Betriebe. Alle diese „halben Maßregeln“ können, genau wie der oben Nr. 7 erörterte Bernsteinsche Plan, vom Sozialismus im besten Falle als Abschlagszahlungen angesehen werden. Im weniger günstigem Falle sind sie – dies gilt besonders für die meisten Projekte der sogenannte „Gewinnbeteiligung“ – dem wahren Interesse der zu ihrer Emanzipation aufsteigenden Arbeiterklasse geradezu entgegengesetzt.
9. Die Aufgabe der Sozialisierung
Durch die Forderung „gänzliche Ausschaltung der Privateigentümer aus der Produktion“ ist zwar die Unterscheidung zwischen bloßer „Sozialpolitik“ und echter „Sozialisierung“ (oben Nr. 7) gesichert und die Sozialisierung auch vor einer Verwechslung mit einfacher Privateigentumsverteilung und allerhand „halben Maßregeln“ geschützt (oben Nr. 8 ), darüber hinaus aber die Aufgabe der Sozialisierung ihrem Inhalte nach noch in keiner Weise näher bestimmt. Auch nach der gänzlichen Ausschaltung der kapitalistischen Privateigentümer können ein und dieselben Produktionsmittel zu ein und derselben Zeit nur von einer bestimmten Anzahl von produzierenden Arbeiter zur Produktion gebraucht werden – wie auch jedes Konsumtionsmittel im Augenblick, wo es seine Bestimmung erfüllt, nur von einer bestimmten Zahl von Menschen verzehrt oder sonst verbraucht werden kann. An diesem Tatbestand kann und will die vom Sozialismus geforderte „Vergesellschaftung der Produktionsmittel“ nichts ändern. Auch in der sozialistischen Gemeinwirtschaft bedarf es einer Entscheidung der Frage, welche Personen die vorhandenen Produktionsmittel zur Produktion gebrauchen dürfen und sollen, unter welchen Arbeitsbedingungen die Produktion vor sich gehen soll, und in welcher Weise die Ergebnisse der Produktion unter die Gesamtheit der Produzenten und Konsumenten verteilt werden sollen. Auch in der sozialistischen Gemeinwirtschaft gibt es also eine Regelung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse, eine Eigentumsordnung. Die Festsetzung dieser Ordnung ist die Aufgabe der Sozialisierung. Je nachdem wie ein durchgeführter Sozialisierungsplan diese Aufgabe löst, je nach der Entscheidung, die er über die oben gestellten Fragen trifft, schafft er ein mehr oder weniger vollkommenes Gemeineigentum einer wirklichen Gemeinwirtschaft, oder er beseitigt zwar das Privateigentum, aber nur, um irgendeine Form von Sondereigentum an seine Stelle zu setzen.
10. Der Interessengegensatz der Produzenten und Konsumenten
Die größte Gefahr, dass bei Ausführungen eines Sozialisierungsplanes die Aufgabe der Schaffung wahren Gemeineigentums dennoch verfehlt wird, entsteht daraus, dass auch nach Ausschaltung des kapitalistischen Privateigentums aus der Produktion sich im Wirtschaftsleben einer menschlichen Gemeinschaft zweierlei Interessen gegenüberstehen: das Interesse der produzierenden Arbeiter jedes einzelnen Produktionszweiges einerseits, das Interesse der Gesamtheit der übrigen Produzenten und Konsumenten andererseits. Kürzer ausgedrückt: der Widerstreit der Interessen der Produzenten und Konsumenten. Sobald bei der Regelung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse das Interesse der Konsumenten oder der Produzenten bevorzugt wird, wird anstelle einer wahren „Vergesellschaftung“ der Produktionsmittel durch die angebliche „Sozialisierung“ für den bisherigen Privatkapitalismus nur ein neuer Kapitalismus eingetauscht, welcher je nachdem als ein Konsumenten-Kapitalismus (Staats-, Gemeinde-, Konsumvereins-Kapitalismus) oder als ein Produzentenkapitalismus zu bezeichnen ist. Nur bei der Vermeidung beider Gefahren, bei gleichmäßiger, gerechter Berücksichtigung der Interessen der Produzenten wie der Konsumenten entsteht durch die Sozialisierung kein Sondereigentum eines Standes, sondern wahren Gemeineigentum. Diejenigen Formen der Sozialisierung, welche die Gefahr eines Konsumentenkapitalismus nahe rücken, sind die Sozialisierung durch Verstaatlichung, durch Kommunalisierung und durch Angliederung von Produktionsbetrieben an Konsumgenossenschaften. Dagegen entsteht die Gefahr des Produzentenkapitalismus bei einem Versuch der Sozialisierung in der Richtung der produktivgenossenschaftlichen Bewegung und des modernen Syndikalismus („Die Bergwerke den Bergleuten“, „Die Eisenbahnen den Eisenbahnern“, usw.). Das Ziel der Sozialisierung im Geiste des Sozialismus ist aber weder Konsumentenkapitalismus noch Produzentenkapitalismus, sondern wahres Gemeineigentum für die Gesamtheit der Produzenten und Konsumenten.
11. Die Ansprüche der Produzenten und der Konsumenten an der Regelung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse
Die Einteilung der an die Regelung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse von seiten der Produzenten und von seiten der Konsumenten erhobenen Ansprüche ergibt sich aus der Zerlegung des durch die Sozialisierung abzuschaffenden kapitalistischen Privateigentums in seine einzelnen Befugnisse. In dem „Privateigentum an Produktionsmitteln“ der heutigen kapitalistischen Wirtschaftsordnung steckt, wie gezeigt, zweierlei: a) ein Recht auf das gesamte Erträgnis der mit und an diesen Produktionsmitteln vollzogenen Produktion, abzüglich aller Aufwendungen für Rohstoffe, Löhne, Steuern usw. (nach Marx ein usurpiertes Recht des Kapitalisten auf den durch die unfreie Arbeit der Lohnarbeiter fortwährend erzeugten „Mehrwert“), b) ein Recht zur Herrschaft über den Produktionsprozess, eingeschränkt durch das allgemeine öffentliche Recht, besonders die sogenannte Sozialgesetzgebung. Dem gegenüber bedeutet die Forderung „Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln“, „Vergesellschaftung der Produktionsmittel“, vom Standpunkt des produzierenden Arbeiters aus erhoben, ebenfalls zweierlei: a) ein Recht auf den Ertrag der Arbeit für den Arbeiter, b) eine der Bedeutung der Arbeit für den Produktionsprozess entsprechende Teilnahme der Arbeiter an der Herrschaft über den Produktionsprozess. Dieselbe Forderung aber, vom Standpunkt der Konsumenten aus erhoben, bedeutet: a) eine Aufteilung des Ertrages der gesamten gesellschaftlichen Produktion unter die Gesamtheit der Konsumenten, b) eine Überleitung der Herrschaftsrechte des kapitalistischen Privateigentümers auf die Organe dieser Gesamtheit.
