Thälmann, Ernst: Reden und Aufsätze zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung , Bd. 1, Berlin 1956, S. 128 – 131
Die deutschen Nachahmer der Galliffet und Thiers sind eifrig an der Areit, um den Arbeitern die großen Lehren der Pariser Kommune lebendig ins Gedächtnis zu rufen. Was sind die wichtigsten Lehren, die das internationale Proletariat mit Hilfe der Schriften von Marx und Lenin aus den Kämpfen der Kommunarden gezogen hat?
Erstens, daß das Proletariat den bürgerlichen Staatsapparat nicht übernehmen und auf demokratischem Wege in den proletarischen Staatsapparat verwandeln kann, sondern daß die proletarische Revolution den bürgerlichen Staat zerschlagen und durch den proletarischen Machtapparat ersetzen muß, durch die Räte, die die beschließenden und ausführenden Organe der Arbeiterklasse sind.
Zweitens, daß das Proletariat rücksichtslos, brutal die Bourgeoisie niederschlagen, ihre Truppen entwaffnen, seine eigene bewaffnete Macht aufrichten muß, weil die Bourgeoisie, wenn man ihr nur wenige Tage Zeit läßt, um sich zu sammeln, zu organisieren, zu bewaffnen, ihre Macht rücksichtslos gebraucht und an der Arbeiterschaft, die ihre Ansprüche als Klasse anmeldete, grausam blutige Rache nimmt.
Drittens, daß der Gegensatz zwischen den Nationalisten und Militaristen der verschiedenen Nationen selbst im Kriege völlig verschwindet, wenn es gilt, den gemeinsamen Feind, das revolutionäre Proletariat, niederzuschlagen.
Diese Lehren, die die Pariser Arbeiter 1871 mit ihrem Blute erkauften, sind leider von den deutschen Arbeitern in ihrer Revolution nicht beachtet worden. Das hat die deutsche Arbeiterklasse bis zum heutigen Tage mit unzähligen Opfern, mit vielen schweren Niederlagen bezahlen müssen. Es ist an der Zeit, daß wir diesen 18. März, den Gedenktag der Kommune, dazu benutzen, diese Lehren an Hand unserer eigenen jüngsten Erfahrungen den Arbeitern Deutschlands eindringlich aufzuzeigen.
Die Präsidentenwahl wird von den Sozialdemokraten wiederum in der Weise für ihre Parteizwecke ausgenutzt, daß sie den Arbeitern einzureden versuchen, alles würde sich in Deutschland zum Besseren wenden, wenn nur an der Spitze des Staates der richtige Mann, der für den ersten Wahlgang Otto Braun, für den zweiten voraussichtlich Marx heißen soll, gestellt würde. Ganz abgesehen davon, daß Braun sowenig wie Marx ein Arbeitervertreter ist, dem man auch nur den ehrlichen Willen zubilligen könnte, an der Stelle, an der er durch das Vertrauen der Arbeiter steht, sein Bestes für das Proletariat zu tun, ganz abgesehen davon ist klar, daß der beste Arbeitervertreter an der Spitze dieses Staates nichts Ernsthaftes für die Arbeiterklasse tun könnte, wenn diese sich nicht anschickt, den ganzen Staat von Grund auf umzuwälzen. Die sogenannten demokratischen Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen haben gezeigt, daß die Rechte der Weimarer Verfassung null und nichtig sind, sobald sie der Bourgeoisie gefährlich zu werden drohen. Würde zum Beispiel der Vertreter der Kommunistischen Partei zum Präsidenten der Republik gewählt werden, die nächste Folge wäre die Rebellion der monarchistischen Reichswehr und der Bürokratie, die sich gewiß weigern würden, den Interessen des Proletariats zu dienen.
An diesem Beispiel muß jedem Arbeiter deutlich werden, daß wir für die Befreiung der Arbeiterklasse aus ihrer gegenwärtigen Not und Unterdrückung nichts tun können, wenn wir nicht dem Beispiel der Kommune und der russischen Oktoberrevolution folgen und den Kampf für die Beseitigung des bürgerlichen Staates, für die Staatsmacht der Räte der Arbeiter und der werktätigen Bauern aufnehmen.
