Paul Levi: Zwischen Spartakus und Sozialdemokratie.
Aus: Abendroth, Flechtheim und Fetscher (Hrsg.), Schriften, Aufsätze, Reden und Briefe, Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt/M. 1969, S. 44ff.
Vorwort 1
Als ich diese Broschüre plante, bestand in Deutschland eine Kommunistische Partei von 500.000 Mitgliedern. Als ich sie acht Tage später schrieb, war diese Kommunistische Partei in ihren Grundfesten erschüttert, ihr Bestand in Frage gestellt. Es mag als Wagnis erscheinen, in einer solch schweren Krise, wie der, in der die Kommunistische Partei sich jetzt befindet, mit einer so schonungslosen Kritik zu kommen. Auch kurze Überlegung schon muß sagen, daß diese Kritik nicht nur nützlich, sondern notwendig ist. Das unverantwortliche Spiel, das mit der Existenz einer Partei, mit dem Leben und dem Schicksal ihrer Mitglieder getrieben wurde, muß zu Ende gebracht werden. Es muß durch den Willen der Mitglieder beendigt werden, wo die Verantwortlichen auch heute noch nicht sehen wollen, was sie getan haben. Die Partei darf nicht geschlossenen Auges in Anarchismus bakunistischer Farbe hineingezerrt werden. Kann in Deutschland noch einmal eine kommunistische Partei aufgebaut werden, so verlangen die Toten in Mitteldeutschland, in Hamburg, im Rheinland, in Baden, in Schlesien, in Berlin, verlangen die vielen Tausende von Gefangenen, die das Opfer dieses bakunistischen Wahnsinns geworden sind, so verlangen sie alle angesichts der Vorgänge der letzten Woche: „Niemals wieder!“
Es versteht sich von selbst, daß das Wüten des weißen Schreckens nicht der Mantel sein darf, hinter dem die Verantwortlichen sich ihrer politischen Verantwortlichkeit entziehen. Und es versteht sich nicht weniger von selbst, daß das Wüten und Schimpfen gegen mich, das sich jetzt erheben wird, kein Grund sein darf, die Kritik zu unterlassen. So wende ich mich getrost an die Mitglieder der Partei mit dieser Schilderung, die jedem das Herz zerreißen muß, der mit aufbaute, was hier zerschlagen ward. Es sind bittre Wahrheiten. Aber: „es ist Arznei, nicht Gift, was ich dir reiche“.
Geschrieben 3./4. April 1921
Paul Levi
I
Mit in der Debatte der Arbeiterklasse über die Revolution steht die Frage des Tempos. Zwischen Kleingläubigen, bei denen alles „noch im weiten Feld steht“ und Sanguinikern, die denken, es könnte „morgen schon losgehen“, wenn nicht von irgendwem irgendwo gebremst würde, schwanken die Meinungen her und hin. Selten aber werden bei dieser Fragestellung konkret die Faktoren bezeichnet, die für das Rasch oder Langsam die entscheidenden sind, so daß die Frage über die Dauer der Revolution sich nicht erhebt über das Niveau der Frage, ob ein Tag kurz oder lang sei. Dem, der im Gefängnis sitzt, kommt er lang, dem, der an einem Frühlingstag im Walde geht, kommt er kurz vor, und doch ist für beide ein Tag, der von vierundzwanzig Stunden. In Wirklichkeit ist der Gang der Revolution abhängig von Faktoren zweierlei Art: objektiven und subjektiven. Objektive Faktoren sind die Stärke des Gegensatzes zwischen Produktionsverhältnissen und Verteilungsordnung, die Möglichkeit und Fähigkeit der bestehenden Produktionsordnung, noch weiter zu funktionieren, die Lage des Proletariates, die Schärfe des Gegensatzes zwischen Proletariat und Bourgeoisie, die Zuspitzung der Krisen innerhalb der Weltbourgeoisie selbst usw. Es erübrigt sich an dieser Stelle, schon oft Gesagtes noch öfter zu wiederholen. Die wachsende Arbeitslosigkeit, die wachsende Verelendung des Proletariats wie des gewerblichen und intellektuellen Mittelstandes und des Beamtentums, der immer höher steigende Staatsbankrott, die Neulagerung der bourgeoisen Staaten zu neuen feindlichen Interessengruppen, der Weltgegensatz der Unterdrücker gegen die Unterdrückten aller Länder, die letzteren zum erstenmal in der Weltgeschichte zu einem bewußten, weltpolitisch denkenden und wollenden Körper vereinigt, in der Kommunistischen Internationale mit Sowjetrußland als Haupt: das sind die objektiven Faktoren.
Hier sollen uns vielmehr die subjektiven Faktoren oder vielmehr der subjektive Faktor, der heute, bei jener Gestaltung der objektiven Verhältnisse, der entscheidende ist, beschäftigen: inwieweit ist die revolutionäre Klasse willens und fähig, ist sie reif, die Macht zu übernehmen? Inwieweit ist die konterrevolutionäre Klasse geistig zermürbt und matt geworden, daß sie sich die Macht entwinden läßt? Diese beiden Kräfte, der Erobererwille der revolutionären Klasse, der Verteidigungswille der konterrevolutionären, leben nicht als getrennte nebeneinander: die eine mißt sich an der anderen ab; der Kampf der Parteien ist ihr Widerspiel, der Besitz der Staatsgewalt ist ihr Ziel und die Stärke des Gebrauches der Staatsgewalt ihr Maßstab.
Es ist oft festgestellte Tatsache, daß in diesem Sinne, trotz steigenden wirtschaftlichen Verfalles, die deutsche Bourgeoisie sich konsolidiert hat. Die Staatsgewalt war im November 1918 „Niemandsland“ geworden. Sie war der Bourgeoisie entglitten, und da ist heute keiner, der behaupten wollte, das Proletariat habe sie aufgenommen. Die Bourgeoisie war, trotz der betäubenden Schläge, die sie erhalten hatte, die erste auf den Beinen; die Noskeschen Massenmorde im Januar 1919 und dann weiter bis in den März 1919 waren ihre Wegmale, die Weimarer Verfassung das äußerlich erkennbare Zeichen, daß sie sich wieder als die Herrin fühlte. Seitdem hat die Herrschaft der Bourgeoisie – im politischen Sinn – in Deutschland keine ernste Erschütterung mehr erfahren: der Kapp-Putsch, der von rechts und links her zu einer Erschütterung hätte führen können, ging glimpflich an ihr vorüber.
Dieser Sieg der Bourgeoisie ist nun freilich nichts Absolutes, sondern im höchsten Sinn etwas Relatives, das seinen Charakter als Sieg nur so lange erhält, als die Kräfte der revolutionären Klasse jene Kräfte nicht übertreffen. Daß die Kräfte des Proletariats imstande sind, jene zu überflügeln, steht außer Frage. Nicht nur, weil soviel mehr proletarische Fäuste sind als bourgeoise Glacehandschuhe: die Bourgeoisie ist unter dem Druck des ständig fortschreitenden wirtschaftlichen Zerfalls, ist völlig erfüllt von dem Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit ihrer Lage, lebt vom Tag auf den anderen, sie hat keine Hoffnungen mehr. Das Proletariat ist die einzige Klasse, die den Stern der Hoffnung und damit des Sieges in der Brust trägt: der physische und der – um mit Napoleon zu reden – moralische Faktor sind auf Seiten des Proletariats und damit der Sieg selbst.
Der Stand der revolutionären Kräfte, deren Entfaltung ist also alles. Haben sie sich schnell oder langsam entwickelt? In gewissem Sinne gibt Marx eine Antwort. Er sagt (Klassenkämpfe in Frankreich, Ausgabe 1895, S. 20):
Nicht in seinen unmittelbaren … Errungenschaften brach sich der revolutionäre Fortschritt Bahn, sondern umgekehrt, in der Erzeugung einer geschlossenen, mächtigen Konterrevolution, in der Erzeugung eines Gegners, durch dessen Bekämpfung erst die Umsturzpartei zu einer wirklich revolutionären Partei heranreifte.
