19. September 1958 // Reden
Walter Ulbricht // Begründung der Thesen über die Novemberrevolution 1918

Begründung der Thesen über die Novemberrevolution 1918

19. September 1958

Referat auf der 2. Tagung des Zentralkomitees der SED am 18. und 19. September 1958


Erstmalig erschienen in: Einheit, 1958, Heft 10, S. 1404-1427
Quelle: Walter Ulbricht – Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung – Aus Reden und Aufsätzen – Band VII: 1957-1959 – S. 478-511


Walter Ulbricht

Genossinnen und Genossen!

Dem Zentralkomitee liegt anläßlich des 40. Jahrestages der Entwurf der Thesen über „Die Novemberrevolution 1918 in Deutschland“ vor. Im nachfolgenden möchte ich zu einigen Grundfragen der Thesen Stellung nehmen.

Am 40. Jahrestag der Novemberrevolution wollen wir der heroischen Kämpfe der deutschen Arbeiterklasse gedenken, aber auch die richtigen Lehren aus der Novemberrevolution ziehen. Das wird helfen, die Beschlüsse des V. Parteitages im Kampf gegen den deutschen Imperialismus und für die Sicherung des Friedens besser durchzuführen.

Warum beschäftigen wir uns gegenwärtig mit der Analyse und den Lehren der Novemberrevolution?

Wir beschäftigen uns damit, weil der Zusammenbruch Deutschlands im ersten Weltkrieg und die Novemberrevolution zum erstenmal das Grundproblem der deutschen Nation aufgerollt haben, nämlich die Beseitigung des Imperialismus und die Schaffung eines friedliebenden, demokratischen und sozialistischen Deutschlands. Unter dem Einfluß der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution war die Novemberrevolution die größte revolutionäre Massenbewegung in Deutschland nach dem Deutschen Bauernkrieg. Sie war die erste Revolution in der Epoche des Imperialismus, die in einem industriell hochentwickelten Staat ausbrach.

Wir beschäftigen uns mit den Lehren der Novemberrevolution, um am Beispiel dieser großen geschichtlichen Ereignisse der Arbeiterklasse und den Volksmassen die Lehre Lenins über die Revolution zu erklären.

Wir beschäftigen uns mit der Novemberrevolution, weil ein wichtiges geschichtliches Ergebnis dieser Revolution die Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands war. Dies war ein Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, denn mit der Gründung der KPD wurde der Grundstein für eine marxistisch-leninistische Partei, für eine Partei von neuem Typus gelegt. Die von den deutschen Revisionisten entstellten Lehren von Marx und Engels wurden von den Fälschungen und Entstellungen befreit und im Sinne des Leninismus weiterentwickelt.

Wir beschäftigen uns mit der Novemberrevolution, weil die Lehren der Novemberrevolution und die Gründung der KPD die deutsche Arbeiterklasse nach der Niederlage des deutschen Imperialismus im zweiten Weltkrieg befähigt haben, die Wiederholung der Fehler von 1918 zu vermeiden und an der Spitze der Volksmassen in einem bedeutenden Teil Deutschlands die antifaschistisch-demokratische Umwälzung zu vollziehen und die Arbeiter-und-Bauern-Macht zu errichten.

Das sind die Gründe, warum wir vor der ganzen Partei die Aufgabe stellen, die großen, revolutionären Traditionen der deutschen Arbeiterklasse an Hand der Lehren und Erfahrungen der Novemberrevolution den breitesten Schichten unserer Bevölkerung – vor allem auch den westdeutschen Werktätigen – nahezubringen.

Welchen Charakter hatte die Novemberrevolution? Anläßlich des 30. Jahrestages der Novemberrevolution nahm der Parteivorstand der SED am 16. September 1948 eine Entschließung an „Die Novemberrevolution und ihre Lehren für die deutsche Arbeiterbewegung“ 1, welche in ihrer Grundlinie noch heute Gültigkeit hat. In dieser Entschließung wird die Novemberrevolution als unvollendete bürgerliche Revolution eingeschätzt. Inzwischen sind umfangreiche wissenschaftliche Forschungsarbeiten durchgeführt worden, die es ermöglichen, den Charakter der Novemberrevolution genauer zu bestimmen. Die Novemberrevolution war eine bürgerlich-demokratische Revolution, die in gewissem Umfang mit proletarischen Mitteln und Methoden durchgeführt wurde.

Die jetzt vorliegenden Thesen sind ein Ausdruck des theoretischen Wachstums der Partei.

Die theoretische Bedeutung der Thesen

Die theoretische Bedeutung der Thesen besteht erstens in der Untersuchung der ersten Revolution der deutschen Arbeiterklasse in der Periode des Imperialismus vom Standpunkt des historischen Materialismus, zweitens in der schöpferischen Anwendung der Leninschen Lehre von der Revolution auf die Novemberrevolution.

Es ist heute leichter, eine wissenschaftliche Einschätzung und Würdigung des revolutionären Kampfes der Arbeiterklasse zu geben, nachdem in einem Drittel Deutschlands in der Tat die Lehren aus zwei Weltkriegen und aus der Novemberrevolution gezogen wurden. In diesem Drittel Deutschlands ist der Imperialismus mit der Wurzel beseitigt, und die Arbeiterklasse, verbündet mit den anderen werktätigen Schichten, hat die politische Macht in ihre Hände genommen. Bei der Ausarbeitung der vorliegenden Thesen zeigten sich in der vom Politbüro eingesetzten Kommission grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten und falsche Auffassungen über den Charakter der Novemberrevolution. Ein Teil der Genossen Historiker vertrat eine Auffassung, die dem Beschluß des Parteivorstandes der SED vom 16. September 1948 widersprach. Wie war es dazu gekommen?

In der Weimarer Republik hat es in der KPD noch keine Klarheit über den Charakter der Novemberrevolution gegeben. Später, im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KPdSU(B), informierten die sowjetischen Genossen, die an der Vorbereitung des Lehrbuches arbeiteten, das Politbüro der KPD, daß sie die Novemberrevolution ihrem Charakter nach als bürgerlich-demokratische Revolution einschätzen. Nach einer eingehenden Diskussion im Politbüro der KPD bestätigten die Genossen des Politbüros die Auffassung der sowjetischen Genossen. In den Jahren 1939/1940 verarbeitete ich die Materialien über die Novemberrevolution zu einer Lektion. Der Extrakt dieser Lektion wurde später in der Broschüre „Der Zusammenbruch Deutschlands im ersten Weltkrieg und die Novemberrevolution“ veröffentlicht. Die Stellungnahme des Politbüros der KPD von 1938 wurde im Jahre 1948 der Entschließung des Parteivorstandes der SED zum 30. Jahrestag der Novemberrevolution zugrunde gelegt.

Einige Genossen Historiker hatten sich von den revisionistischen Angriffen gegen die Partei, die 1956 auf den verschiedensten Gebieten erfolgten, beeinflussen lassen. Nach dem XX. Parteitag der KPdSU hatten im Zusammenhang mit der Kritik an bestimmten Fehlern des Genossen Stalin sowie mit der Tatsache, daß im Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU(B) einige Fehler aufgedeckt wurden, einige Genossen angenommen, daß auch die Einschätzung der Novemberrevolution überholt sei und korrigiert werden müsse. So brachten in der Sitzung der Kommission des Politbüros zur Vorbereitung der Thesen der Novemberrevolution einige Genossen offen zum Ausdruck, daß die Einschätzung im Kurzen Lehrgang der Geschichte der KPdSU(B) falsch sei und mit dem Personenkult zusammenhänge. Es ist sicher auch kein Zufall, daß Genosse Schirdewan auf dem internationalen Frauenseminar im Januar dieses Jahres in seinem Referat unter anderem erklärte, die Novemberrevolution habe einen „sozialistischen Charakter“.

Einige Genossen Historiker übersahen grundlegende Erkenntnisse der materialistischen Geschichtsauffassung. Es wurde von ihnen der Versuch unternommen, nachzuweisen, daß die Novemberrevolution ihrem Charakter nach eine „sozialistische Revolution“ gewesen sei, die eine Niederlage erlitten hat.

Andere Genossen Historiker wollten mit dem sozialistischen Charakter der Novemberrevolution die noch teilweise vorhandene Miseretheorie in der Geschichtsschreibung der deutschen Arbeiterbewegung überwinden. Dabei sind sie jedoch in den Fehler verfallen, sich von ihren subjektiven Eindrücken und Erlebnissen leiten zu lassen. Der historische Materialismus erlaubt jedoch nicht ein solch einseitiges und subjektives Herangehen an die historischen Tatsachen, sondern fordert, alle Tatsachen in ihrer Gesamtheit und ihrem Zusammenhang einzuschätzen.

Ich will mich in meinen heutigen Ausführungen auf einige theoretische Hauptprobleme beschränken, um aufzuzeigen, wie wichtig es ist, sich in der Geschichtswissenschaft stets vom historischen Materialismus leiten zu lassen.

Zur Anwendung des historischen Materialismus

Vom Standpunkt des historischen Materialismus an die Einschätzung der Niederlage Deutschlands im ersten Weltkrieg und an den Verlauf der Novemberrevolution herangehen erfordert, die Entwicklung des Klassenkampfes und die ökonomischen Bedingungen richtig einzuschätzen, die politischen Auffassungen der verschiedenen Schichten des Volkes und vor allem das Bewußtsein der Arbeiterklasse richtig zu beurteilen. Der historische Materialismus ermöglicht uns, den unlösbaren Zusammenhang, die gegenseitige Bedingtheit aller Seiten des gesellschaftlichen Lebens aufzudecken. Wir haben hervorragende Beispiele, wie Theorie und Methode des historischen Materialismus vorbildlich angewandt werden müssen, in den Werken unserer Klassiker, wie „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ von Karl Marx, „Revolution und Konterrevolution in Deutschland“ von Karl Marx und Friedrich Engels, Lenins Schrift „Die Lehren der Revolution“ und andere.