Die zweite Lehre der Kommune, daß das Proletariat gegen seinen Klassenfeind so wenig Schonung kennen darf, so wenig wie die Bourgeoisie im Kampfe gegen das Proletariat Sentimentalität und Rücksicht kennt, ist uns durch die Ereignisse der letzten Tage wieder eindringlich eingebläut worden. Bei den Dezemberwahlen wurde die Wahlagitation der Kommunisten durch die Aufhebung der Immunität und eine wüste Verfolgung der führenden Genossen erschwert. Diesmal greift die herrschende Klasse zu noch brutaleren Mitteln. Man begnügt sich nicht mit willkürlichen Verhaftungen der Parteiorganisatoren, die die Wahlkampagne leiten – wie in Stuttgart, Frankfurt am Main und Breslau -, mit willkürlichen Demonstrations-, Versammlungs- und Redeverboten, mit dem Diebstahl von Propagandamaterial, sondern die Bourgeoisie, ihre Regierung, ihre Polizei, tragen den weißen Terror in die Versammlungen. Durch blutige Gemetzel unter den versammelten Arbeitern, wie in Halle und Neukölln, sollen die Proleten von dem Besuch kommunistischer Versammlungen und Veranstaltungen abgeschreckt werden. Der Gewinn von ein paar Stimmen für ihren bürgerlichen Präsidentschaftskandidaten ist der Bourgeoisie wertvoll genug, daß sie demgegenüber ein Dutzend Arbeiterleben für nichts achtet.
Arbeiter, die sich nicht widerstandslos als Arbeitsvieh und Kanonenfutter gebrauchen lassen, haben in den Augen der deutschen Galliffets keinen Wert. Mögen die Herren bedenken, was aus ihnen wird, wenn die kommende proletarische Gesellschaft mit ihnen nach ihrem Werte verfährt. Die deutsche Arbeiterschaft, die seit November 1918 Niederlage nach Niederlage erlitten hat, weil sie ihre Macht nicht rücksichtslos gebrauchte, wird die Lehren, die ihr die Polizei des Herrn Severing jetzt mit Pulver und Blei beibringt, zu beherzigen wissen.
Und schließlich die dritte Lehre der Pariser Kommune, daß der nationalistische Schwindel beiseite fliegt, wenn es der gemeinsame Kampf gegen das revolutionäre Proletariat erfordert, kann sie besser illustriert werden als durch das Angebot des Sicherheitsvertrages durch die „nationale“ Luther-Regierung? Das ist eine würdige Fortsetzung des Zusammenspiels zwischen Bismarck und Thiers, zwischen Degoutte und Lutterbeck. Für geheime Versprechungen, wahrscheinlich für das Versprechen, mehr Maschinengewehre, Minenwerfer und Kanonen gegen das deutsche Proletariat gebrauchen zu dürfen, erklärt sich die „nationale Regierung“ bereit, die Grenzfestsetzung des Knechtschafts Vertrages von Versailles als endgültig anzuerkennen. Für die Gnade, in die Gesellschaft der Ententeräuber aufgenommen zu werden, bietet die deutsche Bourgeoisie ihre Landsknechtsdienste zum reaktionären Krieg gegen die Sowjetunion an.
Doch dieser Schurkenstreich wird nicht gelingen. Trotz aller Verrätereien der Sozialdemokratie ist in den Massen des deutschen Proletariats das Vermächtnis der Kommune, die internationale Solidarität, noch lebendig. Die deutschen Proletarier werden sich nicht als Kanonenfutter gegen die russische Revolution gebrauchen lassen, so wenig wie unsere französischen Klassengenossen als willige Werkzeuge der Poincare und Herriot gegen ein proletarisches Deutschland marschieren würden. Wir setzen dem Räuberbund der Imperialisten die Kraft der proletarischen Internationale entgegen.
Die Wahlen am 29. März sollen durch eine gewaltige Massendemonstration für die rote Arbeiterkandidatur zeigen, daß die Kommune in unseren Herzen lebt, daß keine Gewalt uns hindern wird, den nächsten Schritt zur Weltkommune zu tun durch die proletarische Revolution in Deutschland.
Die Rote Fahne vom 18. März 1925.