In nichts wird die Schärfe und die Raschheit der revolutionären Entwicklung in Deutschland klarer als hierin. Marx dachte an die Entfaltung der revolutionären im Kampfe gegen die stabilierte konterrevolutionäre Macht. In Deutschland aber, in dieser Revolution, entwickelten sich die revolutionären Kräfte nahezu Schritt haltend mit der Entfaltung der Kräfte der Konterrevolution. Das kommt in zweierlei zum Ausdruck. Die Stärke einer revolutionären Klasse, des Proletariates, wächst proportional mit der Stärke und Zahl ihrer klarsten, bewußtesten und entschiedensten Vorkämpfer. Die Kommunisten in Deutschland nun, im November 1918, bildeten eine Gruppe, und nicht einmal eine große. Die Kommunisten des Februar 1921 bildeten eine Schar von 500.000 Mann. Die andere Erscheinung, in der die bisher wachsende Stärke der revolutionären Kräfte zum Ausdruck kommt, ist die: die deutsche proletarische Klasse hat in den 2½ Jahren der deutschen Revolution schon furchtbare Schläge erhalten. Sie hat Blut in Strömen verloren, sie sank ein-, zwei-, dreimal schwer getroffen dahin und hat sich doch nach kurzem schon immer wieder mit neuen Kräften erhoben, riesengroß und riesenstark. Das hat noch keine Klasse der Welt bisher geleistet. Die Entfaltung der revolutionären Kräfte in Deutschland – mögen Ungeduldige sich noch so sehr darob in Erstaunen setzen – ging in ungeahnt und ungeheuer raschem Tempo voran: das Proletariat, das vier Jahre lang hinter dem Kaiser hergelaufen ist und heute eine halbe Million Kommunisten stellt, hat geistig und politisch ein neues Gesicht bekommen.
Aber, werden die Ungeduldigen sagen, was nutzen uns die Feststellungen, wo das Proletariat die Macht noch nicht erobert hat? Und damit kommen wir zum eigentlichen Problem: was kann die Kommunistische Partei in dieser Situation tun, um die Staatsgewalt zu erobern?
II
Viele Kommunisten begehen zwei Denkfehler. Der eine ist: sie sehen innerhalb der kämpfenden Klassen nur das Proletariat. In Wirklichkeit aber ist revolutionäre Taktik nicht, daß man immer nur sich selbst besieht und bemißt und bespiegelt; viel wichtiger ist das Verhältnis der Kommunisten zu allen anderen, gegen den Kapitalismus kämpfenden Klassen und Schichten, die alle gemeinsam mitwirken am Sturze der Bourgeoisie. Von allen diesen Klassen und Schichten ist freilich nur das Proletariat die, die kraft ihrer Existenzbedingungen „die alten Produktionsverhältnisse aufhebt, mit diesen Produktionsverhältnissen der Klassengegensätze, die Klassen überhaupt aufhebt“, also die eigentlich revolutionäre. Nur das Klassenziel der Arbeiterschaft ist ein auf Umänderung der bestehenden Produktionsverhältnisse und aller daraus folgenden Verhältnisse gerichtetes. In irgendeinem späteren Stadium der Revolution muß ein – freillich auch dann nur vorübergehender – Gegensatz also entstehen zwischen all den Klassen und Schichten, die heute neben dem Proletariat stehen, aber nicht berechtigt darob die Kommunisten, diese Klassen und Schichten als nicht existent oder als nicht bündnisfähig oder gar als Feinde zu betrachten.
Und doch ist gerade das letzte am häufigsten der Fall. Viele Kommunisten sind, die außerhalb des Proletariates nur eines kennen, die „eine reaktionäre Masse“. Die „eine reaktionäre Masse“ ist ein von Lassalle erfundenes Schlagwort, das, wie häufig, mehr einen guten Klang als einen tiefen Sinn hat. wurde als solches von Marx grausam kritisiert und auf seinen Inhalt, ein Nichts, zurückgeführt.
In seinem Gothaer Programmbrief vom Jahre 1875 sagt er:
Die Bourgeoisie ist hier (im Kommunistischen Manifest) als revolutionäre Klasse aufgefaßt – als Trägerin der Industrie gegenüber Feudalen und Mittelständen, welche alle gesellschaftlichen Positionen behaupten wollen, die das Gebilde veralteter Produktionsweisen sind. Sie bilden also nicht zusammen mit der Bourgeoisie nur eine reaktionäre Masse.
Andererseits ist das Proletariat der Bourgeoisie gegenüber revolutionär, weil es, selbst erwachsen auf dem Boden der großen Industrie, der Produktion den kapitalistischen Charakter abzustreifen strebt, das die Bourgeoisie zu verewigen sucht. Aber das Manifest setzt hinzu: daß die Mittelstände … revolutionär werden im Hinblick auf ihren bevorstehenden Übergang ins Proletariat. Von diesem Gesichtspunkt ist es also wieder Unsinn, daß sie zusammen mit der Bourgeoisie und obendrein den Feudalen, gegenüber der Arbeiterklasse „nur eine reaktionäre Masse“ bilden.
Neben diese theoretischen und prinzipiellen Gedanken treten aber in revolutionären Zeiten noch taktische Erwägungen. In nichtrevolutionären Zeiten sind sich diese nichtproletarisch und nichtbourgeoisen Elemente ihrer Klassenlage am wenigsten bewußt. Im langsamen Gang der Entwicklung begreifen und sehen sie nicht, wie ihre und der Bourgeoisie Ziele auseinanderliegen und entgegengesetzte sind. Das ist ja auch der Grund, warum – man denke an die verpowerten Handwerker Deutschlands – sie so häufig und so zäh als das Anhängsel von, ja als einheitlich mit der Bourgeoisie oder den feudalen Klassen angesehen werden konnten. Revolutionen lösen aber solche gesellschaftliche Schleier. Sie sind wie Scheidewasser und trennen das gesellschaftlich nicht zueinander Gehörende. Sie brechen mit der Tradition und zwingen den Menschen wie die Klasse, hinter dem Schein das Wesen zu sehen. Der Klassengegensatz zwischen Bourgeoisie und den unter der Bourgeoisie der Proletarisierung ausgesetzten – wenn auch noch nicht proletarischen – Klassen wird flagrant.
Es ist erste Pflicht der Kommunisten, diese Tatsache zu erkennen und daraus praktische Schlüsse zu ziehen. Woraus bestehen diese Schichten? Sie sind in Deutschland außerordentlich mannigfaltig und mannigfaltiger als in Rußland. Selbstverständlich sind in Rußland alle Schichten, die in Deutschland vorhanden sind, auch vorhanden, aber ihr Schwergewicht war das landarme Bauerntum. Es überwog an Zahl und Kraft alle anderen kleinbürgerlichen, halbproletarischen Schichten, und man konnte dort sagen: wer die Bauern hat, hat das Halbproletariat.
In Deutschland ist keine Mittelklasse, die so ausschlaggebend wäre. In Deutschland ist das Landproletariat selbst wieder sozial und geographisch geteilt in den landarmen Kleinbauer im Süden und den Gutsarbeiter im Norden. Daneben das Handwerk in den verschiedensten Stufen, vom krummen Dorfschneider, der in Oberbayern für das Essen und 50 Pfennige den Tag bei den Bauern herumschneidert bis zum Handwerker mit Elektromotor. Daneben aber steht als dritte und für Deutschland ungleich wichtigere Schicht, die der Beamten (privaten und öffentlichen), der vermögenslosen Intelligenz usw. Sie alle erleben die Revolution am eigenen Leibe. Man denke etwa an die Entwicklung der deutschen Eisenbahner in den zwei Jahren der Revolution. Oder man lese die kürzlich erschienene Broschüre des sächsischen Regierungsrat Schmidt-Leonhardt „Das zweite Proletariat“! Sie alle sind nicht Proletarier, wenigstens nicht nach ihrem Klassenbewußtsein, aber antibourgeois sind sie alle, und sie müssen mit in Rechnung gezogen werden.
Denn was bedeuten diese Schichten? Sie bedeuten, solange sie der Bourgeoisie zugehören, die Hände, mit denen die Bourgeoisie das Proletariat schlägt, sie bedeuten, losgelöst von der Bourgeoisie, aber auch dem Proletariat ablehnend gegenüberstehend, mindestens eine außerordentliche Erschwerung, sie bedeuten, mit dem Proletariat sympathisierend, die Erleichterung wenn nicht gar die Ermöglichung der Machtergreifung durch das Proletariat.
Dabei versteht sich ganz von selbst, daß kein Kommunist daran denkt, darauf zu warten, bis diese Schichten kommunistisch geworden sind. Lenin (Die Wahlen zur konstituierenden Versammlung und die Diktatur des Proletariates, S. 17) spricht das in vorzüglicher Weise aus:
Es ist allein das Proletariat in der Lage, die Werktätigen vom Kapitalismus zum Kommunismus hinüberzuleiten. Es ist gar nicht daran zu denken, daß die kleinbürgerlichen und halbkleinbürgerlichen Massen der Werktätigen im voraus die komplizierteste der geschichtlichen Fragen entscheiden, ob sie „mit der Arbeiterklasse oder mit der Bourgeoisie gehen“ sollen. Unerläßlich ist ein Schwanken seitens der nichtproletarischen, werktätigen Schichten, unerläßlich ist ihre eigene praktische Erfahrung, die ihnen gestattet, die Führung der Bourgeoisie mit der des Proletariats zu vergleichen.