12. Die beiden Grundformen der Sozialisierung
Unter diesen Gesichtspunkten scheint sich eine verschiedene Stellung der Produzenten und Konsumenten zu den verschiedenen in Frage kommenden Formen der „Sozialisierung“ zu ergeben. Die eine Gruppe dieser Formen, der erste Typus der Sozialisierung, gewährt den produzierenden Arbeitern nur indirekt, den Konsumenten dagegen direkt eine Erfüllung ihrer Ansprüche. Die andere Gruppe dieser Formen, der zweite Typus der Sozialisierung, stellt umgekehrt vom Standpunkt der produzierenden Arbeiter aus gesehen eine direkte, dagegen vom Standpunkt der konsumierenden Gesamtheit aus gesehen nur eine indirekte Vergesellschaftung dar. a) Vom Standpunkt der produzierenden Arbeiter indirekt, vom Standpunkt der Gesamtheit der Konsumenten direkt, ist die Sozialisierung als Verstaatlichung oder Kommunalisierung von Betrieben sowie als Angliederung von Produktionsbetrieben an Konsumgenossenschaften. In allen diesen drei Fällen erlangt der produzierende Arbeiter dadurch, dass der kapitalistische Privateigentümer durch die Funktionäre des Staats, der Gemeinde, des Konsumvereins ersetzt wird, unmittelbar keinerlei Mitherrschaft und Mitnutzrecht an der Produktion, sondern bleibt nach wie vor Lohnarbeiter. Wenn und soweit es hierbei sein Bewenden hat, würde durch die angebliche Sozialisierung in Wahrheit kein Gemeineigentum der Gesamtheit, vielmehr ein Sondereigentum des Konsumentenstandes geschaffen. Der Privatkapitalismus wäre durch einen Konsumentenkapitalismus ersetzt. Dies gilt, wie für die beiden anderen genannten Formen, besonders auch für die Form der Verstaatlichung. Es ergibt sich hieraus das wahre Verhältnis der beiden häufig als gleichbedeutend gebrauchten Ausdrücke: Sozialisierung und Verstaatlichung. Wir haben schon oben gesehen: nicht jede Sozialisierung vollzieht sich in der Form der Verstaatlichung. Und wir sahen jetzt: die bloße Verstaatlichung kann für sich allein als sozialistische Vergesellschaftung (Sozialisierung) nicht anerkannt werden. b) Die vom Standpunkt der produzierenden Arbeiter direkte, vom Standpunkt der Gesamtheit der Konsumenten indirekte Sozialisierung besteht in dem Übergang des Eigentums an sämtlichen Produktionsmitteln eines Betriebes (Industriezweigsbeteiligten). Durch diesen Vorgang erlangen die arbeitenden Produktionsbeteiligten die volle Herrschaft über den gesamten Produktionsprozess und über seine Erträge. Hierdurch allein aber kann selbstverständlich ebensowenig wahren Gemeineigentum geschaffen werden, wie durch die unter a) erörterte Sozialisierungsform. Vielmehr würde hier der Kapitalismus des privaten Kapitalisten nur durch einen Produzenten-Kapitalismus, ein Sondereigentum bestimmter Gruppen von Produzenten ersetzt.
13. Die Ergänzungsbedürftigkeit beider Grundformen der Sozialisierung
Der gemeinsame Grundzug der beiden verschiedenen Typen von „Sozialisierung“ ist folgender: Ausgeschaltet wird durch die Sozialisierung des einen wie des anderen Typus immer der private Kapitalist, welcher bisher a) den Arbeitern gegenüber die Interessen der Konsumenten, b) den Konsumenten gegenüber die Interessen der Arbeiter als Produzenten zu vertreten vorgab, in Wahrheit sich selbst eine gesellschaftliche Macht und ein arbeitsloses Eigentum aus dem Ertrage der gesellschaftlichen Produktion unter Schmälerung der Anteile sowohl der arbeitenden Betriebsbeteiligten als auch der konsumierenden Gesamtheit sicherte. Durch den Wegfall dieses überflüssigen Zwischengliedes aber kommt der notwendige und natürliche Interessengegensatz zwischen Produzenten und Konsumenten, Arbeitern und Genießern, erst recht zur Geltung. Dieser Gegensatz der Interessen muss bei jeder dieser Formen der „Sozialisierung“ ausgeglichen werden, wenn anders dadurch Gemeineigentum, und nicht bloß Sondereigentum eines Standes, geschaffen werden soll. Dieser Ausgleich gestaltet sich verschieden bei den verstaatlichten, kommunalisierten, an Konsumvereine angegliederten Betrieben einerseits, bei den produktivgenossenschaftlich und syndikalistisch sozialisierten Betrieben andererseits. Das Endergebnis aber muss in beiden Fällen, wenn wahre Vergesellschaftung entstehen soll, das gleiche sein. a) So ist es mit Bezug auf die Verteilung des Produktionsertrages. Offenbar handelt es sich bei den beiden anscheinend so verschiedenen Fragen, wieviel von dem Gesamtertrag eines von den arbeitenden Betriebsbeteiligten produktivgenossenschaftlich oder syndikalistisch übernommenen Betriebes (Industriezweigs) die Produktionsbeteiligten an Staat, Kommune, sonstige Organe der Gesamtheit abzugeben haben, und wie hoch die Löhne in einem Staats-, Kommunal-, oder konsumgenossenschaftlichen Produktionsbetriebe sein sollen, in Wahrheit um die überall gleich notwendige Lösung des einen Problems: welche Quote des Gesamtertrages soll den Produzenten als solchen, welche Quote soll der Gesamtheit zufallen? b) Und ebenso ist es auch mit Bezug auf die Verteilung der Herrschaft über den Produktionsprozess. Die Beherrschung der gesellschaftlichen Produktion setzt sich aus einer Reihe verschiedener Bestimmungen zusammen. Dazu gehört 1. die Bestimmung darüber, was und wieviel produziert werden soll. Dazu gehört ferner 2. die Entscheidung über die Art und