Vom Standpunkt des historischen Materialismus die Novemberrevolution analysieren erfordert, daß eine richtige Einschätzung der Klassenkräfte und der Rolle der politischen Parteien, insbesondere der Sozialdemokratie, bis zur militärischen Niederlage Deutschlands erfolgt, und zwar: die Einschätzung der Wirkung der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution auf Deutschland, die Einschätzung des Zusammenbruchs Deutschlands und der Bemühungen des deutschen Imperialismus, mit Hilfe der sozialdemokratischen Führer durch kleinbürgerliche Reformen eine Revolution zu verhindern und den Übergang von der Niederlage zum Friedensschluß zu finden; die Einschätzung der Entwicklung der Klassenkräfte, der Rolle der Arbeiterklasse und der verschiedenen ideologischen Richtungen in ihr, der Politik und der Ziele der Vorhut der Arbeiterklasse am Vorabend der Novemberrevolution, während der Novemberrevolution, während der Januarkämpfe und bis zur Nationalversammlung, und die Einschätzung der Rolle der Bauern und der anderen kleinbürgerlichen Schichten.

Es gilt besonders, den heldenmütigen und opferreichen Kampf der Arbeiterklasse und der Volksmassen für die Beendigung des Krieges und den Sturz der Monarchie zu schildern.

Lenin wandte sich gegen die Wissenschaftler, die im historischen Materialismus nur eine Theorie sehen, und wies darauf hin, daß der historische Materialismus nicht nur eine Theorie, sondern auch die Methode zur Erkenntnis der gesellschaftlichen Erscheinungen ist. Manche Genossen Historiker haben aber die Grundthese vernachlässigt, daß der historische Materialismus die Ausdehnung des dialektischen Materialismus auf die Erforschung der Geschichte der Gesellschaft ist.

Ein Genosse vom Institut für Marxismus-Leninismus ließ sich bei seiner Einschätzung unter anderem davon leiten, daß die These der sozialistischen Novemberrevolution eine wirkungsvollere Argumentation für die Massen sei. Es ist aber doch unmöglich, statt von einer wissenschaftlichen Einschätzung der Bedingungen des Klassenkampfes und der Klassenkräfte auszugehen, sich von propagandistischer Nützlichkeit leiten zu lassen, die obendrein nicht bewiesen werden kann. Manche Genossen haben die Leninsche Theorie von der sozialistischen Revolution, die in der Periode des Imperialismus auf alle Erscheinungen des Klassenkampfes anzuwenden ist, nicht beachtet. Die Frage der Macht als die Grundfrage aller Revolutionen und die Lehre von der Rolle der marxistisch-leninistischen Partei wurden, obwohl den Genossen die Moskauer Deklaration der kommunistischen und Arbeiterparteien vom November 1957 bekannt war, nicht berücksichtigt. Das Vorhandensein einer marxistisch-leninistischen Partei, die die Arbeiterklasse führt, wird in diesem Dokument als eine der allgemein-gültigen Gesetzmäßigkeiten angeführt. Einige Genossen haben das wohl zur Kenntnis genommen, aber bei der Einschätzung des Charakters der Novemberrevolution keine Schlußfolgerungen gezogen.

Ein Genosse bezeichnete die These, daß es ohne die Existenz einer marxistisch-leninistischen Partei keine sozialistische Revolution geben kann, als „unzulässige Überspitzung“. Ein anderer Genosse behauptete, „daß die Heranziehung des subjektiven Faktors für die Bestimmung des Charakters einer Revolution Subjektivismus“ 2 sei.

Beweist das nicht, Genossen, daß für diese Genossen Historiker die These über die Rolle der Partei gar nicht als ernsthafte wissenschaftliche Aussage bestand? Es zeigte sich, daß manche Genossen an den Instituten unserer Partei die Rolle der Partei unterschätzen. Das war eine der Kernfragen in der ganzen Diskussion.

Einige Genossen sahen nur die sozialökonomischen Bedingungen und beurteilten auf Grund der hohen Kapitalkonzentration und des tiefen Widerspruchs zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse den Charakter – der Revolution. Sie nahmen eine schematische Trennung der objektiven und subjektiven Faktoren vor. Diese Trennung widerspricht der dialektischen Methode. Sie führt zur Unterschätzung der Bedeutung und Rolle einer marxistisch-leninistischen Kampfpartei, die das Proletariat organisiert und die Massen für das Programm der Partei mobilisiert. Diese Genossen beachteten nicht Lenins Hinweis, daß man an die Erforschung des Klassenkampfes dialektisch herangehen muß. Lenin schrieb, der Marxismus erfordert

„unbedingt ein historisches Herangehen an die Frage der Kampfformen. Diese Frage außerhalb der historisch-konkreten Situation behandeln heißt das Abc des dialektischen Materialismus nicht verstehen.“ 3

Die Parteilichkeit ist ein fester Bestandteil des historischen Materialismus, der eine objektive Einschätzung der Lage jeder Klasse der Gesellschaft ermöglicht und beweist, daß die Zukunft dem Proletariat, der fortschrittlichsten Klasse gehört. Der historische Materialismus zeigt uns, daß die Interessen des Proletariats, sein Kampf und seine Handlungen dem objektiven Prozeß der gesellschaftlichen Entwicklung entsprechen.

Gegen die Spontaneitätstheorie

In einem Artikel in der „Einheit“ schrieb ein Genosse vom Institut für Marxismus-Leninismus, daß trotz der subjektiven Schwäche des Proletariats die Novemberrevolution eine sozialistische Revolution gewesen sei. In dem Artikel heißt es: „Ohne Zweifel lag in diesem ‚subjektiven Faktor’, in dem ungenügenden Bewußtsein und der ungenügenden Organisiertheit der Arbeiterklasse, die verhängnisvolle Schwäche der deutschen Novemberrevolution… Aber kann man wegen dieser unbestreitbaren subjektiven Schwäche des Proletariats der deutschen Novemberrevolution den Charakter einer sozialistischen Revolution absprechen?“ 4

Dieser Genosse hat nicht verstanden, Lenins Werk „Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution“ schöpferisch auf die Entwicklungsbedingungen in Deutschland anzuwenden.

Genosse Lenin lehrt uns:

Der Grad der ökonomischen Entwicklung Rußlands (die objektive Bedingung) und der Grad des Klassenbewußtseins und der Organisiertheit der breiten Massen des Proletariats (die subjektive Bedingung, die mit der objektiven unlöslich verbunden ist) machen eine sofortige vollständige Befreiung der Arbeiterklasse unmöglich. Nur ganz unwissende Leute können den bürgerlichen Charakter der vor sich gehenden demokratischen Umwälzung ignorieren; nur ganz naive Optimisten können vergessen, wie wenig die Masse der Arbeiter bisher von den Zielen des Sozialismus und den Mitteln zu seiner Verwirklichung weiß. Und wir sind doch alle überzeugt, daß die Befreiung der Arbeiter nur das Werk der Arbeiter selbst sein kann. Ohne Klassenbewußtsein und ohne Organisiertheit der Massen, ohne ihre Schulung und Erziehung durch den offenen Klassenkampf gegen die gesamte Bourgeoisie kann von der sozialistischen Revolution keine Rede sein.“ 5

Lenin bestätigt: Wer die Bedeutung des subjektiven Faktors in der gesellschaftlichen Entwicklung (den Grad des Klassenbewußtseins, die Rolle der Partei) schmälert und nur die sozialökonomischen Bedingungen berücksichtigt, muß unvermeidlich ein Verfechter der bürgerlich-objektivistischen Theorie der Spontaneität werden. Jeder Versuch aber, der Spontaneität zu huldigen, die Rolle der Partei aber außer acht zu lassen, führt zur Stärkung der bürgerlichen Ideologie.

Es zeigt sich also, daß einige Genossen Historiker den dialektischen Materialismus nicht auf die Geschichte anzuwenden verstanden und daher den Charakter der Novemberrevolution falsch einschätzten.

Die militärische Niederlage Deutschlands im ersten Weltkrieg und die Novemberrevolution

Vier Jahre lang hatten die Kriegstreiber mit den brutalsten Gewaltmethoden jede freiheitliche Regung der Volksmassen zu ersticken versucht. Bis zum letzten Moment wurde vor den Massen die Tatsache der militärischen Niederlage zu verschleiern versucht. Aber die verlogensten Berichte konnten seit August 1918 nicht mehr verdecken, daß der Krieg verloren war. Die Losung der Spartakusgruppe: „Nieder mit der Regierung! Nieder mit dem Krieg!“ fand immer stärkeren Widerhall bei den Volksmassen.

Der deutsche Imperialismus erstickte in den Fängen des Krieges und des Hungers und wurde durch den Widerstand großer Teile der Arbeiterklasse gegen die Fortsetzung des Krieges tief erschüttert.

Was wollte die Arbeiterklasse? Den sofortigen Frieden, die Beseitigung der Regierung des Krieges und der Monarchie, die für den Krieg verantwortlich waren. Im Aufruf der Spartakusgruppe vom 7. Oktober 1918 wurde in richtiger Weise von den Forderungen nach sofortigem Frieden und Demokratie ausgegangen und der Hauptstoß gegen den deutschen Imperialismus geführt. Die Spartakusgruppe rief zur Bildung von Räten als Machtorgane der Arbeiterklasse auf, die sich auf die revolutionären Obleute in den Betrieben stützen sollten. Es wurde zur Bildung bewaffneter Formationen der Arbeiter aufgerufen. In Kiel begann die revolutionäre Erhebung.