Und weiter (S. 19):
Es war gerade dieses Hin- und Herschwanken der Bauernschaft als des Hauptvertreters der kleinbürgerlichen Masse der Werktätigen, welches das Schicksal der Sowjetmacht und der Herrschaft von Koltschak-Denikin entschied.
Diese Schichten also können in gewissen Situationen entscheidend sein. Es ist Pflicht der Kommunisten, auf diese Schichten Einfluß zu gewinnen. Und womit?
Entsprechend der geringeren Kompliziertheit dieser Mittelschicht – im wesentlichen eben der Bauern – war auch diese Frage in Rußland weniger kompliziert. Wer den Bauern das Land gab, hatte die Bauern. Die Bolschewiki waren die einzigen, die entschlossen waren, nicht nur den Bauern das Land zu geben – dazu waren alle „entschlossen“ –, sondern auch die Voraussetzung dafür zu schaffen, nämlich den Gutsbesitzern das Land zu nehmen – dazu waren nur die Bolschewiki entschlossen –, und so konnten die Bolschewiki diese Mittelschicht unter ihrer Fahne sammeln.
Die deutschen Kommunisten haben bis jetzt noch keinen Weg gefunden, sich diesen Mittelschichten auch nur zu nähern. Ein Agrarprogramm, auch wenn es Bauern wie Landarbeiter befriedigt, genügt nicht, weil die Bauern und Landarbeiter nicht im russischen Sinne entscheidend sind. Es genügt auch nicht, den Handwerkern zu versichern, daß nach den Gesetzen kapitalistischer Wirtschaft ihr Tod als Klasse sicher sei; denn obzwar jeder sterben muß, ist doch keiner dessen Freund, der ihm den Tod täglich prophezeit. Auch die Feststellung, daß die Intellektuellen und Beamten schon Proletarier seien, wenn auch noch unbewußt, genügt nicht der Eigenart dieser Gesellschaftsschicht. Es ist kein Zweifel, daß die Kommunisten versuchen müssen, diesen Schichten näherzukommen in Fragen, die sie als Ganzes interessieren. In Rußland gab es – neben der Agrarfrage – zwei solcher Fragen. Die eine, alle anderen an Bedeutung überragend, war die Friedensfrage. Sie kommt für Deutschland vorläufig nicht in Betracht. Die andere Frage war die nationale Frage, die freilich in Rußland einen etwas anderen Inhalt hat als in Deutschland. Das Wort „nationale Frage“ weckt in Deutschland schon durch seinen Klang in gewissen Geistern Gefühle der Unruhe. Im Gedenken an den Nationalbolschewismus, einer Gefahr, der sie knapp entronnen sind, können sie das Wort „national“ schon nicht mehr hören. Der Nationalbolschewismus war nicht deswegen unkommunistisch, weil er sich mit der nationalen Frage beschäftigte, sondern deswegen, weil er die nationale Frage lösen wollte im Wege eines Paktes „aller Volksklassen“, im Wege der Verbrüderung des Proletariats mit der Bourgeoisie, der Kommunisten mit Lettow-Vorbeck.2 Das war das Unkommunistische. Es ist aber auch nicht kommunistisch, nunmehr die nationale Frage nicht sehen zu wollen. Schon zu Anfang der Revolution glaubte ein Berliner Literat die nationale Frage aus der Welt zu expedieren dadurch, daß er eine „antinationale Sozialistenpartei“ gründete. Auf solche Weise die nationale Frage wegdisputieren zu wollen, wäre nichts anderes, als wenn einer sagt: es gibt keine Esel mehr auf der Welt, denn ich bin ein Ochs. Die nationale Frage existiert, und Karl Marx, der Internationalist, war der letzte, der sie nicht sah und mit ihr politisch rechnete. Die „Abschaffung“ der Nation ist nicht Sache eines Dekretes noch weniger eines Parteibeschlusses, sondern ist ein Prozeß.
Indem das Proletariat zunächst die politische Herrschaft erobern, sich zur nationalen Klasse erheben, sich selbst als Nation konstituieren muß, ist es selbst noch national … Die nationalen Gegensätze und Absonderungen der Völker verschwinden mehr und mehr … Die Herrschaft des Proletariats wird sie noch mehr verschwinden machen … In dem Maße, wie die Exploitation des einen Individuums durch das andere aufgehoben wird, wird die Exploitation einer Nation durch die andere aufgehoben. Mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation fällt die feindliche Stellung der Nationen gegeneinander.
Also: vorderhand ist die Nation für das Proletariat noch eine existente Sache; die Genossen, die deswegen, weil wir im Endziel Internationalisten sind, schon heute nicht mehr die nationale Frage sehen und als existent behandeln wollen, begehen genau den gleichen Fehler, den die begehen, die, weil wir im Endziel gegen Parlamente und für Räte sind, das Parlament nicht mehr sehen wollen oder die, die, weil wir für Beseitigung der Staaten sind, schon heute den Staat als nicht mehr existent behandeln und, wie die Anarchisten, nichts mehr von Politik wissen wollen. Jene Genossen sind Antipolitiker, nur ins Gebiet der auswärtigen Politik übertragen.
Also noch einmal: die nationale Frage existiert, sie existiert in Deutschland nunmehr in der Form der „Exploitation der einen Nation durch eine andere“, und sie ist die Frage, die allen jenen Mittelschichten in Deutschland die brennendste ist. Nur auf dem Wege über sie werden wir zu jenen Schichten gelangen. Aus diesem Grunde aber wäre es Pflicht der Kommunisten, in den kritischsten Augenblicken der nationalen Frage mit bestimmten Losungen herauszukommen, die jenen Mittelschichten eine Lösung ihrer nationalen Schmerzen bedeuten. Die Losung: Bündnis mit Sowjetrußland wäre eine solche Parole gewesen und hätte herausgegeben werden müssen als nationale Losung, d.h. nicht als Losung, unter deren Schatten Kommunisten und preußische Junker sich als Brüder umarmen, sondern als Losung, unter der die Kommunisten, die Proletarier überhaupt sich mit jenen Mittelschichten zum Kampfe zusammentun gegen Junkertum und Bourgeoisie, die diesen einzigen Ausweg sabotieren, weil sie durch ihren Landesverrat, durch ihre Verhandlungen mit der westlichen Bourgeoisie, ja durch die Auslieferung deutscher Gebietsteile an Frankreich (Rheinland) oder durch die bewußt angestrebte Zersplitterung Deutschlands (Bayern) ihre Weiterexistenz als ausbeutende Klasse sichern wollen und deswegen auch in dieser Forderung nur dem proletarischen Kampfe weichen werden. Es ist nichts anderes als ein törichtes Gerede, wenn eine kleine Schar marxistischer Sykophanten das Geschrei erhebt, Bündnis mit Sowjetrußland als „Forderung an eine bürgerliche Regierung“ sei eine konterrevolutionäre oder – was schlimmer ist – „opportunistische“ Sache, sei keine „revolutionäre Parole“. Man kann diese Fürsorglichen daran erinnern, daß die Bolschewiki ihre ganze politische Propaganda vor der Machtergreifung mit solchen „opportunistischen Parolen“ geführt haben. Sie forderten sofortigen Friedensschluß von der bürgerlichen Regierung, obgleich doch kein Bolschewik nicht wußte, daß ein Frieden, geschlossen von einer bürgerlichen Regierung, kein Frieden sei, und daß ein wirklicher Friede nur von Proletariat zu Proletariat geschlossen werden kann. Sie führten ihre Propaganda unter der Parole: das Land den Bauern und führten die Landverteilung sogar durch, obgleich doch kein Bolschewik nicht wußte, daß das Endziel des Kommunismus nicht Landverteilung in Privateigentum der Bauern, sondern ungefähr das Gegenteil ist. Sie taten das und mußten das tun. War das ein Aufgeben des Marxismus? Mitnichten. Revolution ist keine kommunistische Parteisache und nicht der Kommunisten Monopol. Sie ist, um Marxens Wort in einem Briefe an Kugelmann zu gebrauchen, eine „Volksrevolution“, d.h. ein gewaltsamer Vorgang, in dem aller Werktätigen und Unterdrückten Kräfte in Fluß kommen, sich regen, in Gegensatz setzen – jede auf ihre Art – gegen die Unterdrücker und wo es höchste Kunst der Kommunisten ist, alle diese Kräfte zusammenzufassen, sie dem einen Ziele, dem Sturz der Unterdrücker, zuzuführen. Dann, und nur dann, wenn sie diese Aufgabe begreifen, sind die Kommunisten das, was sie sein sollen: die besten Führer und zugleich die besten Diener der Revolution. In diesem Sinne sagt auch Marx in seiner Ansprache an den Bund vom März 1850:
Die Arbeiter können natürlich im Anfang der Bewegung noch keine direkt kommunistischen Maßregeln vorschlagen.