Weise, in der sich die Produktion abspielen soll, d.h. die Auswahl des Materials und der Arbeitsprozesse und der menschlichen Werkzeuge. Endlich gehört dazu 3. noch die Festsetzung der Bedingungen, unter denen diese menschlichen Werkzeuge beschäftigt werden sollen (Temperatur, Atmosphäre, sanitäre Anordnungen, Dauer und Intensität der Arbeit, Löhne und anderes mehr). Alle diese Bestimmungen werden in rein kapitalistischer Privatwirtschaft von dem Privateigentümer der Produktionsmittel „nach seinem Belieben“ getroffen. Nur indirekt, durch politischen Kampf und durch den eigentlichen Arbeitskampf, also durch Erwirkung von gesetzlichen Bestimmungen und von kollektiven Arbeitsverträgen (Tarifverträgen), konnte die Arbeiterschaft bisher auf den Inhalt der Arbeitsbedingungen (oben 3.) und vielleicht auch noch auf die Auswahl der Arbeitsprozesse (oben 2.), soweit diese die Arbeitsbedingungen beeinflussen, eine gewisse Einwirkung ausüben. Außerhalb des Betriebes, als Staatsbürger und als Mitglied der Gewerkschaft, stand der Arbeiter dem Unternehmer gleichberechtigt gegenüber; im Betrieb war dieser Herr und der Arbeiter Sklave. Erst mit dem Hilfsdienstgesetz von 1916 [6] begann dann jene, jetzt seit der Novemberrevolution in schnellerem Tempo fortgeschrittene Entwicklung, welche auch innerhalb der einzelnen Betriebe gewählte Arbeitervertretungen („Arbeiterausschüsse“, „Betriebsräte“) mit öffentlich-rechtlich gesicherten Mitbestimmungsrechten ins Leben rief. Offensichtlich dürfte eine „Sozialisierung“ mit dem Ziele der Herstellung wahren Gemeineigentums die mannigfaltigen Befugnisse, welche in rein kapitalistischer Privatwirtschaft eine Privatperson ausübt, weder sämtlich auf die von der Gesamtheit der Konsumenten (Staat, Gemeinde usw.) bestellten öffentlichen Funktionäre übertragen – die an der Produktion in erster Linie beteiligten Arbeiter blieben als solche unfrei -, noch dürfte sie alle diese Bestimmungsrechte den produzierenden Arbeitern eines Betriebes (eines Industriezweigs) allein einräumen, soll nicht die Gesamtheit der Konsumenten der Arbeiterschaft des einzelnen Betriebes (des einzelnen Produktionszweigs) auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert werden. Wie aber diese Grenze zwischen den Rechten der Produzenten und der Gesamtheit der Konsumenten auch gezogen werden möge, soviel ist sicher, dass sie bei den beiden grundsätzlich verschiedenen Formen der Sozialisierung im Ergebnis gleichmäßig gezogen werden muss, soll anders ein gerechter Ausgleich der gegensätzlichen Interessen und dadurch eine wahre Vergesellschaftung der Produktionsmittel zustande gebracht werden.
14. Ihre Ergänzungsfähigkeit
Wenn es möglich ist, mit beiden Grundformen der Sozialisierung (Verstaatlichung, Kommunalisierung usw. einerseits, Produktivgenossenschaft, Syndikalismus andererseits) durch entsprechenden Ausgleich der widerstreitenden Interessen gleichermaßen zu der Herstellung wahren Gemeineigentums für die Gesamtheit der Produzenten und Konsumenten an allen vorhandenen Produktionsmitteln zu gelangen, so sind damit diese Grundformen beide als geeignete Ausgangspunkte zu sozialistischer Gemeinwirtschaft nachgewiesen, und es können ohne Versündigung gegen die sozialistische Idee beide Wege nebeneinander beschritten werden. a) Im besonderen ergibt sich daraus, dass alle Einwendungen, welche von den eingeschworenen Anhängern der „Verstaatlichung“ gegen die produktivgenossenschaftliche (und syndikalistische) Sozialisierungsform erhoben zu werden pflegen, auf irrtümlichen Voraussetzungen beruhen. Niemand denkt daran, den Ertrag, welcher in einem Betrieb unter Benutzung der im Obereigentum der Gesamtheit stehenden Produktionsmittel gewonnen wird, restlos unter die arbeitenden Betriebsbeteiligten aufzuteilen. Vielmehr ist selbstverständlich von diesem Ertrage ein Anteil allgemeineren Zwecken zuzuführen. Und während über die absolute Größe dieses Anteils eine rechnerische Bestimmung nicht getroffen werden kann, lässt sich über seine relative Größe sagen, dass der an allgemeinere Zwecke abzugebende Anteil des Gesamtertrages eines Betriebes (eines Industriezweigs) desto größer sein könnte, je größer in dem Betriebe (in dem Industriezweig) der Gesamtwert (Boden- und Anlagenwert) der zur Produktion ge- brauchten Produktionsmittel im Verhältnis zur Zahl der beschäftigten Arbeiter ist. Dadurch wird vermieden, dass die Arbeiter eines einzelnen Betriebes (Industriezweigs) ihrerseits Kapitalisten, Ausbeuter fremder Arbeit durch Bezug von Boden- und Kapitalrente werden. b) Und ebenso ist umgekehrt dargetan, dass bei richtiger Anwendung der Verstaatlichung (Kommunalisierung usw.) jene Einwendungen unbegründet sind, welche von unversöhnlichen Gegnern des Systems der Lohnarbeit gerade gegen diesen Typus der Sozialisierung geltend gemacht werden. Lohnarbeit ist nicht an sich, sondern nur als ein Element des Gegensatzes „Kapital und Lohnarbeit“ mit sozialistischer Gemeinwirtschaft unverträglich, da, wo Kapitalismus, Sondereigentum an Produktionsmitteln besteht und die von solchem Eigentum ausgeschlossenen Lohnarbeiter ausbeuten kann. Wo kein Sondereigentum, keine kapitalistische Ausbeutung mehr besteht, ist die Lohnzahlung nur noch eine technische Form der Verteilung