Der Aufstand am 9. November in Berlin, der bewaffnete Kampf der Arbeiter und Soldaten fegte die Monarchie hinweg; doch vom ersten Tage der Revolution an stand der deutschen Arbeiterklasse eine gut organisierte und an Erfahrungen reiche Bourgeoisie gegenüber. Durch die Verständigung der Vertreter der SPD und USPD wurde eine sogenannte Regierung der Volksbeauftragten gebildet, die ihrem Wesen nach eine sozialdemokratische Regierung war. Ihre Hauptforderung war der sofortige Frieden. Sie nutzte die Kriegsmüdigkeit der Volksmassen aus und erweckte den Eindruck, daß das Ziel der Novemberrevolution durch die Beendigung des Krieges, die Beseitigung der Monarchie und den Waffenstillstand bereits erreicht sei. In der Tat führte sie aber den Krieg gegen Sowjetrußland weiter. Das Programm der Regierung Ebert-Scheidemann ging über soziale Reformen im Rahmen der bürgerlich-kapitalistischen Ordnung nicht hinaus. Die kapitalistische Staatsmacht war damals tief erschüttert, aber der Staatsapparat arbeitete in bestimmtem Umfang weiter, soweit das den Kampf gegen die Arbeiterklasse betraf. Die Vorhut der Arbeiterklasse forderte die Entfernung der Reaktionäre aus dem Staatsapparat und die Demobilisierung und Entwaffnung der Truppen, die noch auf das Kommando Hindenburgs hörten. Auf Grund ihrer bürgerlichen Auffassung über den Staat, aus Furcht vor den Massen und unter dem Druck der Konterrevolution verbündete sich die Regierung Ebert-Scheidemann-Haase-Kautsky mit dem deutschen Militarismus und schloß ein Bündnis mit den Vertretern des Monopolkapitals, um so die Entwicklung der Revolution zu verhindern. Das war ihr nur möglich, weil die Mehrheit in den Räten unter sozialdemokratischem Einfluß stand. Die Arbeiterklasse kontrollierte zum Teil die Betriebe, und die revolutionären Obleute hatten in den Betrieben einen gewissen Einfluß. Aber die ökonomische Macht lag nach wie vor in den Händen der Bourgeoisie. Die Regierung Ebert-Scheidemann verhinderte mit allen ihr zur Verfügung stehenden Kräften die Übernahme der Konzerne und anderer Rüstungsbetriebe in die Hände des Volkes. Die Regierung sprach viel davon, daß „der Sozialismus marschiert“, aber sie führte nicht einmal die notwendigen Maßnahmen zur Demokratisierung durch. In vielen Städten hatte die Vorhut der Arbeiterklasse begonnen, den Staatsapparat von Militaristen zu säubern, aber die „Regierung der Volksbeauftragten“ versuchte das zu verhindern. So blieb der alte reaktionäre kaiserliche Staatsapparat im wesentlichen erhalten.

Die Arbeiter- und Soldatenräte kämpften für die demokratischen Rechte des Volkes. Durch ihren Kampf hatten die Arbeiter und Soldaten die jahrhundertealte Monarchie hinweggefegt und dazu beigetragen, den Krieg zu beenden. Große Teile der Arbeiterschaft glaubten, daß durch die Bildung der „Regierung der Volksbeauftragten“ schon die politische Macht der Arbeiter garantiert sei. Die Räte waren Organe der Arbeiterklasse und übten, hauptsächlich im örtlichen Maßstab, zeitweilig die Macht aus, solange die Aktionseinheit vorhanden war. Die SPD-Führung hatte nur ein Bestreben: die Revolution abzuwürgen und die Räte zu Ordnungsorganen zu degradieren. Es gelang ihr immer mehr, die Räte von innen heraus zu zersetzen. Die Arbeiter wollten den Sozialismus. Sie hatten aber unklare Vorstellungen, wie man ihn erreicht. Es wirkte das verhängnisvolle Erbe der sozialdemokratisch-parlamentarischen rechtsstaatlichen Illusionen in der deutschen Arbeiterklasse. Das war die Frucht der langen Herrschaft des Revisionismus.

Charakteristisch für die Regierung der Volksbeauftragten war, daß bei dem Waffenstillstand mit der Entente vereinbart wurde, daß die Sowjetukraine weiter durch deutsche Truppen besetzt bleiben sollte. Die Position der deutschen Regierung blieb also auch nach der Abdankung Wilhelms II. und der Errichtung der Republik antisowjetisch. Sie versuchte, sich durch ihren Antibolschewismus bei den Westmächten anzubiedern, um günstige Friedensbedingungen zu erhalten. Sie demonstrierte damit jedoch nur ihre eigene Schwäche. „Die Aasgeier des ersten Weltkrieges“, wie Lenin die Imperialisten der USA nannte, kamen den Verrätern bereitwillig entgegen und unterstützten die Ebert-Scheidemann-Regierung, um so die proletarische Revolution zu verhindern. Bereits im Oktober 1918 sagte der amerikanische General Bliss offen und zynisch, wie die Nachkriegspolitik der USA gegenüber Deutschland aussehen werde: „Deutschland … muß ein Bollwerk gegen den Bolschewismus sein.“ 6

Das amerikanische Monopolkapital zeigte großes Interesse für die Entwicklung in Deutschland und mischte sich in die inneren Angelegenheiten des deutschen Volkes ein. Es drohte mit einer Invasion, wenn es der Arbeiterklasse gelingen sollte, die Macht zu erobern. In einem Telegramm der deutschen Gesandtschaft aus Den Haag vom 10. November hieß es: „Amerikanischerseits wird mitgeteilt, daß es vom Standpunkt der Entente für besonders wichtig gehalten werde, daß die Zentralregierung in Berlin weiterhin mit den Stadt- und Landregierungen im Einklang stehe, damit Deutschland für die Alliierten verhandlungsfähig bleibe und [man – W.U. ] keinen Grund finde, nach Deutschland einzumarschieren, um Ordnung zu schaffen.“ 7

Es zeigte sich, daß die führenden Kräfte der deutschen Bourgeoisie und der Entente die Lehren aus der Oktoberrevolution gezogen hatten und alles unternahmen, um die Arbeiterklasse zu spalten, indem sie die deutsche Sozialdemokratie einspannten, um die Revolution aufzuhalten und die Vorhut der Arbeiterklasse niederzuwerfen.

Die Novemberrevolution hat ihre historische Aufgabe nicht gelöst. Infolge der opportunistischen Haltung der SPD-Führung wurde nicht einmal die bürgerlich-demokratische Revolution zu Ende geführt. Doch die Ergebnisse der Revolution, die für die weitere Entwicklung in Deutschland von großer Bedeutung sind, dürfen nicht unterschätzt werden.

Was würde in der Novemberrevolution erreicht? Die Arbeiter und Soldaten hatten die Monarchie gestürzt. Sie hatten eine bürgerlich-demokratische Republik erkämpft. Die Arbeiterklasse hatte sich demokratische Rechte und Freiheiten, wie die Rechte der Betriebsräte, das allgemeine Wahlrecht – auch für Frauen -, Presse- und Versammlungsfreiheit, errungen. Die alte Forderung der Arbeiterbewegung auf sozialem Gebiet, der Achtstundentag, wurde gesetzlich festgelegt. Die Ausnahmegesetze gegen die Landarbeiter sowie die halbfeudale Gesindeordnung auf dem Land wurden beseitigt.

Trotz dieser Tatsachen kam der Autor eines Artikels in der „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“, 1958, Heft 1, zu der Auffassung, daß man, wenn man die Novemberrevolution als eine bürgerliche Revolution bezeichnet, zu der Schlußfolgerung kommen könne, die sozialdemokratische Führung habe recht gehabt und gar keinen Verrat geübt.

Zur Rolle der Sozialdemokratie

In dem Artikel heißt es:

„Mir scheint, die Bewertung der Novemberrevolution als bürgerliche Revolution begünstigt die Annäherung an die von Stampfer gegebene demagogische Version, daß die Mehrheitssozialdemokraten die Revolution nicht verraten hätten.“ 8

Der Verfasser übersieht, daß durch die Politik der sozialdemokratischen Führung, den kapitalistischen Staat zu retten, selbst die Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution verhindert wurde. Es erfolgte weder eine Säuberung des Staatsapparates von den feudalen militaristischen Kräften noch die Durchführung der Bodenreform; die feudalen Grundbesitzer blieben in ihren politischen und wirtschaftlichen Machtpositionen. Damit war aber auch der Übergang zur sozialistischen Revolution nicht möglich.

Der Autor wirft auch die Frage nach dem Wesen der SPD auf. Wenn wir die Politik der sozialdemokratischen Parteiführung in der Novemberrevolution beurteilen wollen, müssen wir davon ausgehen, daß die Sozialdemokratische Partei Deutschlands einen Wandlungsprozeß vom Marxismus zum Revisionismus durchgemacht hatte. In ihren Jugendjahren bekannte sich die Partei zum wissenschaftlichen Sozialismus und proletarischen Internationalismus von Marx und Engels. Unter dem Einfluß von Marx und Engels, die einen konsequenten Kampf gegen den Opportunismus, gegen das Eindringen der bürgerlichen Ideologie in die Partei führten, entwickelte sich die SPD zu einer zahlenmäßig starken Organisation, die bei den Arbeitern in Deutschland und auch international anerkannt war. Nach dem Tode von Engels mißachteten die Führer der SPD die Mahnungen und Hinweise von Marx und Engels; in der weiteren Entwicklung breitete sich der Opportunismus aus und beherrschte allmählich die Partei.

Welche Rolle die sozialdemokratische Führung 1914 spielte, ist allgemein bekannt. Im Juli 1914, als die imperialistischen Gegensätze sich aufs äußerste zugespitzt hatten und der deutsche Imperialismus den Weltkrieg vom Zaunebrach, wurde das opportunistische Wesen der sozialdemokratischen Parteien in den einzelnen Ländern offenbar. Eine Ausnahme machten nur die Dumaabgeordneten der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands (Bolschewiki). Die Führer der deutschen Sozialdemokratie gingen auf die Position des Sozialchauvinismus über und wurden Verteidiger der imperialistischen Bourgeoisie. 1918 setzten sie auf einer höheren Stufe ihre Handlangerdienste für die imperialistische Bourgeoisie fort. Die deutschen Imperialisten waren mit der Politik der SPD-Führung von 1918/1919 und ihren Ergebnissen völlig einverstanden. Die Politik der SPD-Regierung bereitete der Restauration, dem Wiedererstarken des deutschen Imperialismus den Weg.

Die historischen Tatsachen zeigen uns also, wer die Straße der revolutionären Arbeiterpartei verlassen hat. Die Straße der revolutionären Partei des Proletariats haben Karl Marx und Friedrich Engels im Kommunistischen Manifest vorgezeichnet. Sie sahen die vordringlichste Aufgabe darin, die Lehre des wissenschaftlichen Sozialismus in die Arbeiterklasse hineinzutragen und einen konsequenten, unermüdlichen Kampf gegen alle Entstellungen und Verfälschungen des wissenschaftlichen Sozialismus zu führen. Die wichtigste Grundbedingung für die Entwicklung der Kommunistischen Partei war nach Marx der Kampf gegen den Einfluß der bürgerlichen Ideologie in der Arbeiterklasse.

Diese Lehre wurde von den Opportunisten und Revisionisten in der Parteiführung in den Wind geschlagen. Nur die Linken in der SPD verteidigten den Marxismus gegen die Angriffe der Opportunisten und Revisionisten. Sie waren es, die das Banner des Marxismus hochhielten.