Der Kommunismus steht nicht am Anfang, sondern am Ende der Revolution, und Kommunist ist nicht der, der das Ende an den Anfang setzen, sondern der, der den Anfang zum Ende führen will. Wenn die Kommunistische Partei nicht schon am Anfang scheitern will, wird sie also die Fragen, die jene Mittelschichten beschäftigen, in den Kreis ihrer Erörterung ziehen, sie wird die nationale Frage als existent betrachten und wird die Losung ausgeben müssen, die für jene Schichten eine wenn auch nur vorläufige Lösung bringt.
III
Das Entscheidende freilich in allem ist für die Kommunisten ihr Verhältnis zur eigentlich revolutionären Klasse, zum Proletariat. Im Verhältnis zum Proletariat erweist sich die Lebensfähigkeit überhaupt der Kommunisten. Sind die Beziehungen der Kommunisten zu jenen andern, halbproletarischen, Mittelschichten taktischer Art, deren richtige oder falsche Einstellung den Gang der Revolution beschleunigen oder hemmen, begünstigen oder gefährden kann, so ist die Beziehung der Kommunisten zum Proletariat prinzipieller Art. Wer das Verhältnis der Kommunisten zum Proletariat nicht begriffen hat und wer nicht dementsprechend handelt, der hört auf, ein Kommunist zu sein. Wir hätten uns über die Frage kurz fassen können, wenn nicht die Ereignisse dieser Tage alles wieder erschüttert hätten, was wir als errungen wähnten.
„In welchem Verhältnis stehen die Kommunisten zu den Proletariern überhaupt?“ Das ist die Frage, die Marx im Kommunistischen Manifest erhebt und die er wie folgt beantwortet:
Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den anderen Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariates getrennten Interessen. Sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen.
Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, daß sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariates hervorheben und zur Geltung bringen, andererseits dadurch, daß sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten. Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weiter treibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder: sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariates die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus.
Diese Sätze sind das Grundgesetz des Kommunismus. Alles andere ist nur dessen Ausführung und Erläuterung. Und unter diesen Gesichtspunkten wollen wir drei Fragen prüfen:
- Welches ist das zahlenmäßige Verhältnis der deutschen Kommunisten zum deutschen Proletariat?
- Welche sind die Voraussetzungen für eine Eroberung der Staatsgewalt durch das Proletariat?
- Wie wird die Staatsgewalt erobert?
a) Welches ist das zahlenmäßige Verhältnis der deutschen Kommunisten zum deutschen Proletariat?
Wenn wir im nachfolgenden Zahlen aus den verschiedenen Wahlbewegungen erörtern, so bedeutet das beileibe nicht, daß irgendeine Aktion des Proletariates oder die Ergreifung der Macht durch das Proletariat erst möglich sei, wenn zuvor irgendein zahlenmäßiges Verhältnis durch Wahl oder Abstimmung festgestellt sei. Wir denken noch viel weniger an die köstliche Theorie, die der Vorwärts im vergangenen Jahr einmal aufstellte, eine Ergreifung der Staatsgewalt durch das Proletariat sei erst möglich, wenn 51% der Wähler sich für das Proletariat erklärt haben, damals, als der Vorwärts einen seiner Parteigenossen dafür abkanzelte, daß dieser behauptet hatte, eine Machtergreifung durch das Proletariat sei unter Umständen auch schon möglich, wenn erst 49 % der „Gesamtbevölkerung“ für die „Diktatur des Proletariates“ – was die Herrschaften so heißen – sei. Und wir denken am allerwenigsten daran, mit den Wahlzahlen die Möglichkeit andeuten zu wollen, die Ziele der Kommunisten durch Wahlen und Abstimmungen zu verwirklichen. Wir halten es vielmehr durchaus mit dem, was Lenin (Die Wahlen zur konstituierenden Versammlung und die Diktatur des Proletariates, S. 22) sagt:
Das allgemeine Wahlrecht ist ein Gradmesser für die Reife des Verständnisses, das die verschiedenen Klassen ihren Aufgaben entgegenbringen. Es zeigt, wie die verschiedenen Klassen geneigt sind, ihre Aufgaben zu lösen. Die Lösung der Aufgaben selbst aber kann nicht durch Abstimmung geschehen, sondern durch alle Formen des Klassenkampfes bis hinauf zum Bürgerkrieg.
In diesem Sinne also werden wir einige Zahlen anführen. Dabei ist, und nicht nur aus diesem Grund, bedauerlich, daß die ersten Zahlen, die zum Vergleiche notwendig wären, fehlen; nämlich die Zahlen aus der ersten Wahl nach Beginn der Revolution, der Wahl vom 19. Januar 1919, von der die Kommunisten fern blieben. So müssen wir beginnen mit der Wahl zum Preußischen Landtag im Februar 1921. Es entfielen in dieser Wahl auf proletarische Parteien folgende Stimmen (auf tausend abgerundet):
Kommunisten | USPD | SPD |
---|---|---|
1.156.000 | 1.087.000 | 4.171.000 |
Diese Zahlen besagen: die Kommunisten sind zur Zeit etwa ein Fünftel der Proletarier, die sich überhaupt als Klassenangehörige betätigen. Selbst mit der USPD zusammen, die doch gewiß keine Kommunisten, sondern eher den Sozialdemokraten zuzuzählen sind, selbst mit diesen zusammen wären sie etwa ein Drittel jener Proletarier.
Doch ist an sich – wir kommen darauf noch später zu sprechen – diese Gesamtzahl nicht unbedingt entscheidend. Wir werden daher einzelne besonders markante Beispiele hervorheben.
VKPD | USPD | SPD | |
---|---|---|---|
Berlin: | 112.000 | 197.000 | 221.000 |
Groß-Berlin (Berlin mit Potsdam I und II): | 233.000 | 397.000 | 564.000 |
Magdeburg: | 26.000 | 48.000 | 264.000 |
Halle: | 204.000 | 76.000 | 71.000 |
Westfalen Nord: | 49.000 | 23.000 | 196.000 |
Westfalen Süd: | 108.000 | 84.000 | 283.000 |
Düsseldorf Ost: | 105.000 | 84.000 | 131.000 |
Düsseldorf West: | 65.000 | 23.000 | 94.000 |
Rheinisch-Westfälisches Industriegebiet: | 372.000 | 214.000 | 704.000 |
Wir werden, wie gesagt, auf die Bedeutung dieser Zahlen noch später zu sprechen kommen und wollen hier nur noch folgendes erwähnen. Aus dem Vergleich etwa der Berliner, aber auch aller anderen Zahlen, mit denen der Reichstagswahl des vergangenen Sommers ergibt sich, daß nach dem Zusammenbruch der USPD etwa ebensoviel Wähler zur Sozialdemokratie, zur Noskepartei, gewandert sind, als zu den Kommunisten. Diese Tatsache ergibt sich auch deutlich etwa aus den Zahlen der Mecklenburgischen Landtagswahl im Juni 1920 und im März 1921. Es erhielten (in runden Zahlen):
KPD | USPD | SPD | |
---|---|---|---|
im Juni 1920 | 1.200 | 24.500 | 128.000 |
im März 1921 | 15.000 | 2.600 | 137.000 |
Danach beträgt der Stimmenverlust der USPD 22.000 Stimmen. Die Kommunisten haben gewonnen etwa 13.800 Stimmen, die Mehrheitler etwa 9.000 Stimmen. Rechnet man auf seiten der Kommunisten ab, was sie aus anderen Kreisen als aus denen der USPD gewonnen haben und berücksichtigt man auf Seiten der Sozialdemokratie, daß sie in diesem stark ländlichen Wahlkreis ohne den Stimmenzuwachs aus dem Lager der USPD einem Stimmenverlust ausgesetzt gewesen wäre, so ergibt sich, wie gesagt, daß die Wähler der USPD halb und halb nach rechts und links gingen, soweit sie nicht (wie es besonders kraß in Berlin stattfand) überhaupt in der Versenkung verschwanden.