des auf die Produzenten entfallenden Produktionsertrags unter die Produktionsteilnehmer. Es ist nur ein technischer Unterschied, ob in einem produktivgenossenschaftlichen Betrieb nach Ausscheidung einer beträchtlichen, an den Staat, die Gemeinde und sonstige öffentliche Zwecke zu entrichtende Abgabe der Rest als Gewinn an die Betriebsbeteiligten ausgeschüttet wird, oder ob in einem reinen Staatsbetrieb den Arbeitern ein entsprechend hoher Lohn gezahlt wird. Und diese technische Form der Lohnzahlung ist überdies mit der Sozialisierungsform der Verstaatlichung (Kommunalisierung usw.) nicht einmal notwendig und unabtrennbar verbunden. In dem Grenzfall, dass ein reiner Staatsbetrieb – (gerade wie es schon in der Privatwirtschaft manche kapitalistische Betriebe getan haben) – seinen Arbeitern einen Teil des im Betrieb erzielten Gewinnes in der Form der „Gewinnbeteiligung“ zum festen Arbeitslohn zuschießt, verschwindet auch dieser technische Unterschied, und die beiden Grundformen der Sozialisierung fallen, was die Verteilung des Produktionsertrages angeht, völlig zusammen. c) Und ebenso falsch wäre es, wollte man vom Standpunkt des produzierenden Arbeiters aus der produktivgenossenschaftlich-syndikalistischen Sozialisierungsform deshalb den Vorzug geben, weil sie dem Arbeiter eine wirksamere Beteiligung an der Herrschaft über die Produktion sicherte, als die Form der Verstaatlichung. Denn ein solcher Vorzug der einen Sozialisierungsform vor der anderen besteht nur so lange, als der Staatsbetrieb, Gemeindebetrieb usw. an der vom Privatkapitalismus entwickelten, undemokratischen Form der Betriebsorganisation festhält, welche den Arbeiter von jeder Mitbestimmung innerhalb des Betriebes ausschließt. Dies braucht er aber seinem Wesen nach keineswegs zu tun. Schon dem privatkapitalistischen Betrieb ist, wie wir oben unter Nr. 13b gesehen haben, durch die jüngste Entwicklung unserer „Sozialpolitik“, das Hilfsdienstgesetz 1916 und die revolutionäre Entwicklung 1918/19 eine gewisse öffentlich-rechtlich gesicherte Beteiligung der von den Betriebsangehörigen gewählten „Arbeiterausschüsse“ („Betriebsräte“) an der Verwaltung der Betriebe aufgenötigt worden. Um wievielmehr ist solcher organisatorischen Fortentwicklung fähig und zugänglich der nicht mehr kapitalistische, sondern schon sozialistische Betrieb, d.h. der Staatsbetrieb, Gemeindebetrieb, konsumgenossenschaftliche Betrieb! Ein entscheidender Einfluss auf die Festsetzung der Arbeitsbedingungen, eine Mitwirkung bei der Bestimmung der anzuwendenden Arbeitsprozesse und eine mindestens beratende und kenntnisnehmende Beteiligung an der sonstigen Betriebsverwaltung kann den gewählten Vertretern der Arbeiter und Angestellten des Betriebes auch im Staatsbetrieb, Gemeindebetrieb, konsumgenossenschaftlichen Produktionsbetrieb ohne weiteres gewährt werden. Mit anderen Worten: Eine den Interessen der Produzenten ebenso wie denen der Konsumenten gerecht werdende Verteilung der Herrschaft über den Produktionsprozess kann auf dem Wege der Verstaatlichung (Kommunalisierung usw.) ebenso gut geschaffen werden, wie auf dem Wege der Syndikalisierung.
15. Der Ausgleich des Interessengegensatzes der Produzenten und Konsumenten
Das wichtigste Ergebnis der bisherigen Darstellung ist folgendes: Weder die Überführung der Produktionsmittel aus der privaten Machtsphäre des Kapitalisten in die Machtsphäre der öffentlichen Organe der Gesamtheit (Verstaatlichung, Kommunalisierung usw.), noch die Überleitung der Produktionsmittel aus dem Besitz der privaten Eigentümer in den gemeinsamen Besitz sämtlicher Produktionsbeteiligten (produktivgenossenschaftlich-syndikalistische Sozialisierung) stellt für sich allein eine Ersetzung des kapitalistischen Sondereigentums durch wahres sozialistisches Gemeineigentum dar. Vielmehr bedarf es neben dieser beiden Maßnahmen stets noch einer inneren Umwandlung des Eigentumsbegriffs, einer völligen Unterordnung jeglichen Sondereigentums unter den Gesichtspunkt des gemeinsamen Interesses der Gesamtheit. Es kommt hier jener von Bernstein in den Vordergrund gerückte Gedanke zu seinem Recht, der die bleibende Bedeutung aller jener Maßnahmen hervorhebt, durch die man schon in der bisherigen kapitalistischen Gesellschaft die gemeinschädlichen Wirkungen der privatkapitalistischen Wirtschaftsweise abzuschwächen suchte (sogenannte „Sozialpolitik“). Diese Maßnahmen bleiben, wie wir jetzt sehen, zur Vollendung der Sozialisierung auch dann noch notwendig, wenn das kapitalistische Privateigentum völlig beseitigt und durch ein gesellschaftliches Sondereigentum ersetzt ist, sei dieses Sondereigentum der Funktionäre der Gesamtheit der Konsumenten, oder sei es das Sondereigentum einer Produzentengemeinschaft. Auch diesem Sondereigentum gegenüber bleibt es notwendig, für eine den Interessen aller Teile der Gesellschaft gerecht werdende Verteilung des Produktionsertrages zu sorgen und allgemein „die Produktion, das Wirtschaftsleben unter die Kontrolle der Allgemeinheit zu stellen.“ Erst dadurch wird die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse vom „Privateigentum“ einzelner Personen über das „Sondereigentum“ einzelner Gesellschaftsteile zum „Gemeineigentum“ der gesamten Gesellschaft weitergeführt.
16. Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel als „industrielle Autonomie“
So besteht also die „Sozialisierung“, die „Vergesellschaftung“ der Produktionsmittel, aus zweierlei einander zur Herbeiführung wahren Gemeineigentums ergänzenden Umgestaltungen der privatkapitalistischen Produktionsweise: Aus der Überleitung der Produktionsmittel aus der Machtsphäre einzelner Privateigentümer in die Machtsphäre irgendwelcher gesellschaftlicher Funktionäre, und aus der öffentlich-rechtlichen Einschränkung der Machtbefugnisse der nunmehrigen Leiter der gesellschaftlichen Produktion im Interesse der Gesamtheit. Durch die gleichzeitige Durchführung beider dieser Umgestaltungen weder dasjenige, was man heutzutage gewöhnlich unter Verstaatlichung (Kommunalisierung usw.) versteht und was in Wahrheit ein bloßer Staatskapitalismus (oder sonstiger Konsumentenkapitalismus) ist, noch entsteht dadurch dasjenige, was man heutzutage produktivgenossenschaftlich-syndikalistische Sozialisierung nennt und was in Wahrheit nur ein Produzentenkapitalismus ist. Vielmehr entsteht dadurch eine neue und vollkommenere Form der Vergesellschaftung der Produktionsmittel, die im folgenden als „industrielle Autonomie“ bezeichnet wird.
17. Was ist „industrielle Autonomie
Industrielle Autonomie besteht darin, dass in jeder Industrie („Industrie“ hier im Sinne des englischen „industry“, also jede planmäßige wirtschaftliche Betätigung, einschließlich der Landwirtschaft) als Ausüber der Herrschaft über den Produktionsprozeß an die Stelle des bisherigen Privateigentümers oder der von ihm eingesetzten Produktionsleiter die Vertreter aller arbeitenden Produktionsbeteiligten treten, während gleichzeitig die schon dem privatkapitalistischen Eigentum an den Produktionsmitteln durch die staatliche „Sozialpolitik“ aufgenötigten Einschränkungen des Eigentums zu einem effektiven Obereigentum der Gesamtheit weiter entwickelt werden. Ob diese industrielle Autonomie als Verstaatlichung (Kommunalisierung usw.) und nachträgliche Einschränkung der auf die öffentlichen Funktionäre der Gesamtheit übergegangenen Herrschaftsrechte zugunsten der unmittelbaren Produktionsbeteiligten vorgestellt wird, oder umgekehrt als Überleitung der Produktionsmittel einer Industrie in den Besitz ihrer Angehörigen und nachträgliche öffentlichrechtliche Einschränkung des so entstandenen Sondereigentums der Produzentengemeinschaft im Interesse der Gemeinschaft der Konsumenten, ist für das Wesen der entstehenden „industriellen Autonomie“ gleichgültig.
18. Die Verwirklichung industrieller Autonomie
Die Durchführung der Sozialisierung eines Industriezweiges in Form der „industriellen Autonomie“ wird nach den Bedürfnissen des einzelnen Falles verschieden ausfallen. Möglich ist die Durchführung der Sozialisierung einzelner Betriebe in Form der (von Schäfle [7] so genannten) „Veranstaltlichung“ (3), für deren Gelingen sogar unter kapitalistischer Gesellschaftsordnung die seit Jahrzehnten bestehende „Carl Zeiss-Stiftung“ [8] in Jena das klassische Beispiel bietet. Größere Bedeutung für die gegenwärtige Lage hat die Möglichkeit, dass ganze, zur zentralistischen „Verstaatlichung“ nicht reife, und vielleicht niemals reif werdende Industrien im Wege der industriellen Autonomie sofort sozialisiert, in das Gemeineigentum der Gesellschaft überführt werden können. Autonomie besteht in einer derartig sozialisierten Industrie in verschiedener Gestalt: 1. Das alle Betriebe des betreffenden Industriezweiges zusammenfassende Syndikat besitzt eine nur durch die notwendigen Rücksichten auf das Interesse der Konsumenten eingeschränkte Autonomie gegenüber der staatlichen Zentralregierung, 2. der einzelne Betrieb besitzt eine eingeschränkte Autonomie gegenüber dem die Betriebe zusammenfassenden und über ihre Verwaltung teilweise zentralistisch bestimmenden Syndikat, 3. innerhalb der Verwaltungen sowohl des Syndikats (1.), wie der einzelnen Betriebe (2.) besitzen gegenüber der obersten Geschäftsleitung (Werkleitung) eine eingeschränkte autonome Rechtssphäre, ein Recht zur selbständigen Regelung der sie besonders angehenden Angelegenheiten, die verschiedenen Schichten der sonstigen Produktionsbeteiligten (die Angestellten und die Arbeiter im engeren Sinne). Die Art und Weise, wie gegenüber diesen „autonomen“ Industrien das Interesse der Gesamtheit der Konsumenten zur Geltung kommt, wird ebenfalls nach dem Bedürfnis des einzelnen Falles eine verschiedene sein. Das gemeinwirtschaftliche Ziel ist hier ein Mitwirkung der Konsumentenorganisationen (Staat, Gemeinde, Konsumgenossenschaften und besonders gegründeter Zweckverbände) bei einer für die autonomen Syndikate und Einzelbetriebe verbindlichen, öffentlichen Bedarfsfeststellung, welche an die Stelle der taschwirtschaftlichen Produktion für den Markt eine reine Bedarfsproduktion setzt. (4) Solange und soweit solche reine Bedarfswirtschaft heute noch nicht voll verwirklicht werden kann, tritt an die Stelle der heutigen Tauschwirtschaft zwischen den Einzelpersonen zunächst eine Tauschwirtschaft der verschiedenen Industriezweige untereinander. In diesem Zustand wird also von den einzelnen Industriezweigen nicht lediglich für den Bedarf, sondern teilweise noch für den Markt produziert (man denke hier besonders auch an den Exporthandel). Und es könnte hier also auch noch der Fall eintreten, daß ein Betrieb unverhältnismäßig hohe Erträge erzielte, ein anderer nicht einmal die für die notdürftige Entlohnung seiner Arbeiter erforderlichen Erträge gewinnen kann. Soweit es sich hierbei um verschiedene Betriebe eines und desselben syndizierten Industriezweiges handelt, muß natürlich der Ausfall des einen Betriebes durch den Mehrertrag des andern ausgeglichen werden; technisch ganz unvollkommene Betriebe werden durch das Syndikat stillgelegt. Hiervon