Das Problem ist also folgendes: einerseits machte die geschichtliche Situation seit dem Übergang des deutschen Kapitalismus in die Etappe des Imperialismus die Entwicklung der Partei der Arbeiterklasse zu einer Partei neuen Typus, zu einer revolutionären Kampfpartei notwendig, andererseits war der Einfluß der bürgerlichen Ideologie bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts so stark, daß es nicht gelang, die Revisionisten aus der Partei zu entfernen. Das Unglück der deutschen Arbeiterbewegung bestand darin, daß sich die Linken nicht rechtzeitig und vollständig vom Opportunismus trennten.

Zur Politik der Spartakusgruppe

Am 7. Oktober 1918 fand die geschichtlich bedeutungsvolle Konferenz der Spartakusgruppe und der Linksradikalen statt. Auf dieser Konferenz wurde die Arbeiterklasse zum revolutionären Kampf für den sofortigen Frieden, für den Sturz der Regierung des Krieges aufgerufen. Der Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution hatte die revolutionären Kräfte der deutschen Arbeiterklasse gestärkt und ihnen Mut zum Kampf gegen den Feind im eigenen Land gegeben. Die Genossen der Spartakusgruppe berieten auf Grund der revolutionären Situation über die nächsten Aufgaben und Kampfmaßnahmen. Auf dieser Konferenz wurde ein Aufruf an die Bevölkerung angenommen, und wörtlich hieß es dann:

Proletarier, die Erreichung dieser Ziele bedeutet noch nicht die Erreichung eures Zieles, sie sind der Prüfstein dafür, ob die Demokratisierung, die die herrschenden Klassen und deren Agenten euch vorflunkern, echt ist. Der Kampf um die wirkliche Demokratisierung … gilt den realen Grundlagen aller Feinde des Volkes: Besitz an Grund und Boden und Kapital, Herrschaft über die bewaffnete Macht und über die Justiz.“ 9

Somit stellte die Spartakusgruppe richtig fest, daß die Beseitigung des Militarismus, die konsequente Demokratisierung, die Enteignung der Konzernherren, Großgrundbesitzer und aller Kriegsschuldigen erforderlich sind. Das Programm war das Ergebnis einer gründlichen Analyse der politischen Situation in Deutschland, wobei die Lehren Lenins aus seinen grundlegenden Werken „Was tun?“ und „Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution“ entsprechend der historischen Situation in Deutschland berücksichtigt wurden. Mit diesem klaren Programm erwies sich die Spartakusgruppe als ziel- und richtunggebende Kraft der Revolution.

Die Spartakusgruppe hat also nicht darauf orientiert, wie einige Genossen behaupten, mit einem Sprung zur Diktatur des Proletariats und zum Sozialismus zu, kommen.

Die Grundfrage der Revolution

Die Schaffung der sozialistischen Republik, wie sie Karl Liebknecht verkündete und wofür die Vorhut der Arbeiterklasse kämpfte, war als Zielsetzung richtig. Aber die Gewinnung der Mehrheit der Arbeiterklasse für dieses Ziel war nur möglich im Kampf um die Durchsetzung der Forderungen, die im Aufruf der Spartakusgruppe vom 7. Oktober 1918 enthalten sind. Das Charakteristische war doch das Zusammenfallen demokratischer Forderungen mit antiimperialistischen, wie die Bestrafung der Kriegsverbrecher, die Enteignung der Rüstungskonzerne und die Sozialisierung der Grundstoffindustrie.

Im Verlaufe der Revolution erwies es sich, daß der revolutionäre Aufstand, der mit der Beseitigung der kaiserlichen Regierung und dem Kampf zur Herbeiführung eines sofortigen Friedensschlusses begann, nicht zur sozialistischen Revolution weitergeführt werden konnte, weil eine opportunistische Partei, die deutsche Sozialdemokratie, den Haupteinfluß auf die deutsche Arbeiterklasse hatte, weil sie auf Grund ihrer kleinbürgerlichen Auffassungen und aus Angst vor dem revolutionären Willen der Massen sich mit den Herren von Kohle und Stahl sowie den Militärs verbündete und so die Weiterentwicklung der Novemberrevolution verhinderte. Die SPD wollte und konnte die Aufgabe der Revolution nicht lösen.

So einig sich die Mehrheit der Arbeiterklasse und der Werktätigen über den Sturz Wilhelms II. und die Beendigung des Krieges war und so entschieden von der Mehrheit der Arbeiterklasse der Sozialismus gefordert wurde, so weit gingen die Meinungen über die Festigung der errungenen Freiheiten, über die Beseitigung der Macht des Imperialismus und über den Weg zum Sozialismus auseinander.

Die Mehrheit der Arbeiterklasse hatte die Illusion, durch die Nationalversammlung und mit Hilfe der Sozialisierungskommission den Sozialismus errichten zu können. Die einzige wirklich vorwärtstreibende Kraft, die Lokomotive der revolutionären Bewegung, waren die Mitglieder des Spartakusbundes unter der Führung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Neben Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg leisteten auch Leo Jogiches, Clara Zetkin, Franz Mehring und Wilhelm Pieck unter schwierigsten Verhältnissen eine ungeheure Arbeit. Gestützt auf revolutionäre Arbeiter und Soldaten, organisierten sie die Herausgabe einer revolutionären Zeitung. Bereits am Abend des 9. November erschien die erste Nummer der „Roten Fahne“.

Unter dem Schlagwort „Brot oder Bolschewismus“ hetzte die bürgerliche Presse, am eifrigsten aber der „Vorwärts“, die Zeitung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, gegen den Spartakusbund. Rosa Luxemburg enthüllte in der „Roten Fahne“ vom 18. November 1918 die Hintergründe dieser Hetze. In klarer und deutlicher Sprache entlarvte sie die rechten Sozialdemokraten. In diesem Artikel heißt es unter anderem:

„Wir kennen die Weise, wir kennen den Text und auch die Verfasser. Es sind die Kreise der abhängigen Sozialdemokraten, der Scheidemann, Ebert, Otto Braun, der Bauer, Legien und Baumeister, die zielbewußt die öffentliche Meinung mit schamlosen Lügen vergiften und das Volk gegen uns aufhetzen, weil sie unsere Kritik fürchten und sie zu fürchten allen Grund haben.

Diese Leute, die noch eine Woche vor Ausbruch der Revolution jeden Gedanken an Revolution in Deutschland als Verbrechen, ‚Putschismus’, Abenteuer denunzierten, die erklärten, in Deutschland sei die Demokratie schon verwirklicht, weil Prinz Max Reichskanzler war und Scheidemann mit Erzberger in Ministerfracks herumliefen, diese Leute wollen heute dem Volk einreden, die Revolution sei schon gemacht, die Hauptziele seien schon erreicht. Sie wollen den weiteren Fortgang der Revolution aufhalten, sie wollen das bürgerliche Eigentum, die kapitalistische Ausbeutung retten! Dies ist die ‚Ordnung’ und die ‚Ruhe’, die man vor uns behütet.“ 10

Nur die Genossen des Spartakusbundes kämpften unter der richtigen Losung „Alle Macht den Räten“. Sie mobilisierten die Massen, doch ihre politisch-organisatorische Kraft reichte nicht aus, um die Mehrheit in den Räten zu gewinnen. Die Räte vermochten nicht einmal den alten Staatsapparat zu säubern und den militärischen Machtapparat zu zerschlagen. Es fehlte eine marxistisch-leninistische Partei, die die Massen in diesem Kampf geführt hätte.

In der Diskussion der Kommission hat es sich gezeigt, daß bei einigen Genossen Unklarheiten über die Frage der politischen Macht, die Hauptfrage jeder Revolution, vorhanden waren.

Bereits Karl Marx und Friedrich Engels haben im Kommunistischen Manifest nachgewiesen, daß das Wesen der sozialistischen Revolution in der Machtergreifung besteht. Aber die Genossen, die die Novemberrevolution als sozialistische Revolution charakterisierten, berücksichtigen nicht diese Erkenntnis des Marxismus. Sie beachten auch nicht die Leninschen Darlegungen, in denen er nachgewiesen hat, daß die bürgerlich-demokratische Revolution in der Epoche des Imperialismus unmittelbar an die proletarische Revolution heranführt und die Weiterführung der Revolution lediglich vom Reifegrad des subjektiven Faktors, dem Grad des Klassenbewußtseins und der Organisiertheit des Proletariats und seinem Bündnis mit der armen Bauernschaft abhängt. Lenin hat die Hauptfrage der Revolution, die Frage der politischen Macht, auf neue Art entsprechend den Kampfbedingungen in der Periode des Imperialismus gestellt.

Ein Genosse vom Institut für Marxismus-Leninismus vertrat folgenden Standpunkt:

„Weil sie die Aufgaben der sozialistischen Revolution nicht gelöst hat, sondern nur einige, nicht einmal alle bürgerlichdemokratischen Aufgaben erfüllte, wird die Novemberrevolution als eine bürgerlich-demokratische Revolution charakterisiert. Diese These wurde und wird damit begründet, daß die Revolution die Grundlagen der kapitalistischen Ordnung nicht angetastet habe, daß nur die Form der Staatsmacht geändert wurde usw. – kurz eben mit den Ergebnissen der Revolution. Auch das ist nach meiner Ansicht falsch.“ 11

Dieser Genosse verstand nicht, Lenins Werk „Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution“ auf die damaligen Bedingungen anzuwenden.

Die Lösung des Widerspruchs zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen ist die ökonomische Grundfrage der sozialen Revolution. Bei der Untersuchung der Grundfragen einer Revolution muß man von diesem Widerspruch ausgehen. In seinem Werk „Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution“ sowie in den Aprilthesen entwickelte Lenin die Besonderheiten der bürgerlich-demokratischen Revolution in der Epoche des Imperialismus, das Hinüberwachsen von der ersten in die zweite Etappe, das heißt zur sozialistischen Revolution. Eine Revolution nimmt erst dann einen proletarischen Charakter an, wenn die Arbeiterklasse – und sei es auch nur vorübergehend – die Hauptfrage der Revolution, die Frage der Macht, löst.