Wir haben aber außerdem noch einen anderen Maßstab für das zahlenmäßige Verhältnis der Kommunisten zum Proletariat. Es ist das Verhältnis in den Gewerkschaften. Während in den Wahlzahlen die strenge Scheidung von proletarischem und nichtproletarischem Element nicht stattfindet – die Sozialdemokratie hat zweifellos einen starken kleinbürgerlichen Einschlag, und ein Teil des Proletariats findet in den Wahlziffern überhaupt keinen Ausdruck –, ist die Gewerkschaft rein proletarisch, und jeder kommunistische Gewerkschaftler ist auch zweifellos Mitglied der Kommunistischen Partei. Die Zahl der Mitglieder der Kommunistischen Partei zur Zahl der Gewerkschaftsmitglieder ergibt also eine Höchstzahl des augenblicklichen zahlenmäßigen (nicht geistigen) Einflusses der Kommunisten auf das gewerkschaftliche Proletariat.
Nun: die Gewerkschaften, die dem ADGB angeschlossen sind, hatten
Ende 1918 | 2.866.012 | Mitglieder |
Ende 1919 | 7.338.123 | Mitglieder |
Außerdem sind in den christlichen Gewerkschaften Ende 1919 organisiert gewesen 858.283 Mitglieder.
Ende 1919 waren also in Deutschland rund 8,2 Millionen Arbeiter gewerkschaftlich organisiert. Die Zahlen sind, jedenfalls soweit der ADGB in Frage kommt, 1920 wohl noch gestiegen. Setzen wir aber auch nur diese Zahlen in das Verhältnis zur Zahl der Kommunisten Anfang 1921, zu 500.000, so ergibt sich: vom gewerkschaftlich organisierten Proletariat waren die Kommunisten rund 1/16, vom freigewerkschaftlich organisierten Proletariat waren die Kommunisten rund 1/14.
Das ist das zahlenmäßige Verhältnis, das, auch so, wie es ist, nicht zu schrecken braucht. Denn in revolutionären Situationen ändern Zahlenverhältnisse sich schnell und über den zahlenmäßigen Einfluß hinaus reicht oder wenigstens sollte reichen der geistige Einfluß.
Wir werden über diesen geistigen Einfluß, dessen Bedeutung und darüber, wie man ihn gewinnt und wie man ihn verliert, noch an anderer Stelle reden; hier wollen wir nur eines betonen, was wir schon des öfteren sagten. In gewissem Sinn ist trotz der wachsenden kommunistischen Organisation und trotz des – wenigstens bisher – wachsenden kommunistischen Einflusses die Situation der Kommunisten eine schwierigere geworden. Die Sozialreformisten jeglicher Art waren bei Beginn der deutschen Revolution völlig in der Defensive. Sie hatte zwar große Massen hinter sich, aber ihre Reihen waren ungeordnet; wir hatten freien Zutritt zu ihnen, wir konnten sie beeinflussen. Heute hat der Sozialreformismus einen bewußten und zähen Widerstand gegen den Kommunismus organisiert; ja, teilweise schon geht er aus der Defensive in die Offensive über, um die Kommunisten aus ihren Positionen zu verdrängen. Das heißt: der geistige Einfluß der Kommunisten auf die noch unentschiedenen oder noch reformistisch gesinnten proletarischen Massen fällt den Kommunisten nicht mehr in den Schoß. Er muß errungen werden. Und vorläufig, das steht fest, sind die Kommunisten eine Minderheit im Proletariat.
b) Welche sind die Voraussetzungen für eine Eroberung der Staatsgewalt durch das Proletariat?
Wir haben bereits oben gesagt, was die Voraussetzung nicht sei. Nicht Voraussetzung ist, daß die Mehrheit des deutschen Proletariates ein Mitgliedsbuch der Kommunistischen Partei in Händen habe. Nicht Voraussetzung ist auch, daß zuvor das Proletariat männiglich zur Wahlurne schreite und seine Bereitschaft durch beschriebenen oder bedruckten Zettel bekunde. Voraussetzung ist auch nicht unbedingt, daß jene Mittelschichten, von denen wir oben sprachen, kommunistisch seien oder durchweg mit den Kommunisten sympathisierten. Ihre Sympathie freilich wird in jedem Fall eine außerordentliche Erleichterung der Aufgabe des Proletariates bei wie nach Ergreifung der Macht sein, und Umstände sind auch denkbar, wo die Feindschaft und Ablehnung diesen Schichten die Machtergreifung unmöglich macht. Das sind aber Dinge, die sich zumeist wohl erst im Kampf ergeben und bei denen es schwer ist, sich von vornherein auf bestimmte Formeln festzulegen, die dann, mechanisch angewendet, nur den Offensivgeist schwächen. Aber davon abgesehen gibt es gewisse Voraussetzungen für die Ergreifung der Staatsgewalt. Lenin sagt (Die Wahlen zur konstituierenden Versammlung und die Diktatur des Proletariates, S.12):
Wir können drei Bedingungen feststellen, die dem Bolschewismus zum Siege verhalfen:
1. eine ausschlaggebende Mehrheit unter dem Proletariat;
2. fast die Hälfte der Stimmenzahl im Heere;
3. ein erdrückendes Übergewicht im entscheidenden Augenblick und an entscheidender Stelle, nämlich: in den Hauptstädten und an den dem Zentrum naheliegenden Heeresfronten.
Was diese drei Voraussetzungen in Deutschland angeht, so haben wir zur ersten, Mehrheit, ausschlaggebende Mehrheit im Proletariat, schon das Zahlenmäßige gesagt und werden das andere noch nachholen. Die zweite, nahezu die Hälfte der Stimmenzahl im Heere, ist in ihrer Kleinheit zahlenmäßig überhaupt nicht auszudrücken. Wir haben in der Armee keinen Einfluß, verscherzen ihn uns immer wieder, wenn wir eben einigen gewonnen haben, müssen aber sagen: die ausschlaggebende Bedeutung, die die Armee in Rußland hatte, hat die jetzige deutsche Armee nicht. Lenin sagt (Die Wahlen zur konstituierenden Versammlung und die Diktatur des Proletariates, S. 12): „Die Armee war bereits im Oktober–November 1917 zur Hälfte bolschewistisch. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätten wir nicht siegen können.“ Diese Bedeutung hat die Armee in Deutschland nicht.
Die dritte Voraussetzung ist „das erdrückende Übergewicht im entscheidenden Augenblick an der entscheidenden Stelle“. Dieses ist ein durchaus richtiger Gesichtspunkt. Um eine Schlacht zu gewinnen, braucht man nicht in der Mehrheit zu sein. Es genügt, an der Stelle des Schlachtfeldes in der Mehrheit zu sein, an der die Entscheidung fällt. Um einen Krieg zu gewinnen, braucht man nicht in der Mehrheit zu sein; es genügt, das erdrückende Übergewicht an den Stellen zu haben, an denen Schlachten geschlagen werden.
Welches sind die entscheidenden Stellen? Für Rußland bezeichnet Lenin als solche: die Hauptstädte und die ihnen naheliegenden Heeresfronten. Dieser letztere Faktor scheidet für uns aus den erwähnten Gründen vorläufig aus. Bleiben die Hauptstädte und zunächst die Hauptstadt, die einer haben muß mit ihren Regierungsgebäuden und ihrem zentralen Apparat, wenn er die Staatsgewalt ergreifen will.
Unglückseligerweise ist trotz – oder muß man sagen: wegen? – dem stark entwickelten Spürsinn einiger Berliner Genossen und dem nicht minder stark entwickelten Sprachtalent wider allen „Opportunismus“ die Berliner Organisation ungefähr die schlechteste, die wir im Reiche haben. Was nicht nur aus den Wahlzahlen, sondern auch aus anderem zu beweisen ist. Kurz: diese Berliner Genossen, die dafür verantwortlich sind, haben nichts getan, um diese Voraussetzung für das von ihnen heißer als von den anderen angestrebte Ziel zu erreichen.
Es bleiben aber in Deutschland noch andere Stellen, die unter Umständen entscheidend sein können.