abgesehen, muß jeder autonome Betrieb, und ebenso jedes autonome Syndikat, die Preise seiner Erzeugnisse so hoch ansetzen, daß der Gesamtertrag des Betriebes (sämtlicher im Syndikat zusammengefassten Betriebe) allen arbeitenden Produktionsteilnehmern einen dauernden auskömmlichen Unterhalt sichert. Eine Überteuerung der Gesamtheit der Konsumenten durch die Sondergruppe von Produzenten, welche das einzelne autonome Werk oder das autonome Syndikat bilden, wird durch eine öffentlich-rechtlich gesicherte Mitwirkung der Konsumentenorganisationen an der Preisfeststellung vermieden. Eine weitere, die Autonomie der Produzentengruppen einschränkende Teilnahme der Konsumenten an der Verwaltung der Produktion erwächst aus dem oben unter Nr. 14b hervorgehobenen Prinzip der Zerlegung des Gesamtertrages jedes Betriebes (jedes Industriezweigs) in zwei Teile, von denen nur der eine für die arbeitenden Produktionsbeteiligten zur Verfügung steht, während der andere, z.B. in Form der Besteuerung, für die allgemeineren Zwecke der Konsumentengesamtheit herangezogen wird. Dort war auch schon das Prinzip angegeben, nach welchem die Festsetzung dieser Anteile erfolgt: Nach Feststellung der absoluten Größe des für allgemeinere Konsumentenzwecke erforderlichen Aufwandes wird die Deckung dieses Aufwandes unter die einzelnen Industriezweige (die einzelnen Betriebe) nach dem Grundsatz verteilt, dass jeder Industriezweig (jeder Betrieb) desto mehr von seinem Ertrage abgebene muss, je größer in ihm der Gesamtwert (Boden- und Arbeitswert (5)) der zur Produktion gebrauchten Produktionsmittel im Verhältnis zur Zahl der beschäftigten Arbeiter ist. Nur der dann noch übrigbleibende Teil des Ertrages eines Industriezweigs (Betriebes) steht für die Sonderzwecke der betreffenden Produzentengemeinschaft (z.B. Reservenbildung, Betriebsverbesserung und Erweiterung, Entlohnung der Arbeiter, Pensionen u.a.m.) zur Verfügung. So findet auch nach dieser Richtung hin schon auf dieser Stufe der gemeinwirtschaftlichen Entwicklung, wo noch keine reine Bedarfswirtschaft besteht, die Autonomie der Produzenten ihre Grenze in der Berücksichtigung der durch die Gesamtproduktion der Gesellschaft zu befriedigenden allgemeinen Konsumentenbedürfnisse. Für die Innehaltung dieser Grenze aber sorgen wiederum die Konsumentenorganisationen (Staat, Gemeinde, Konsumentengenossenschaften usw.), denen für diesen Zweck ein Mitbestimmungsrecht in der Verwaltung der autonomen Industrien eingeräumt wird. [7]
19. Industrielle Autonomie besser als „Verstaatlichung“
Die Durchführung der „Sozialisierung“ denkt sich der Unkundige gewöhnlich in der Form der einfachen Verstaatlichung. Auf dieser Gleichsetzung von Vergesellschaftung und Verstaatlichung beruhen die meisten Einwände, welche gegen die „Sozialisierung“ landläufig erhoben werden. Also der Einwand, dass eine Vergesellschaftung der Produktionsmittel überhaupt nur bei einem ganz eng beschränkten Kreis von Produktionszweigen, bei den zur zentralistischen Verwaltung „reif“ gewordenen Betrieben ohne Gefahr der Unwirtschaftlichkeit durchführbar sei; bei allen anderen Produktionszweigen müsste erst ihre allmähliche Reifwerdung abgewartet werden, viele Produktionszweige entwickelten sich auch gar nicht in der Richtung eines allmählichen Reifwerdens für die Zentralisierung, sondern in geradewegs umgekehrter Richtung; diese letzteren würden also niemals ohne Unwirtschaftlichkeit, ohne Herabsetzung der Produktivkräfte, „sozialisiert“ werden können. Ferner der Einwand, dass jede „Sozialisierung“ überhaupt zur Bürokratisierung, zur Schematisierung, damit zur Ertötung der privaten Initiative und zur Erstarrung führe. Alle die Einwände haben einen guten Sinn als Einwendungen gegen eine zentralistische „Verstaatlichung“ nicht dafür geeigneter Produktionszweige. Sie bedeuten aber nichts gegen die Sozialisierung selbst, gegen die sofort allgemein zu beginnende Ersetzung des kapitalistischen Privateigentums durch sozialistisches Gemeineigentum. Denn wie wir gesehen haben, ist dieses sozialistische Gemeineigentum keineswegs gleichbedeutend mit Staatseigentum. Verstaatlichung war uns nur eine der Formen der Vergesellschaftung, und alle Formen der Vergesellschaftung überhaupt wurden von uns als wahre, sozialistische „Vergesellschaftung“ überhaupt nur anerkannt, wenn sie im Ergebnis auf diejenige Regelung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse hinausführten, welche wir als die Form der industriellen Autonomie bezeichnet haben. Gegenüber dieser Sozialisierung in der Form der industriellen Autonomie werden alle gegen die zentralisierende „Verstaatlichung“ gewöhnlich erhobenen Einwände tatsächlich gegenstandslos. Eine bürokratische Schematisierung und Erstarrung ist ausgeschlossen. die private Initiative wird nicht ertötet, sondern womöglich noch gesteigert, da die Möglichkeiten für die Ausübung einer solchen Initiative durch Autonomie auf einen Kreis von Betriebsbeteiligten ausgedehnt werden, der unter kapitalistischer Privatwirtschaft keine Möglichkeit zur Ausübung von Initiative besaß. Und eine Gefahr der Unwirtschaftlichkeit könnte höchstens dadurch entstehen, dass infolge der Ausschaltung des privaten Eigentümers aus der Produktion der private Eigennutz aufhörte, einen beständigen Antrieb zu möglichst wirtschaftlicher Produktion abzugeben. Nun ist aber, wie gleich gezeigt werden soll, mit der bloßen Vergesellschaftung der Produktionsmittel eine Ausschaltung des privaten Eigennutzes aus den Motiven der Produktion keineswegs verbunden; vielmehr kann durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel in dieser ersten Phase der Gemeinwirtschaft der private Eigennutz als Triebfeder zu möglichst wirtschaftlicher und möglichst ergiebiger Produktion sogar noch in verstärktem Maße der Produktion dienstbar gemacht werden.
20. Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel als Emanzipation der Arbeit
Die Weiterentwicklung zur Vergesellschaftung der Arbeit Es wurde in den ersten Sätzen dieser Schrift die „Vergesellschaftung der Produktionsmittel“ nur als die erste Phase der Gemeinwirtschaft bezeichnet. Es wurde gesagt, dass durch sie die vorher unfreie und durch „das Kapital“ in der Produktion ausgebeutete „Lohnarbeit“ nur befreit, aber noch nicht vergesellschaftet würde. Tatsächlich ist ein Zustand vorstellbar, ja, wird aller Wahrscheinlichkeit nach in der nächsten Zukunft bei uns in weitem Umfange verwirklicht werden, in welchem die sachlichen Produktionsmittel Gemeineigentum sind, dagegen das private Eigen[tums]recht des arbeitenden Produzenten an seiner Arbeitskraft, als Recht auf einen der Dauer und der Güte seiner Arbeit entsprechenden Anteil am Ertrag der gesellschaftlichen Produktion, noch geraume Zeit weiter bestehen wird. Gerade wenn in autonomer Produktion die ihre eigenen Angelegenheiten (innerhalb der oben Nr. 18 angegebenen Grenzen!) selbst verwaltende Produzentengemeinschaft, z.B. die Gesamtheit der arbeitenden Betriebsbeteiligten (Leiter, Angestellte, Arbeiter) eines einzelnen Betriebes, selbständig über die Bedingungen ihrer Arbeit, im besonderen über die den einzelnen Gruppen zu zahlenden Löhne, zu entscheiden haben wird, ist es trotz der sicherlich stark entwickelten Solidarität der industriellen Arbeiterschaft ziemlich unzweifelhaft, dass ihre Entscheidung nicht im Sinne einer Vergesellschaftung der Arbeitskraft aller Beteiligten ausfallen wird. Nicht der Grundsatz der einfachen Gleichheit oder des gleichen Lohns für gleiche Arbeitszeit wird vermutlich als allgemeiner Grundsatz der Entlohnung angenommen werden, auch nicht die darüber noch hinausgehende Forderung der Berücksichtigung der Verschiedenheit des Bedürfnisses (z.B. Junggeselle und Familienvater). Vielmehr wird, um die absolute Größe des anteilsmäßig allen zufließenden Produktionsertrages durch Anlockung der besten „Hände“ und „Köpfe“ nach Möglichkeit zu steigern, bis auf Weiteres wohl nur der Grundsatz des „gleichen Lohns für gleiche Leistung“ die allgemeine Richtschnur der industriellen Entlohnung abgeben, und damit zugleich eine Kehrseite: „unterschiedliches Entgelt für verschiedene Leistungen“. Die spezifische Begabung des industriellen „Unternehmers“ im besonderen wird in dieser ersten Phase der Gemeinwirtschaft keine schlechtere, sondern eher eine bessere Bezahlung finden, als im heutigen kapitalistischen Staat, wo ja unter normalen Verhältnissen der größere Teil des Produktionsertrages keineswegs an den Unternehmer selbst, sondern an die ihn „finanzierenden“ Kapitalisten fiel (s. oben Nr. 5). Und nicht nur die Entlohnung, sondern auch die Machtstellung von Personen mit besonderer Unternehmerbegabung wird im autonomen Einzelbetrieb oder Syndikat eher eine unbeschränktere sein, als in der heutigen kapitalistischen Wirtschaft, wo das Finanzkapital der Banken die Industrie „kontrolliert“, mithin eine besondere Art industriellen Unternehmertums: der finanzielle Unternehmer, über alle anderen Arten von industriellem Unternehmertum eine weitgehende Oberherrschaft ausübt. Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel wird also, weit entfernt, die Triebfeder des privaten Eigennutzes aus der Produktion auszuschalten und damit eine Schwächung der Produktivkräfte, eine Herabsetzung der Produktivität der gesellschaftlichen Produktionsarbeit zu bewirken, in Wahrheit in dieser ersten Phase der Gemeinwirtschaft lediglich eine Emanzipation der Arbeit und damit eine Ausdehnung des Motivs des wirtschaftlichen Eigennutzes auf einen ganz bedeutend größeren Kreis von Produktionsbeteiligten zu Wege bringen. Unterschiedliche Löhne, und die Beteiligung sämtlicher Gruppen von Betriebsbeteiligten am Ertrage der gemeinschaftlichen Produktion in Form einer für die verschiedenen Gruppen verschieden abgestuften Gewinnbeteiligung, werden die vergesellschaftete Industrie in ihrer ersten Entwicklungsphase charakterisieren. Der als Eigentümerkapitalismus totgeschlagene kapitalistische Geist wird als Arbeiterkapitalismus auferstehen; an die Stelle der nun unmöglich gemachten Ausbeutung des privaten Eigentums an den sachlichen Produktionsmitteln wird zunächst die unbeschränkte Ausbeutung des privaten Rechts eines jeden Arbeiters an seiner eigenen Arbeitskraft treten. Und vielleicht wird die Vermutung des englischen Sozialisten Bernard Shaw [9] in Erfüllung gehen, wonach der begabteste Geistesarbeiter der letzte Ausbeuter der Gesellschaft sein wird. Erst allmählich wird alsdann in der autonomen, durch das Aufhören des Klassenkampfes zwischen besitzendem Kapitalisten und besitzlosem Proletarier