Einige Historiker kamen auch deshalb zu einer falschen Einschätzung, weil sie einzelne Tatsachen aus dem Zusammenhang herausgriffen und verallgemeinerten. Sie haben Lenins Hinweis in „Statistik und Soziologie“ über den historischen Materialismus nicht berücksichtigt. Lenin sagt:

Auf dem Gebiet der gesellschaftlichen Erscheinungen gibt es ein außerordentlich verbreitetes und ebenso fehlerhaftes Verfahren, nämlich das Herausgreifen einzelner Tatsachen und das Jonglieren mit Beispielen. Beispiele einfach zusammentragen macht keine Mühe, hat aber auch keine oder nur rein negative Bedeutung, denn worauf es ankommt, das ist die konkrete historische Situation, auf die sich die einzelnen Fälle beziehen. Tatsachen sind, nimmt man sie in ihrer Gesamtheit, in ihrem Zusammenhang, nicht nur ‚hartnäckige’, sondern auch unbedingt beweiskräftige Dinge. Nimmt man aber einzelne Tatsachen, losgelöst vom Ganzen, losgelöst aus ihrem Zusammenhang, sind die Daten lückenhaft, sind sie willkürlich herausgegriffen, dann ist das eben nur ein Jonglieren mit Daten oder etwas noch Schlimmeres.“ 12

Weiter heißt es:

Die Schlußfolgerung daraus ist klar: Man muß versuchen, aus exakten und unbestreitbaren Tatsachen ein Fundament zu errichten, auf das man sich stützen kann und mit dem man jede der ‚allgemeinen’ oder ‚auf Beispielen fußenden’ Betrachtungen konfrontieren kann, mit denen heutzutage in einigen Ländern so maßlos Mißbrauch getrieben wird. Damit es wirklich ein Fundament wird, kommt es darauf an, nicht einzelne Tatsachen herauszugreifen, sondern den Gesamtkomplex der auf die betreffende Frage bezüglichen Tatsachen zu betrachten, ohne eine einzige Ausnahme, denn sonst taucht unvermeidlich der Verdacht, und zwar der völlig berechtigte Verdacht auf, daß die Tatsachen willkürlich ausgewählt oder zusammengestellt sind, daß nicht der objektive Zusammenhang und die objektive wechselseitige Abhängigkeit der historischen Erscheinungen in ihrer Gesamtheit dargestellt werden, sondern daß es sich um ein ‚subjektives’ Machwerk zur Rechtfertigung einer vielleicht schmutzigen Sache handelt.“ 13

Einige Genossen waren bei der Diskussion der Auffassung, daß der Wendepunkt, an dem die Grundfrage der Novemberrevolution zugunsten des reaktionären deutschen Imperialismus entschieden wurde, nicht der erste Reichsrätekongreß und die Januarkämpfe gewesen seien.

Welche politischen Hauptkräfte wirkten zur Zeit des Reichsrätekongresses?

Der Spartakusbund und die linken unabhängigen Sozialdemokraten, die Vorhut der Arbeiterklasse, die die Forderungen vertraten: Alle Macht den Räten, Entwaffnung der Konterrevolution, Entmachtung der Konzernherren und Junker, der Hauptverantwortlichen für den Krieg und die Katastrophe, Kampf mit dem Ziel des Sozialismus.

Die ihrem Wesen nach kleinbürgerliche Regierung Ebert-Scheidemann, die von der Mehrheit der Arbeiterklasse unterstützt wurde. Sie verhinderte konsequente demokratische Maßnahmen. Sie sprach von Sozialisierung, führte aber den Kampf gegen links, gegen die revolutionären Kräfte.

Die deutsche Bourgeoisie, die die Führung der Sozialdemokratie, der rechten USPD-Leute und der Gewerkschaften für sich benutzte und zugleich die halbfeudalen Offiziere sowie preußische Feldwebel und irregeführte Soldaten zum militärischen Kampf gegen die Arbeiterklasse aufputschte und finanzierte. Die ausländischen Imperialisten, besonders der USA, unterstützten die deutsche Bourgeoisie.

Die organisierte militärische Konterrevolution, die von der alten Offizierskaste geführt wurde und in Freiwilligenverbänden, in der Gardekavallerieschützendivision und anderen militärischen Formationen zusammengefaßt war. Diesen Organisationen gehörten viele Leute an, die uns später unter dem Faschismus bekannt wurden, die Killinger, General von Epp und wie sie alle heißen, die damals an der Spitze dieser Divisionen kämpften.

Am Tage des ersten Reichsrätekongresses forderten 250000 Werktätige auf einer Riesendemonstration, die von den revolutionären Obleuten und dem Spartakusbund organisiert war, vom Kongreß Maßnahmen zur Verwirklichung der Losung „Alle Macht den Räten“. Die rechtssozialdemokratischen Führer hatten auf dem Kongreß den entscheidenden Einfluß. Mehr als die Hälfte der Delegierten waren Vertreter der SPD. Die Sozialdemokratische Partei setzte mit dieser Mehrheit ihre Pläne zur Liquidierung der Revolution durch. Anstatt die Macht in seinen Händen zu konzentrieren, beschloß der Kongreß die Übertragung der gesetzgebenden und vollziehenden Gewalt an den „Rat der Volksbeauftragten“ und legte die Wahlen zur Nationalversammlung fest.

Der größte Teil der Delegierten des Kongresses erkannte nicht, daß durch den Beschluß, die Macht der Räte an die Ebert-Scheidemann-Regierung zu übergeben, die Grundfrage der Revolution, die Frage der Macht, zugunsten der Bourgeoisie entschieden wurde. Auf diesen verhängnisvollen Beschluß folgte der planmäßige Angriff der konterrevolutionären Truppen gegen die Arbeiter und Soldaten.

Der Widerspruch bestand darin: Die Arbeiter kämpften zwar heldenhaft für den Frieden und für den Sturz der Monarchie, sie bildeten auch Arbeiter- und Soldatenräte, aber die meisten Arbeiter- und Soldatenräte glaubten, daß durch den Sturz der Monarchie und die Beendigung des Krieges die Voraussetzungen für die Befreiung der Arbeiterklasse und die Schaffung des Sozialismus bereits gegeben seien.

Die Mehrheit der Delegierten des Rätekongresses war durch die Versprechungen über „unverzügliche Sozialisierung“ und ähnliche Maßnahmen überzeugt, daß nunmehr die sozialistische Entwicklung garantiert sei. Die Massen meinten die Sozialisierungsforderungen ernst. Sie erkannten jedoch nicht, daß ohne Eroberung der politischen Macht solche Forderungen nicht zu realisieren sind.

Von Seiten der Regierung war die Losung „Sozialisierung“ nur eine demagogische Forderung, um Zeit für die Sicherung der bürgerlichen Staatsmacht zu gewinnen. Sie nutzte die Tatsache aus, daß die heroisch kämpfenden Arbeiter noch in unklaren Vorstellungen über den Sozialismus und die Wege zu ihm befangen waren.

In dieser Situation wurde das Fehlen einer marxistisch-leninistischen Partei besonders fühlbar. Die Genossen des Spartakusbundes und der Bremer Linksradikalen waren zahlenmäßig zu schwach und organisatorisch nicht genügend gefestigt, um auf die gesamte Rätebewegung Einfluß nehmen und sie führen zu können.

In der zweiten Phase der Novemberrevolution, nach dem ersten Reichsrätekongreß, entstand eine neue Lage. Die sozialdemokratischen Führer halfen offen der Konterrevolution, die Vorhut der Arbeiterklasse niederzuwerfen. Die Vorhut der Arbeiterklasse forderte in dieser Situation die Aktivierung der Räte, um mit ihnen die demokratischen und antiimperialistischen Forderungen durchzusetzen. Die Vorhut der Arbeiterklasse trat für die Säuberung des Staatsapparates, für die Bewaffnung der Arbeiter und für das Bündnis mit Sowjetrußland ein.

Die Hauptfrage war somit, die demokratische Revolution zu Ende zu führen und in diesem Kampf die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse herauszubilden und zu organisieren. Es galt, durch die Organisierung des Massenkampfes für die demokratischen und antiimperialistischen Forderungen die Arbeiterklasse vorwärtszuführen, das Bündnis der rechten sozialdemokratischen Führer mit der Bourgeoisie zu entlarven und die Mehrheit in den Räten und Gewerkschaften zu gewinnen.

Es gelang jedoch der Bourgeoisie im Januar 1919 mit Hilfe der Regierung Ebert-Scheidemann, die Vorhut der Arbeiterklasse zum bewaffneten Kampf zu zwingen, um die revolutionäre Vorhut niederzuwerfen und zu verhindern, daß die inzwischen gegründete junge KPD sich mit den linken sozialdemokratischen Arbeitern verbindet und sich zu einer revolutionären Massenpartei entwickelt.

Die reaktionären Truppen bereiteten dem Proletariat eine blutige Niederlage. Die Führer der jungen Kommunistischen Partei, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, wurden bestialisch ermordet. Trotz alledem kämpften breite Massen des Proletariats in Berlin, im Ruhrgebiet, in Leipzig, in Bremen und in der Münchener Räterepublik unter persönlichen Opfern weiter gegen die militaristische Reaktion und für die Beseitigung der militaristischen und imperialistischen Machtpositionen, für die Vergesellschaftung der Grundstoffindustrie. Mit den Wahlen zur Nationalversammlung nahm diese dritte Phase der Novemberrevolution, die mit der Niederlage in den Januarkämpfen in Berlin begann, ihr Ende.

Wir sehen also, eine Revolution wird nicht allein durch die objektiven, sozialökonomischen Voraussetzungen und die sozialistischen Vorstellungen und Wünsche der Vorhut und der breiten Masse zur proletarischen Revolution, sie wird es erst, wenn im Kampf unter Führung der marxistisch-leninistischen Partei das Klassenbewußtsein der Arbeiterklasse und der werktätigen Masse, die Organisiertheit so gewachsen sind, daß die Arbeiterklasse ihre Hegemonie verwirklichen und das erforderliche Kräfteverhältnis für eine proletarische Revolution schaffen kann. Der prinzipielle Kampf der Arbeiterklasse gegen den bürgerlichen Staat und die führende Rolle der marxistischen Partei neuen Typus sowie ihre Bündnispolitik sind die zentralen Fragen der proletarischen Revolution.