Die Eisenbahnen. Mit den Eisenbahnen ist es nicht viel anders als mit dem Heer. Starken Einfluß, den wir schon hatten, haben wir uns durch eigene Dummheiten immer wieder verdorben. Hier in diesen halbbürgerlichen und halbintellektuellen Kreisen, namentlich der Beamtenschaft, rächt sich am stärksten das, was wir in der Behandlung jener Schichten unterlassen haben. Immerhin haben wir unter den Eisenbahnern, wenn auch nur in einzelnen Orten oder Bezirken, einigen Einfluß. Dann die Industriebezirke. Einen Industriebezirk, der mit einem Streich den bürgerlichen Staat lahmlegen und zur Kapitulation zwingen könnte, so wie Berlin es kann, wenn es die Regierungsgebäude, die Banken usw. besetzt, einen solchen Industriebezirk haben wir in Deutschland nicht. In Deutschland sind zwei Industriebezirke, die für den Staat lebenswichtig sind, die ihn aber erst nach einiger Zeit zur Kapitulation zwingen können: Rheinland-Westfalen und Mitteldeutschland. Was Rheinland-Westfalen angeht, so haben wir eben gesehen, wie dort 372.000 kommunistischen Wählern 214.000 Unabhängige und 704.000 Mehrheitler gegenüberstanden. Danach kann von einem erdrückenden Übergewicht an dieser Stelle keine Rede sein. Das andere Revier ist Mitteldeutschland. Im Bezirk Halle hatten wir 204.000 kommunistische Wähler gegen 76.000 Unabhängige und 71.000 Mehrheitler. Dort hatten wir einen gewaltigen Anhang und eine starke, opferfreudige, heroische Organisation. Wir hatten sie.
Jedenfalls aber steht fest: wenn man von Mitteldeutschland absieht, das im Sinne des kurzen Schlages nicht entscheidend ist, haben wir an keiner Stelle das „erdrückende Übergewicht“. „Wer unter diesen Umständen jetzt, in dieser Situation, eine Aktion beginnt, um die Staatsgewalt zu erobern, der ist ein Narr, und wer der Kommunistischen Partei vorerzählt, sie, die Kommunistische Partei, brauche nur zuzugreifen, der ist ein Lügner.
c) Wie wird die Staatsgewalt erobert?
Die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat wird im allgemeinen (Ausnahmen, siehe Ungarn, waren schon da) die Frucht eines siegreichen Aufstandes, sei es des Proletariates, sei es darüber hinaus noch anderer in die Revolution gezogener Schichten sein. Welche also sind die Voraussetzungen für einen Aufstand? Darüber sagt Lenin (Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten?, S. 61) folgendes:
Wenn es einer revolutionären Partei unter der Avantgarde der revolutionären Klassen und unter der Landbevölkerung an einer Mehrheit fehlt, so kann von einem Aufstand keine Rede sein. Außer dieser Mehrheit ist dafür notwendig:
1. Das Anwachsen der revolutionären Welle im ganzen Lande.
2. Der völlig moralische und politische Bankrott der alten – zum Beispiel der „Koalitions“-Regierung.
3. Tiefgehende Unsicherheit im Lager aller schwankenden Elemente, das heißt jener, die nicht voll und ganz hinter der Regierung stehen, obwohl sie gestern noch voll und ganz hinter ihr standen.
Wir wollen auch hier wieder diese Voraussetzungen für Deutschland prüfen und, daran anknüpfend, die Vorgänge kritisieren, die in den letzten Tagen sich in Deutschland abspielten.
- Die Grundvoraussetzung, die, zu der alle anderen noch hinzutreten müssen, die „Mehrheit der revolutionären Partei unter der Avantgarde der revolutionären Klassen und unter der Landbevölkerung“ lag und liegt in Deutschland, wie wir gesehen haben, nicht vor. Selbst wenn wir die Landbevölkerung, die in Deutschland die ausschlaggebende Rolle wie in Rußland nicht spielt, beiseite lassen, hat die Kommunistische Partei („die revolutionäre Partei“) auch nicht die Mehrheit unter dem Proletariat (der „Avantgarde der revolutionären Klassen“).
- Die revolutionäre Welle im ganzen Lande war nicht im Anwachsen. Wohl wuchs die Erbitterung des vorgeschrittenen Teils der Arbeiterschaft täglich, wohl schwoll die Zahl der Arbeitslosen täglich an, wohl ward die Armut, die Verelendung der Massen größer. Aber der Augenblick war noch nicht eingetreten, wo die sich zeigende Unzufriedenheit in steigende Aktivität der Massen umschlug; sie setzte sich, wie das häufig der Fall ist, vorläufig erst in steigende Resignation um.
- Von dem völligen moralischen und politischen Bankrott der alten – z. B. der „Koalitions“ – Regierung konnte keine Rede sein. In Preußen, wo die Sozialdemokratie in Koalition mit den bürgerlichen Parteien steht, hatte sie soeben genau doppelt so viel Stimmen erhalten als alle übrigen proletarischen Parteien zusammengenommen und war gegenüber dem Juni vorigen Jahres gewachsen.
- Und ebensowenig konnte die Rede sein von jener tiefgehenden Unsicherheit im Lager aller schwankenden Elemente; die Kommunistische Partei hatte, auch bei guten Gelegenheiten, wie dem Londoner Diktat, noch nicht einmal etwas getan, um sie unsicher zu machen.
Wir glauben, daß über diese Verhältnisse bei niemandem in der deutschen Kommunistischen Partei ein Zweifel war. Was also waren die Voraussetzungen, wie kam die Aktion? Wir erklären hierbei im voraus folgendes: die Situation, in der die Partei sich befindet, ist schwerer als sie je war. Es kann sich in Wochen, in Tagen vielleicht schon entscheiden, ob die Kommunistische Partei Deutschlands, ob der Kommunismus in Deutschland als Partei noch weiter besteht. Es ist Pflicht, der Partei gegenüber, in dieser Situation mit aller Offenheit und Wahrhaftigkeit zu reden; wer die Verantwortung für diese Aktion übernommen hat, muß sie tragen, so wie der letzte Parteigenosse. Wir werden also nur zu vermeiden trachten, der weißen Justiz neue Opfer zu liefern und zu vermeiden trachten, daß das geschehene Unglück noch weitere Kreise ziehe als über die deutsche Kommunistische Partei hinaus. In diesem Rahmen aber muß Wahrheit, die volle Wahrheit herrschen. Wie kam es zu der Aktion? Der erste Anstoß zu dieser Aktion kam nicht aus der deutschen Partei. Wir wissen nicht, wer dafür die Verantwortung trägt. Der Fall war schon häufiger, daß Abgesandte des Exekutivkomitees über ihre Vollmacht hinausgingen, d. h. daß sich nachträglich ergab, die Abgesandten hätten zu dem oder jenem keine Vollmachten gehabt. Wir sind also nicht in der Lage, dem Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale die Verantwortung zuzuschieben, wenngleich nicht verhehlt werden darf, daß in Kreisen der Exekutive eine gewisse Mißstimmung über die „Inaktivität“ der Partei bestand. Abgesehen von schweren Fehlern in der Kapp-Bewegung konnten freilich positive Unterlassungen der deutschen Partei nicht nachgesagt werden. Es lag also ein gewisser starker Einfluß auf die Zentrale vor, jetzt, sofort und um jeden Preis in die Aktion einzutreten.
Und diese sofortige Aktion mußte dann begründet werden. In der Sitzung des Zentralausschusses vom 17. März dieses Jahres führte ein verantwortlicher Redner folgendes aus:
„Über die allgemeine Lage ist dasselbe zu sagen, was Levi in der letzten Sitzung ausgeführt hat, nur daß sich seit dem Referat (vier Wochen zuvor!! der Verfasser) die Gegensätze zwischen den imperialistischen Staaten verschärft haben, die Gegensätze zwischen Amerika und England sich zugespitzt haben. Wenn nicht durch eine Revolution eine andere Wendung eintritt, werden wir in Kürze (! der Verfasser) vor einem amerikanisch-englischen Krieg stehen …
… innerpolitische Schwierigkeiten liegen im Bereich der Möglichkeit dadurch, daß am 20. März die Sanktionen verschärft werden (! der Verfasser), ferner am gleichen Tage die Abstimmung in Oberschlesien stattfindet, die mit großer Wahrscheinlichkeit militärische Konflikte zwischen den deutschen und polnischen Imperialisten heraufbeschwören wird. Soweit wir informiert sind, ist jetzt die alte französische Besatzungsformation abgelöst worden durch englische Truppen; während die französischen Truppen eine polenfreundliche Haltung eingenommen haben, sollen nach Informationen (!!) die jetzigen englischen Truppen eine ziemlich stark deutschfreundliche Stellung einnehmen. Es ist mit 90 % Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, daß es zum bewaffneten Konflikt kommt. Die polnische Konterrevolution rüstet, und die deutsche Regierung arbeitet planmäßig, wie dokumentarisch belegt ist, seit Anfang Oktober für militärische Konflikte vor. Der Redner gibt durch Verlesen Kenntnis von diesen Dokumenten, von denen er bemerkt, daß sie nicht veröffentlicht werden dürfen … Unser Einfluß wird über unsere Organisation von 4–500.000 Mitgliedern hinausgehen. Ich behaupte, daß wir heute zwei bis drei Millionen nichtkommunistische Arbeiter im Reiche haben, die wir durch unsere kommunistische Organisation beeinflussen können, die in Aktionen, auch in Angriffsaktionen von uns, unter unserer Fahne kämpfen werden. Ist diese meine Auffassung richtig, dann verpflichtet uns dieser Stand der Dinge, daß wir den inner- und außerpolitischen Spannungen gegenüber uns nicht länger passiv verhalten können, nicht länger die außer- und innerpolitischen Dinge nur agitatorisch verwerten dürfen, sondern dann verpflichtet uns die jetzige Situation, mit Aktionen einzugreifen, um die Dinge in unserem Sinn zu ändern.“
Wir behaupten: in jeder Partei, die auf sich hält, würde ein verantwortliches Mitglied der Leitung, das behauptet, in der Zeit von Mitte Februar bis Mitte März dieses Jahres hätten sich die Gegensätze zwischen den imperialistischen Staaten verschärft, die Gegensätze zwischen England und Amerika sich zugespitzt, daß wir „in Kürze vor einem englisch-amerikanischen Krieg stehen“, statt in die Leitung der Partei in den Keller einer Kaltwasserheilanstalt gebracht. Es würde ein Mitglied der Leitung, das in einer so schwerwiegenden Entscheidung sich stützt auf „geheime Informationen“, „Dokumente, die nicht veröffentlicht werden dürfen“, „90 % Wahrscheinlichkeit“ für einen Krieg, kurz – einen Bericht gibt, gegen den sich ein Weismannscher 3 Spitzelbericht wie ein Dokument von geschichtlichem Wert ausnimmt, schleunigst von seinem Posten entfernt. Und daran knüpft ein verantwortlich leitender Genosse noch die Milchmädchenrechnung von den zwei bis drei Millionen Nichtkommunisten, die auch in „Angriffsaktionen“ kämpfen werden – und das war die politische Basis für die Aktion, die kam!