entgifteten Produktion jener Gemeinsinn entstehen, der die Vorbedingung für die Errichtung (6) der zweiten und höheren Phase der Gemeinwirtschaft bildet, in welcher wie die sachlichen Produktionsmittel so auch die Arbeitskraft jedes einzelnen Gemeineigentum sein werden, indem jeder zur gesellschaftlichen Produktion nach seinen Fähigkeiten beisteuert und dafür an dem Ertrage der gemeinschaftlichen Produktion nach seinem Bedürfnis teilnimmt. Die besondere Sozialisierungsform der „industriellen Autonomie“, wie sie in dieser Schrift (besonders oben Nr. 18) vertreten wurde, begünstigt diese Entwicklung, indem sie die Möglichkeit schafft, dass an die Stelle des privaten Einzelegoismus zunächst ein schon „sozialisierter“ Gruppenegoismus, der Egoismus der autonomen Sondergruppe, tritt. Darüber hinaus aber kann der Übergang von der ersten zur zweiten Phase der Gemeinwirtschaft durch wirtschaftspolitische Maßnahmen nicht mehr wesentlich gefördert werden; für seine Beschleunigung kommen vielmehr in erster Linie eine Reihe von kulturpolitischen Maßnahmen in Betracht, die unter der Bezeichnung einer „Sozialisierung der Bildung“ zusammengefasst werden können. Auf diese einzugehen, muss einer besonderen Schrift vorbehalten bleiben.
21. Was sollen wir nun tun? – Die Erziehung zum Sozialismus
Die bisherige Darstellung hatte die Aufgabe, ein Bild von den Zielen des praktischen Sozialismus zu entwerfen. Zur Erreichung dieser Ziele, also zur Schaffung wirklicher sozialistischer Gemeinwirtschaft durch tatsächliche Ausführung der Sozialisierung, bieten sich verschiedene Wege dar. Solche Wege sind a) in erster Linie die politische Aktion zur Erwirkung (7) der Sozialisierung einzelner Produktionszweige durch staatliche Gesetzgebung und gemeindliche Verordnung (8), – b) in zweiter Linie die fördernde Teilnahme an den ohne Zwang im Wege des freien Wettbewerbs unternommenen (konsum- und produktiv-) genossenschaftlichen Bestrebungen, – c) in dritter Linie auch die wirtschaftspolitische Aktion der Arbeiterklasse, die die innere Umwandlung des kapitalistischen Privateigentums durch Abschluss von Tarifverträgen und durch Erzwingung der vertraglichen Anerkennung der Mitbestimmungsrechte der Arbeiterverbände und der gewählten Arbeitervertretungen in den einzelnen Betrieben zu befördern sucht. Die folgerichtige Fortsetzung dieser letzteren Kampfesweise bildet in revolutionär bewegten Zeiten der Kampf um die direkte Entsetzung des kapitalistischen Unternehmers von der Herrschaft über den Produktionsprozess und seine Unterstellung unter die Kontrolle der Gesamtheit der Betriebsbeteiligten, wie er nach dem Programm des Spartakusbundes in den einzelnen Betrieben heute vielerorts ausgefochten wird. Auch dieses letzte Mittel hat für den, der das Ideal des Sozialismus bejaht, keine Schrecken. Es ist kein aus irgendwelchen sittlichen Geboten verwerfliches Mittel der Sozialisierung; so wenig wie die politische Revolution ein sittlich verwerfliches Mittel zur politischen Befreiung ist. Im Gegenteil hat gerade diese allgemeine und „direkte“ Aktion der Arbeiterklasse vor den anderweitigen Methoden der Vergesellschaftung den unschätzbaren Vorzug, dass sie in dem Kampf um die Herbeiführung der sozialistischen Wirtschaftsordnung zugleich am stärksten und mächtigsten jene psychischen Antriebe im Proletariat auslöst und entwickelt, ohne die eine solche Wirtschaft auf die Dauer nicht bestehen, noch weniger sich von der ersten zur höheren Phase der Gemeinwirtschaft entwickeln kann. [8] Jedoch ist solche direkte Sozialisierungsaktion einer erfolgreichen Anwendung nur solange fähig, als revolutionäre Zeiten dauern, und nur unter der Bedingung, dass die nach der Revolution durch den Willen des vom kapitalistischen Joch befreiten Gesamtvolkes zur Herrschaft gelangte oberste Macht, als Vertreterin der gemeinschaftlichen Interessen der Gesamtheit aller Produzenten und Konsumenten, die durch die außerpolitische, „direkte“ Aktion zustande gebrachte Sozialisierung nachträglich anerkennt. Wenn diese Voraussetzung nicht mehr vorliegt, der Eintritt dieser Bedingung nicht mehr erwartet werden kann, so kann der Übergang zur sozialistischen Gemeinwirtschaft außerhalb des Gebietes der politischen Aktion, der genossenschaftlichen Selbsthilfe und des gewerkschaftlichen Kampfes um die vertragliche Festsetzung günstigerer Arbeitsbedingungen nur durch unablässige erzieherische Arbeit an der aufkommenden Generation wirksam gefördert werden. Hier liegen die dauernden großen Aufgaben jener Menschen, deren leidenschaftlicher Sehnsucht und revolutionärem Überschwange die immer langsame, mancherlei Stockungen und Rückschlägen unterworfene, Entwicklung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse niemals Genüge tun wird.