Der zweite Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, der im Jahre 1920 stattfand, arbeitete unter der Führung Lenins die Leitsätze über die Rolle der kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution aus. Hier wurden vor allem die Erfahrungen der Partei der Bolschewiki verallgemeinert. In dem Beschluß heißt es:

Die Kommunistische Internationale weist aufs entschiedenste jene Auffassung zurück, wonach das Proletariat ohne eine eigene selbständige politische Partei imstande sein soll, seine Revolution durchzuführen.“ 14

Die richtige Einschätzung der Novemberrevolution ist auch für die Strategie und Taktik unseres Kampfes nach 1945 und für den Kampf um ein einheitliches, demokratisches und friedliebendes Deutschland wichtig.

1918 und 1945

Jene Genossen, die den Charakter der Novemberrevolution falsch einschätzten, sind in Widerspruch gekommen zur gesamten Politik unserer Partei, zu den Beschlüssen der Brüsseler Konferenz, zum Aufruf der KPD vom Juni 1945 und zu den programmatischen Beschlüssen des Vereinigungsparteitages. Diese Beschlüsse gehen davon aus, daß nach der Niederlage des Hitlerfaschismus in Deutschland die bürgerlich-demokratische Revolution als antifaschistische und antiimperialistische Umwälzung auf der Tagesordnung steht, als Voraussetzung für den Übergang zur sozialistischen Revolution. Die SED gab allen antifaschistischen und patriotischen Kräften die Orientierung, die antifaschistisch-demokratische Umwälzung durchzuführen und die Grundlagen des deutschen Imperialismus zu beseitigen.

Der V. Parteitag hat in seinem Beschluß nochmals unsere Entwicklung nach 1945 gekennzeichnet:

Ausgehend von der Leninschen Lehre in ‚Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus’ und ‚Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution’ stellte unsere Partei – entsprechend der damaligen sozialen, politischen und ökonomischen Lage und unter Berücksichtigung des Grades des Klassenbewußtseins der Arbeiter – die sozialistische Umwälzung nicht unmittelbar auf die Tagesordnung. Im breiten Bündnis mit den Bauern und den antihitlerischen bürgerlichen Kreisen und durch die sowjetischen Streitkräfte vor Interventionen der westlichen Imperialisten geschützt, organisierte die Arbeiterklasse die antifaschistisch-demokratische Umwälzung und beseitigte die Grundlagen des Imperialismus.“ 15

In den Jahren 1945-bis 1949 wurden die Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer Partei auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik gelöst. Obwohl die objektiven sozialökonomischen Voraussetzungen vorhanden waren, führten wir nicht gleich 1945 die sozialistische Revolution durch. Der Charakter unserer Revolution nach 1945 wurde also nicht nur durch sozialökonomische Voraussetzungen, sondern auch durch den Grad des Klassenbewußtseins, der Organisiertheit der Arbeiterklasse und der Werktätigen bestimmt.

Unser Kampf um ein einheitliches, demokratisches und friedliebendes Deutschland auf der Grundlage einer Konföderation beider deutscher Staaten müßte, wenn man aus den Auffassungen der Genossen die Konsequenzen zieht, falsch sein. Denn wer will bestreiten, daß in Westdeutschland der Grundwiderspruch zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse nur durch die sozialistische Umwälzung gelöst werden kann. Es hat aber niemand vorgeschlagen, jetzt den Kampf um den Sozialismus auf die Tagesordnung zu stellen, weil nicht die sozialökonomischen Voraussetzungen genügen, sondern die Entwicklung des Klassenbewußtseins der Arbeiter und die Fortschritte der Bündnispolitik der Arbeiterklasse mit den Bauern und den anderen Schichten der Werktätigen ausschlaggebend sind. In den Beschlüssen des V. Parteitages der SED sowie in den Beschlüssen der Nationalen Front des demokratischen Deutschland wird mit Recht gesagt, daß die Hauptaufgabe der Arbeiterklasse und aller Werktätigen darin besteht, die demokratische Umwandlung durchzuführen, vor allem die atomare Aufrüstung zu verhindern und die Macht des deutschen Militarismus zu beseitigen.

Wir sehen also, daß die These vom sozialistischen Charakter der Novemberrevolution nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt und den praktischen Erfahrungen der Politik unserer Partei widerspricht.

Die SPD über die Novemberrevolution

Zum 30. Jahrestag der Novemberrevolution schrieb der sozialdemokratische „Telegraf“ unter der Überschrift „Unerfüllte Hoffnungen“ unter anderem folgendes: „Schon wenige Wochen, nachdem der erste Schock überwunden war, ging die Reaktion zum Gegenangriff über. Die Schüsse auf Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die Ermordung Hugo Haases und Kurt Eisners waren die ersten Signale. Die Freikorps des Baltikums waren die ersten Vorläufer der Schwarzen Reichswehr und der Wiederaufrüstung.

Die in ihren wirtschaftlichen Machtpositionen ungebrochenen Kräfte des Großgrundbesitzes und der Schwerindustrie bildeten das Fundament für all diese Bestrebungen. Ohne wirtschaftliche Entmachtung dieser Kräfte mußte die demokratische Republik eine leere Schale bleiben. In Westdeutschland wiederholen sich heute in verhängnisvoller Weise die in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg begangenen Unterlassungssünden.“

Der Verfasser des Artikels hat die Kernfrage vollkommen richtig erkannt. Wie erklärt er aber die Haltung der SPD-Führung 1918? Im Artikel des „Telegraf“ wie auch in einem Artikel des „Sozialdemokrat“ zum 30. Jahrestag der Novemberrevolution wird für die Politik der Sozialdemokratie und ihr Bündnis mit der Bourgeoisie der bekannte Popanz, der kommunistische Schreck, der Antibolschewismus herangezogen. Aus Angst vor dem Kommunismus hätte die SPD-Führung das „kleinere Übel“ gewählt und den revolutionären Elan der Massen und die Revolution abgewürgt.

Der „Sozialdemokrat“ stellt selbst fest, daß die Übernahme der Regierung eine große Möglichkeit bot, um die Revolution vorwärtszutreiben, wenn die Führung der Sozialdemokratie das genutzt hätte. Als Entschuldigung führt der „Sozialdemokrat“ folgendes aus: „Dies wäre wahrscheinlich auch geschehen, wären die neuen Männer nicht von einer Bewegung torpediert worden, deren Gefahr sie erkannten: den putschistischen Aktionen der Spartakisten. Dadurch wurden sie gehindert, ihrer eigentlichen Aufgabe gerecht zu werden.“

Der Verfasser stellt richtig fest, daß die SPD-Führer den Fehler machten, die reaktionären Staatsbeamten in ihren Funktionen zu belassen. Auch hier rechtfertigt sich der Verfasser damit, daß an dem Versagen der SPD nur die Linken und später die KPD schuld gewesen seien. Wir wissen – und das beweisen Hunderte von Dokumenten -, daß die Führung der Sozialdemokratie gar nicht daran dachte, eine Revolution durchzuführen, sondern vielmehr alles unternahm, nach Ausbruch der Revolution ihre Weiterführung zu verhindern. Welche Politik die SPD-Führer vorsätzlich gemacht haben, das sagt uns der „Sozialdemokrat“ deutlich. Wörtlich heißt es: „Hätten sich aber die Volksbeauftragten zu Verhandlungen mit den Führern dieser Richtung bereitgefunden, wäre es zweifellos zu Komplikationen mit den Siegern des ersten Weltkrieges gekommen. Dieser Gefahr waren sich der Parteivorstand der SPD und auch die Volksbeauftragten bewußt. Sie sahen ihre eigentliche Aufgabe darin, einer solchen Entwicklung mit allen Mitteln zu begegnen. Außerdem wäre durch eine Intervention der Westmächte die deutsche Revolution zwangsläufig in den Radikalismus abgedrängt worden. Eine offene Solidarisierung zwischen der deutschen Revolution und der bolschewistischen Revolution in Rußland wäre die unweigerliche Folge gewesen.“

Die Ideologen der Sozialdemokratischen Partei sind die Hauptverfechter der „Grundtorheit des 20. Jahrhunderts“, des Antikommunismus, in der Arbeiterbewegung geworden, weil sie versuchen, damit ihren Verrat zu entschuldigen. 1918 drohten sie mit der Parole „Brot oder Bolschewismus“, um sich so vor den Massen zu rechtfertigen; nach dem zweiten Weltkrieg war die SPD-Führung gezwungen, den Schein zu wahren, so wie es im „Telegraf“ geschah, sie forderte hie und da die Enteignung der Großindustrie und der Junker. Gleichzeitig benutzte sie aber den gefährlichen Trick – ganz wie 1918 -, den Arbeitern weiszumachen, daß der Kapitalismus bereits zusammengebrochen sei und daß man den bereits am Boden liegenden Kapitalismus nicht noch zu enteignen brauche. Wie sie 1918 auf Wilson hofften, so spekulierten sie nach dem Hitlerkrieg auf den Marshallplan. Heute spielen sie auf Erhards Wirtschaftswunderplatte, und die Volksaktie ist ihre letzte Erfindung. Sie wollen den Arbeiter in einen „Betriebsbürger“ verwandeln, der sich willig ausbeuten läßt.

Das Charakteristische des modernen Revisionismus besteht darin, daß er seine Hauptaufgabe darin sieht, die volksdemokratische Staatsmacht zu unterminieren und den Aufbau des Sozialismus zu behindern.

Das revisionistische Programm der Führung des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens ist gewissermaßen die Plattform dafür, die sozialdemokratischen Mitglieder in den kapitalistischen Ländern auf den falschen Weg der „Wirtschaftsdemokratie“ und der Ablenkung der Arbeiterklasse vom Kampf um die politische Macht zu führen. In bezug auf die volksdemokratischen Länder bedeutet dieses Programm die Restauration der kapitalistischen Kräfte. In Jugoslawien selbst führt diese Politik zu ökonomischen Schwierigkeiten und zunehmenden Widersprüchen, was durch wirtschaftliche Bindungen an die USA nur noch vergrößert wird.

So ist der Revisionismus, der zur Niederlage der Arbeiterklasse in der Novemberrevolution geführt hat, auch heute die Hauptgefahr in der Arbeiterbewegung.

Die Trennung der Linken vom Opportunismus und die Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands

Was war die Hauptursache für die Niederlage der Arbeiterklasse in der Novemberrevolution? Die Hauptursache war der Einfluß der bürgerlichen Ideologie in der Arbeiterbewegung, die in der Form des Revisionismus in Erscheinung trat.