Zur Verdeutlichung dessen, was nun eine „Angriffsaktion sei, führte ein anderes verantwortliches Mitglied aus:
„Das, was die Zentrale jetzt vorschlägt, ist ein vollkommener Bruch mit der Vergangenheit. Bisher hatten wir die Taktik, oder vielmehr wir sind gezwungen gewesen zu der Taktik, daß wir die Dinge an uns herankommen ließen, und sobald eine Kampfsituation gegeben war, in dieser Situation unsere Entschlüsse faßten. Jetzt sagen wir: wir sind so stark und die Situation ist so verhängnisschwanger, daß wir darangehen müssen, das Geschick der Partei und der Revolution selbst zu zwingen …
Wir haben jetzt von Partei wegen die Offensive zu übernehmen, zu sagen, wir warten nicht, bis man an uns herankommt, bis wir vor Tatsachen stehen; wir wollen, soweit das an uns ist, diese Tatsachen schaffen … Wir können die Verwicklungen außerordentlich verschärfen dadurch, daß wir im Rheinland die Massen zum Streik führen, die die Differenzen zwischen der Entente und der deutschen Regierung außerordentlich verschärfen müssen …
… in Bayern liegen die Dinge so, wie sie gelegen haben lange Zeit in Deutschland, daß wir warten mußten, bis der Angriff von der anderen Seite kam. Was ist unsere Aufgabe in dieser Situation? Wir haben durch unsere Tätigkeit dafür zu sorgen, daß dieser Ausbruch kommt, wenn es sein muß, durch Provokation der Einwohnerwehren …“
Und ein dritter verantwortlicher Parteigenosse fügte dem noch hinzu:
„… es ergibt sich, daß mit der bisherigen Parteieinstellung gebrochen werden muß, die dahin ging, Teilaktionen zu vermeiden und zu vermeiden, Parolen auszugeben, die danach aussehen könnten, als fordern wir den Endkampf …“
Das ist das theoretische Lehrgebäude, in dem das Spiel über Sein oder Nichtsein der Kommunistischen Partei Deutschlands gespielt wurde.
Zunächst eins. Es gibt Kommunisten, bei denen die Worte „Verschärfung“, „Zuspitzung“, „Konflikt“ usw. gewisse revolutionäre Zwangsvorstellungen erwecken. Man kann es nicht anders deuten, wenn dieser eine Redner von den Massenstreiks im Rheinland eine Verschärfung des Konfliktes Deutschlands mit der Entente errechnet. Die Probe aufs Exempel ist inzwischen gemacht. In Düsseldorf sind die Arbeiter in Streik getreten, und dieser Streik hat die französisch-deutschen Beziehungen so verschärft, daß die Düsseldorfer französische Besatzungsbehörde schleunigst – der Sipo 4 die Gewehre zurückgab, auf daß sie den Streik niederschlage.
Und eine zweite „Verschärfung“ wird in der Presse vom 4. April berichtet. Es kommt da die Meldung aus Moers:
„Offenbar auf höhere Weisung hat am Sonntag belgisches Militär zum Schutze der nichtkommunistischen Einwohner eingegriffen und hat, da sich die Kommunisten zur Wehr setzten, von der Waffe Gebrauch gemacht. Den belgischen Truppen gelang es, die Ruhe wieder herzustellen. Bei den Kämpfen mit den Kommunisten wurden drei Aufrührer getötet und 27 verwundet. Die Belgier nahmen viele Verhaftungen vor. Da die Kommunisten versuchten, ihre Genossen zu befreien, die Belgier weiter beschossen und mit Steinen bewarfen, erwiderten die Belgier das Feuer. Truppenverstärkungen nach Moers sind unterwegs. Die Schächte wurden von belgischen Soldaten besetzt.“
So sieht die „Verschärfung der Beziehungen zwischen Deutschland und der Entente“ aus, und wenn sich der Redner der Zentrale überhaupt bei seinen Reden etwas gedacht hat, muß er gerade erwarten, daß die deutsche Regierung wegen der Erschießung deutscher Kommunisten gegen die Entente vom Leder ziehen werde.
Im übrigen aber erkennen diese Bezwinger des Geschicks der deutschen Kommunistischen Partei und der deutschen Revolution wenigstens an, daß eine Kampfsituation sein muß, d. h. eine Situation, in der die Massen begreifen, daß sie kämpfen müssen und dessen willig sind. Die „neue Taktik“, der „Bruch mit der Vergangenheit“ besteht nun darin, daß man solche Situationen schaffen könne. Das ist nun an sich nichts Neues. Die Auffassung haben auch wir immer vertreten: eine politische Partei kann und eine kommunistische Partei muß durch Klarheit und Entschiedenheit des Auftretens, durch Schärfe und Kühnheit der Agitation und Propaganda, durch geistigen und organisatorischen Einfluß, den sie auf die Massen gewinnt: kurz, sie muß durch politische Mittel Kampfsituationen schaffen. Das Neuartige, das den Bruch mit der Vergangenheit der KPD allerdings bedeutet, ist die Auffassung, man könne diese Kampfsituation auch schaffen durch unpolitische Mittel, durch Polizeispitzelmanieren, durch Provokation. Wie das mit der Provokation gemeint ist, hat ein anderer verantwortlicher Parteigenosse in einer anderen Sitzung enthüllt, die während der Aktion stattfand. Er sagte:
„Wir sind der Meinung, daß bei einer intensiven Propagandatätigkeit die Ruhe, mit der sich die Sipo bisher bewegte, verlorengehen wird und so die Arbeiterschaft gereizt wird, die heute in unserem Kampf nicht erfaßt wird.“
Und der gleiche Redner sagte späterhin – das war am 30. März, als die Aktion schon längst verloren war:
„Wir müssen versuchen, einen geschickten Rückzug anzutreten, Konflikte erzeugen, die Sipo reizen, alle konterrevolutionären Elemente zu reizen. Wenn es uns gelingt, mit diesen Mitteln die Bewegung zu erzeugen (! der Verfasser), wird es zu Zusammenstößen kommen …“
Das freilich ist in der Geschichte der Partei, die Rosa Luxemburg gegründet hat, neuartig; es ist ein völliger Bruch mit der Vergangenheit, daß die Kommunisten arbeiten sollen wie Achtgroschenjungen, daß sie den Mord ihrer Brüder provozieren sollen. Man erspare uns den Beweis, daß diese letzte Deutung nicht zu weit geht und das, das wiederholen wir, war die neue theoretische Grundlage, auf der das Spiel begann. Die Aktion begann. Es ist der Zentrale zunächst erspart geblieben, die neuerworbene theoretische Grundlage in die Praxis umzusetzen. Hörsing kam ihr zuvor. Er rückte ins Mansfeldische ein und hatte damit bereits einen Erfolg für sich: den geeigneten Zeitpunkt. Mit der Gerissenheit eines alten Gewerkschaftsbürokraten suchte er sich die Woche aus, die Ostern voranging, wohl wissend, was die viertägige Schließung der Betriebe von Karfreitag bis Ostermontag bedeutet. Damit war die Zentrale schon von vornherein die Gefangene ihrer eigenen „Parolen“ geworden. Sie konnte diese Hörsingsche Provokation gar nicht mehr entsprechend der Lage ausnützen. Die mansfeldischen Arbeiter schlugen los. Ein Mitglied der Zentrale hat in einer Sitzung, die späterhin stattfand, gesagt:
„Unsere Genossen im Mansfeldischen haben die Parole der Zentrale etwas zu forsch aufgefaßt und nicht so befolgt wie sie war. Im Mansfeldischen lag keine Fabrikbesetzung vor, sondern ein Einmarsch.“
Diese Darstellung ist nichts anderes als eine Verleumdung der kämpfenden Genossen. Wenn eine Parole ausgegeben war gegen die Fabrikbesetzung, dann kann ein vernünftiger Mensch, er sei denn gerade Mitglied der Zentrale der VKPD, annehmen, daß sie nicht gelten solle bei den sichtbaren Vorbereitungen zur Fabrikbesetzung, dem Einmarsch. Und die Genossen im Mansfeldischen haben auch entsprechend den Parolen der Zentrale gehandelt, als sie zur Waffe griffen. Auch das scheint in dem oben angeführten Satz bestritten werden zu sollen. Dann liegt der – nicht erste – Fall vor, wo die Zentrale gar nicht weiß und erst später merkt, welche Parole sie ausgegeben hat. Am 18. März begann die Rote Fahne mit den Aufrufen zur Bewaffnung.