Es wird die Frage gestellt werden, warum die marxistischen Kräfte in der Arbeiterbewegung sich nicht rechtzeitig vom Opportunismus trennten. In diesem Zusammenhang möchte ich an den Kampf von Marx und Engels gegen den Opportunismus in der deutschen Arbeiterbewegung erinnern.

Auf Initiative von Karl Marx und Friedrich Engels wurde der Bund der Kommunisten gegründet und im Kommunistischen Manifest das Programm der Kommunistischen Partei begründet.

Die Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei 1869, die sich Eisenacher nannte, war im wesentlichen auf marxistischer Grundlage erfolgt. Ihre Mitglieder bekannten sich zum wissenschaftlichen Sozialismus und zum proletarischen Internationalismus von Marx und Engels. Die Eisenacher führten einen Kampf gegen den Lassalleanismus, für die Gewinnung der Arbeiter, die im Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein organisiert waren.

Bei der Vereinigung der Eisenacher mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein 1875 wurden im Programm Konzessionen an opportunistische Theorien gemacht. Die von Karl Marx und Friedrich Engels geübte grundsätzliche Kritik am Gothaer Programm wurde jedoch von der damaligen Führung der Sozialdemokratie mißachtet und vor den Parteimitgliedern verheimlicht. Mit der Annahme des Gothaer Programms wurde der Keim des Opportunismus und des Revisionismus in die deutsche Arbeiterbewegung gelegt. Bis zum Tod von Karl Marx und Friedrich Engels war die Sozialdemokratische Arbeiterpartei eine Partei, die in der Welt von den anderen Arbeiterparteien als Vorbild angesehen wurde und mit ihren revolutionären Auffassungen im wesentlichen eine marxistische Arbeiterpolitik vertrat. Aber schon damals versuchten die Opportunisten die Partei zu zersetzen. In einem Zirkularbrief vom 17./18. September 1879 gaben Marx und Engels folgende ernste Ratschläge:

Wir haben seit fast 40 Jahren den Klassenkampf als nächste treibende Macht der Geschichte und speziell den Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat als den großen Hebel der modernen sozialen Umwälzung hervorgehoben; wir können also unmöglich mit Leuten zusammengehn, die diesen Klassenkampf aus der Bewegung streichen wollen. Wir haben bei Gründung der Internationalen ausdrücklich den Schlachtruf formuliert: Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiterklasse selbst sein. (Hervorhebung von mir – W. U. )Wir können also nicht zusammengehn mit Leuten, die es offen aussprechen, daß die Arbeiter zu ungebildet sind, sich selbst zu befreien, und erst von oben herab befreit werden müssen, durch philanthropische Groß- und Kleinbürger.“ 16

Die Führer der Sozialdemokratie haben aber diese Mahnung von Karl Marx und Friedrich Engels mißachtet. Ein Teil der Führer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei erkannte nicht das Neue in der Situation, das Aufkommen des Imperialismus. Man ließ den rechten Flügel gewähren, so daß die Opportunisten allmählich die Partei beherrschen konnten. Die Theorie von der „langen friedlichen Entwicklung“ und dem „gesetzlichen Charakter“ der Sozialdemokratie gewann immer mehr Einfluß. Der Opportunismus konnte sich ausbreiten, da die bestehenden Gegensätze zwischen dem marxistischen Flügel und den Revisionisten von den Marxisten aus Treue zur Einheit um jeden Preis nicht zu Ende diskutiert und geklärt wurden. Es kam daher oftmals zu falschen und schädlichen Kompromissen, die die gefährliche Entwicklung verschleierten und die organisatorische Trennung vom Opportunismus verhinderten.

Nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes wurde die Sozialdemokratische Partei eine Massenpartei, die in den Kämpfen gegen das Sozialistengesetz ideologisch gewachsen war. Das zeigte auch das Programm vom Erfurter Kongreß 1891. Engels schrieb über dieses Programm:

Der jetzige Entwurf unterscheidet sich sehr vorteilhaft vom bisherigen Programm. Die starken Überreste von überlebter Tradition – spezifisch lassallischer wie vulgärsozialistischer – sind im wesentlichen beseitigt, der Entwurf steht nach seiner theoretischen Seite im ganzen auf dem Boden der heutigen Wissenschaft und läßt sich von diesem Boden aus diskutieren.“ 17

Engels kritisierte jedoch gleichzeitig, daß in diesem Programm die Frage der Macht nicht enthalten war. Dieser Grundfehler erleichterte in der weiteren Entwicklung das Eindringen des Revisionismus und Opportunismus in die Partei. Engels schrieb darüber:

„Eine solche Politik kann nur die eigne Partei auf die Dauer irreführen. Man schiebt allgemeine, abstrakte politische Fragen in den Vordergrund und verdeckt dadurch die nächsten konkreten Fragen, die Fragen, die bei den ersten großen Ereignissen, bei der ersten politischen Krise sich selbst auf die Tagesordnung setzen. Was kann dabei herauskommen, als daß die Partei plötzlich, im entscheidenden Moment, ratlos ist, daß über die einschneidendsten Punkte Unklarheit und Uneinigkeit herrscht, weil diese Punkte nie diskutiert worden sind…

Dies Vergessen der großen Hauptgesichtspunkte über den augenblicklichen Interessen des Tages, dies Ringen und Trachten nach dem Augenblickserfolg ohne Rücksicht auf die späteren Folgen, dies Preisgeben der Zukunft der Bewegung um der Gegenwart der Bewegung willen mag ‚ehrlich’ gemeint sein, aber Opportunismus ist und bleibt es, und der ‚ehrliche’ Opportunismus ist vielleicht der gefährlichste von allen…

Wenn etwas feststeht, so ist es dies, daß unsre Partei und die Arbeiterklasse nur zur Herrschaft kommen kann unter der Form der demokratischen Republik. Diese ist sogar die spezifische Form für die Diktatur des Proletariats, wie schon die große französische Revolution gezeigt hat.“ 18

Lenin erklärte dazu:

Engels wiederholt hier in besonders plastischer Form jenen Grundgedanken, der sich wie ein roter Faden durch alle Werke von Marx zieht, nämlich, daß die demokratische Republik der unmittelbare Zugangzur Diktatur des Proletariats ist.“ 19

Wie recht Engels hatte, zeigten die folgenden Jahre, wo die Opportunisten in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands mit ihren antimarxistischen Auffassungen immer offener in Erscheinung traten. Es kommt hinzu, daß das deutsche Monopolkapital es verstand, mit Hilfe seiner Überprofite eine Arbeiteraristokratie zu entwickeln und die Arbeiterbürokratie zu fördern. In der Führung der Gewerkschaften gewann die opportunistische Auffassung von der „Neutralität“ der Gewerkschaften an Einfluß. Immer stärker wurde in dieser mächtigen Massenorganisation der Gedanke populär, daß die Gewerkschaft sich gegenüber der Sozialdemokratischen Partei und dem politischen Kampf neutral verhalten müsse. Diese Neutralitätspolitik führte zum Erstarken des Opportunismus in den Gewerkschaften. Lenin sagte über die Neutralität der Gewerkschaften:

Die Klasseninteressen der Bourgeoisie führen unvermeidlich zu dem Bestreben, die Gewerkschaften auf eine eng begrenzte Kleinarbeit auf dem Boden der bestehenden Ordnung zu beschränken, sie von jeder Verbindung mit dem Sozialismus fernzuhalten, und die Neutralitätstheorie ist das ideologische Gewand dieser bürgerlichen Bestrebungen. Die Revisionisten innerhalb der sozialdemokratischen Parteien werden es immer verstehen, sich in der kapitalistischen Gesellschaft auf irgendeine Art einen Weg zu bahnen.“ 20

Ein Teil der sozialdemokratischen Führer unterstützte die Kolonialpolitik des deutschen Imperialismus. Am 4. August 1914 ging die Sozialdemokratie offen zur Burgfriedenspolitik und zur Unterstützung des Krieges über. Damit trat zu Beginn des ersten Weltkrieges die Krise in der Sozialdemokratie offen zutage Die Führung der deutschen Sozialdemokratie war durch die bürgerliche Legalität demoralisiert, und der Gedanke an die Schaffung von illegalen revolutionären Organisationen – wie zur Zeit des Sozialistengesetzes – kam ihr lächerlich vor. Sie wollte die zahlenmäßig große Organisation legal erhalten, lieferte sie aber in der Tat der Bourgeoisie aus.

So ist die Periode des Imperialismus, des höchsten Stadiums des Kapitalismus, mit dem Niedergang der deutschen Sozialdemokratie verbunden. Vielen Sozialdemokraten wurde das erst bewußt, als die sozialdemokratische Parlamentsfraktion die Kriegskredite bewilligte.

Die Linken in der deutschen Sozialdemokratie, die von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg geführt wurden, erkannten trotz ihres heldenmütigen Kampfes den politisch-ideologischen und ökonomischen Zusammenhang zwischen Imperialismus und Opportunismus nicht vollständig. Sie unterschätzten die internationale Erscheinung des Revisionismus, der durch die moderne Gesellschaft bedingt und keine zufällige ideologische Entwicklung, keine deutsche Besonderheit war.

Lenin sagte hierzu in seiner Arbeit „Marxismus und Revisionismus“ schon 1908:

„Die Unvermeidlichkeit des Revisionismus ist durch seine Klassenwurzeln in der modernen Gesellschaft bedingt. Der Revisionismus ist eine internationale Erscheinung.“ 21

Teilweise vorhandene gewisse sektiererische Einstellungen der Linken trugen dazu bei, die Rolle einer selbständigen marxistischen Partei zu unterschätzen und somit der Spontaneität zu huldigen.

Die angeführten Faktoren brachten es mit sich, daß die Linken nicht rechtzeitig und konsequent für die Entfernung der reformistischen Führer kämpften und nicht schon vor dem ersten Weltkrieg die vollständige Trennung von der opportunistischen Sozialdemokratie vollzogen. Erst nach Kriegsbeginn, als die Sozialchauvinisten den imperialistischen Krieg unterstützten und Karl Liebknecht gegen die Bewilligung der Kriegskredite protestierte und dagegen stimmte, trat eine neue Phase des Kampfes in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ein.

Die Linken nahmen den Kampf gegen den imperialistischen Krieg und gegen den Verrat der opportunistischen sozialdemokratischen Führung auf. Unermüdlich kämpften die Linken gegen den imperialistischen Krieg.

Der Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, die Errichtung der Diktatur des Proletariats in Sowjetrußland führte zum revolutionären Aufschwung der Massen auch in Deutschland und gab der Spartakusgruppe und der Vorhut des Proletariats Mut und Siegeszuversicht. Die Erfolge der Partei der Bolschewiki in der Oktoberrevolution sowie die Lehren aus den revolutionären Kämpfen des deutschen Proletariats im Januar 1918 förderten die Erkenntnis, wie notwendig es ist, eine eigene Organisation zu haben. Der Verrat der SPD-und der rechten USPD-Führung vor und während der Revolution brachte die Genossen des Spartakusbundes endgültig zu dem Entschluß, eine selbständige revolutionäre Partei zu bilden. Die Genossen des Spartakusbundes hatten erkannt, daß das Proletariat sich eine eigene revolutionäre marxistische Partei schmieden muß, wenn es die bürgerlich-demokratische Revolution zu Ende führen und von der bürgerlich-demokratischen Revolution zur sozialistischen Revolution übergehen will. Somit verwirklichten sie Lenins Hinweis, den er nach Ausbruch der Februarrevolution 1917 in seinen „Briefen aus der Ferne“ gegeben hatte, als er forderte, „der ausgezeichneten Organisation der … Bourgeoisie“ eine „ebenso ausgezeichnete Organisation des Proletariats“ 22 entgegenzustellen.

Die Vorhut der deutschen Arbeiterklasse zog die Lehren aus den Klassenkämpfen in der Periode des deutschen Imperialismus und aus der Novemberrevolution. Die Gründung der KPD und ihre Entwicklung zu einer marxistisch-leninistischen Partei, einer Partei neuen Typus, die in der Periode der Kriege und Revolutionen als revolutionäre Führerin des Proletariats und der anderen Werktätigen ihre Aufgabe erfüllt, war die Voraussetzung für die spätere Einigung der Arbeiterklasse durch die Gründung der SED. In den Klassenkämpfen von 1918 bis 1945 eignete sich die Partei die Lehren Lenins an und wandte die Strategie und Taktik entsprechend den Entwicklungsbedingungen in Deutschland schöpferisch an.

Die Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands im Dezember 1918 war ein Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Vom Kommunistischen Manifest, das die größten deutschen Wissenschaftler und Arbeiterführer dem internationalen Proletariat gegeben hatten, bis zum Programm der Kommunistischen Partei Deutschlands hatte die deutsche Arbeiterklasse große Kämpfe bestanden, aber sie war im Kampf um die politische Macht nicht vorwärtsgekommen. Erst mit der Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands wurde die entscheidende Voraussetzung geschaffen für den Kampf um die politische Herrschaft der Arbeiterklasse im Bündnis mit den werktätigen Bauern und anderen werktätigen Schichten. In konsequenter Weiterführung der brüderlichen Verbundenheit der Spartakusgruppe mit den Bolschewiki und der Freundschaft zu Sowjetrußland führte die Kommunistische Partei Deutschlands vom Tage ihrer Gründung an einen Kampf zur Gewinnung der Arbeiterklasse und des deutschen Volkes für die Freundschaft mit Sowjetrußland.

Zu einigen Fragen unserer Geschichtsforschung

Das Studium des ersten Weltkrieges und der Novemberrevolution gibt wichtige Anregungen für die marxistische Geschichtsforschung. Im Beschluß des Politbüros unserer Partei vom 5. Juli 1955 über „Die Verbesserung der Forschung und Lehre in der Geschichtswissenschaft der Deutschen Demokratischen Republik“ wird gesagt:

„Eine ernste ideologische Schwäche in der Geschichtswissenschaft der Deutschen Demokratischen Republik ist die ungenügende Verbindung der geschichtswissenschaftlichen Arbeit mit dem Leben und dem gegenwärtigen Kampf unseres Volkes.“ 23

Und es heißt weiter:

Obwohl die Kenntnis der neuesten Geschichte für das Verständnis der Gegenwart die größte Bedeutung hat, sind über die Geschichte des Kampfes der Kommunistischen Partei Deutschlands und zur Entlarvung der reaktionären Ideologie und Politik des deutschen Imperialismus sehr wenig Arbeiten erschienen.“ 24

Die wissenschaftliche Arbeit auf den Gebieten der Geschichte der neuen Zeit und der neuesten Zeit ist auch heute noch ungenügend.

Wir erwarten von unseren Historikern, daß in kurzer Zeit eine Geschichte des ersten Weltkrieges geschrieben wird sowie eine Geschichte des zweiten Weltkrieges. Diese wissenschaftlichen Werke sind um so notwendiger, als die reaktionären Geschichtsschreiber des deutschen Imperialismus in zahlreichen Arbeiten die Dolchstoß-Legende zu wiederholen suchen und für die Niederlage im zweiten Weltkrieg allein Hitler verantwortlich machen. Aber die Niederlagen Deutschlands im ersten und auch im zweiten Weltkrieg waren gesetzmäßig und unvermeidlich. Deshalb ist es notwendig, vom Standpunkt des historischen Materialismus die beiden Weltkriege zu analysieren und die objektiven Ursachen der Niederlage sowohl des Kaiserreiches als auch Hitlerdeutschlands zu beweisen. Von besonderer Bedeutung ist die Enthüllung des Geheimnisses der Kriegsvorbereitung und des Kriegsausbruches. Vielleicht ist es möglich, zunächst je einen Sammelband wissenschaftlicher Arbeiten über den ersten und den zweiten Weltkrieg herauszugeben.

Gleichzeitig ist es notwendig, eine Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung zu schreiben, denn das ist von großer Bedeutung. Die wissenschaftliche Erforschung und marxistische Darstellung der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung vermittelt uns für die Lösung unserer gegenwärtigen Aufgaben wichtige Lehren.

Da bereits eine ganze Reihe wissenschaftlicher Arbeiten über Teilfragen erschienen sind, ist es notwendig, Thesen über die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung auszuarbeiten. Wir schlagen vor, daß die Kommission, die die Thesen über die Novemberrevolution ausgearbeitet hat, vom Zentralkomitee beauftragt wird, die Thesen über die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung auszuarbeiten. Weiter sind wir der Auffassung, daß im Zusammenhang mit der Vorbereitung des 10. Jahrestages der Deutschen Demokratischen Republik weitaus mehr Geschichtswissenschaftler der Deutschen Demokratischen Republik auf dem Gebiet der Geschichte der neuesten Zeit, insbesondere der geschichtlichen Entwicklung in Deutschland seit dem Hitlerkrieg, arbeiten sollten.

Wir halten es für notwendig, daß eine bessere Koordinierung der wissenschaftlichen Arbeit auf dem Gebiet der Geschichtsforschung erfolgt. Das wird auch für die gemeinsame Arbeit der Kommission der Historiker der Deutschen Demokratischen Republik und der UdSSR von Nutzen sein. Unsere nationale Verantwortung und Pflicht ist es, die Geschichtsschreibung der kapitalistischen Klasse zu überwinden und die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, die Entwicklung der Klassenkämpfe in Deutschland und die Geschichte des deutschen Volkes vom Standpunkt des historischen Materialismus, das heißt auf streng wissenschaftliche Weise darzustellen.

Die Lehren aus der Novemberrevolution vermitteln der deutschen Arbeiterklasse wichtige Erfahrungen für den Kampf um Frieden, Demokratie und Sozialismus. Die Ziele, für die die Vorhut der Arbeiterklasse und die fortschrittlichen Kräfte in der Novemberrevolution gekämpft haben, wurden inzwischen in der Deutschen Demokratischen Republik unter der Führung der SED verwirklicht. Heute haben die früheren Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands und die früheren Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die sich zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vereinigt haben, eine einheitliche Meinung über die Novemberrevolution. Die Vorhut der deutschen Arbeiterklasse und des deutschen Volkes, die SED, hat die Lehren aus der Geschichte gezogen und danach gehandelt – wie es Marx, Engels und Lenin gelehrt haben.


Anmerkungen

1. Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. II, Dietz Verlag, Berlin 1952, S. 107-124.

2. Protokoll einer Arbeitstagung des Lehrstuhls Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung an der Parteihochschule „Karl Marx“ beim ZK der SED, veröffentlicht in „Theorie und Praxis“, 1958, Heft 4, S. 53.

3. W.I. Lenin: Der Partisanenkrieg. In: W.I. Lenin: Werke, Bd. 11, S. 203.

4. Einheit, 1957, Heft l, S. 104.

5. W.I. Lenin: Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution. In: W.I. Lenin: Werke, Bd. 9, S. 14/15.

6. Siehe A.J. Kunina: Das Fiasko der amerikanischen Weltherrschaftspläne 1917-1920, Dietz Verlag, Berlin 1953, S. 117.

7. Reichsjustizamt. Akten betreffend: die Reichsregierung nach der Revolution 1918, Bd. I, Bl. 58, IML, Archiv.

8. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 1958, Heft 1, S. 31/32.

9. Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Reihe II, Bd. 2, Dietz Verlag, Berlin 1957, S. 233.

10. Ebenda, S. 423/424.

11. Einheit, 1957, Heft l, S. 104/105.

12. W.I. Lenin: Werke, Bd. 23, S. 285.

13. Ebenda, S. 286.

14. Der I. und II. Kongreß der Kommunistischen Internationale, Dietz Verlag, Berlin 1959, S. 156.

15. Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. 2, Dietz Verlag, Berlin 1959, S. 1338.

16. Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 19, S. 165.

17. Friedrich Engels: Zur Kritik des sozialdemokratischen Programmentwurfs 1891. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 22, S. 227.

18. Ebenda, S. 234/235.

19. W.I. Lenin: Staat und Revolution. In: W.I. Lenin: Werke, Bd. 25S. 459.

20. W.I. Lenin: Neutralität der Gewerkschaften. In: W.I. Lenin: Werke, Bd. 13, S. 474.

21. W.I. Lenin: Werke, Bd. 15, S. 26.

22. W.I. Lenin: Werke, Bd. 23, S. 337.

23. Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Bd. V, Dietz Verlag, Berlin 1956, S. 342.

24. Ebenda.