„Ein jeder Arbeiter pfeift auf das Gesetz und erwirbt sich eine Waffe, wo er sie findet!“
Mit diesem, für eine Massenaktion seltsamen Text läutete die Rote Fahne die Bewegung ein, und sie hat diesen Ton beibehalten. Am 19. März schrieb die Rote Fahne:
„Die Orgesch-Bande 5 trumpft auf mit dem Schwert. Sie führt die Sprache der offenen Gewalt. Die deutschen Arbeiter wären Hundsfötter, wenn sie nicht den Mut und die Kraft fänden, den Orgesch-Banden in ihrer klaren Sprache zu antworten.“
Am 20. März schrieb die Rote Fahne:
„Das Beispiel der Arbeiter im Bezirk Halle, die auf die Herausforderung Hörsings mit dem Streik antworten werden, muß nachgeahmt werden. Die Arbeiterschaft muß sich sogleich wappnen, um dem Feind gerüstet gegenüberzustehen. Die Waffen in die Hand der Arbeiter.“
Am 21. März schrieb die Rote Fahne:
„Nur das Proletariat kann die schändlichen Absichten der Orgesch-Banden zuschanden machen. Es kann dies nur tun, wenn es sich einig zusammenschließt zur Aktion, wenn es den sozialverräterischen Schwätzern den Laufpaß gibt und die Gegenrevolution schlägt wie sie allein geschlagen werden kann, mit der Waffe in der Hand!“
Gleichzeitig geht durch die Organisation die „neue Theorie“ samt dem Aufruf zur Aktivität und samt der Erklärung, loszuschlagen, sobald es geht, und sei es auch nur dank einer Provokation. In dieser Situation faßten die mansfeldischen Arbeiter die Parole so auf, wie sie auf jeden vernünftigen Menschen wirken muß. Es ist eine feige Verleumdung von toten Helden, die im guten Glauben gefallen sind, wenn jetzt diese selben mansfeldischen Arbeiter als die „Disziplinbrecher“ hingestellt werden. Kein Mensch konnte denken, daß, wenn die Rote Fahne zu den Waffen rief, damit gemeint sei, die Waffen vorläufig hinter den Ofen zu stellen. Es konnte auch nicht jeder Arbeiter ohne weiteres das Gerede von der Waffe so auffassen wie es der Inseratenchef der Roten Fahne in der Nummer vom 24. März 1921 (Nr. 139 Beilage) tat:
Waffen der Kommunisten
bestehen im gegenwärtigen Augenblick nicht zuletzt in ihrer Parteipresse, die schonungslos das Geschwür des Kapitalismus aufsticht. Es ist die Pflicht eines jeden Kommunisten an dieser
Waffenverteilung
mitzuwirken und neue Mitkämpfer zu gewinnen. Werbt daher unermüdlich an der Arbeitsstätte und im Freundeskreis für die Parteipresse, damit
die Rote Armee
der proletarischen Kämpfer täglich neue Rekruten erhält!
Und so entbrannte der Aufstand im Mansfeldischen in der ungünstigsten Woche, in einer politisch völlig unmöglichen Situation, in der Defensive vom ersten Tage an, ohne jede organisatorische Vorbereitung, dank der Spielerei mit dem Aufstand, die man in der Zentrale getrieben hatte.
Es hatte offenbar kein Mitglied der Zentrale und auch nicht der „beste Marxist Westeuropas“ 6 die Worte von Marx gelesen oder beherzigt:
„Nun ist der Aufstand eine Kunst ebenso wie der Krieg oder andere Künste und gewissen Regeln unterworfen, deren Vernachlässigung zum Verderben der Partei führt, die sich ihrer schuldig macht. Diese Regeln, logische Folgerungen aus dem Wesen der Parteien und der Verhältnisse, mit denen man in solchem Falle zu rechnen hat, sind so klar und einfach, daß die kurze Erfahrung von 1848 die Deutschen mit ihnen ziemlich bekannt gemacht hat. Erstens darf man nie mit dem Ausstand spielen, wenn man nicht entschlossen ist, allen Konsequenzen des Spieles Trotz zu bieten. Der Aufstand ist eine Rechnung mit höchst unbestimmten Größen, deren Wert sich für jeden Tag ändern kann: die Streitkräfte, gegen die man zu kämpfen hat, haben den Vorteil der Organisation, Disziplin und der herkömmlichen Autorität ganz auf ihrer Seite; kann man nicht große Kräfte dagegen aufbringen, so wird man geschlagen und vernichtet. Zweitens: ist der Aufstand einmal begonnen, dann handele man mit der größten Entschiedenheit und ergreife die Offensive. Die Defensive ist der Tod jeder bewaffneten Erhebung; diese ist verloren, ehe sie sich noch mit dem Feinde gemessen hat.“
(Marx, Revolution und Konterrevolution in Deutschland, Aufl. 1919, S. 117)
Nun war das Geschick im Lauf. Vom Mansfeldischen sprang der Funke nach Hamburg über. Dort gab es sofort reichlich Tote, und wir können uns kein Urteil erlauben, ob dort die „neue Theorie“ auf fruchtbaren Boden gefallen war. Jedenfalls waren die Hamburger Genossen naiv genug gewesen zu glauben, eine Parteizentrale, die mit dem Aufstand herumfackle, wisse, was sie tue, und zu glauben, die Zentrale wolle, was sie sage. Sie gingen also „aufs Ganze“. Man sandte ihnen einen expressen Boten, der „bremsen“ sollte. Als der Expresse gebremst hatte, fand man, daß er zuviel gebremst hatte. Man sandte einen anderen Expressen, der die Bremsung bremsen sollte. Als aber der zweite Expresse kam, war die Hamburger Bewegung schon gebrochen. Und damit war die Gesamt„aktion“ im wesentlichen bereits am Ende ihrer Kräfte. Die „Aktion“, die entstanden war in einem Kopf, der zudem keinen blassen Schimmer hat von deutschen Verhältnissen, und die politisch vorbereitet und geführt war von unpolitischen Kindsköpfen, hatte die Kommunisten allein gelassen.
Es ist nun das natürlichste von der Welt – um eines vorwegzunehmen –, daß die Feldherren dieses Putsches anderswo als bei sich die Schuld suchen werden. In der Tat hat bereits das Geschrei begonnen von den „Saboteuren“, den „Miesmachern“, den „Defaitisten“ in der eigenen Partei. Die Herrschaften, die diesen Versuch unternehmen, gleichen darin völlig Ludendorff, mit dem wir auch sonst noch wesensverwandte Züge finden werden; sie gleichen Ludendorff nicht nur in der faulen Ausrede, die sie erfinden, um ändern die Schuld zu geben, sie gleichen ihm auch in dem Grundirrtum, den er begangen hat. Ludendorff war einer der Leute aus der Schule, die glaubten, man mache Kriege „mit den Prinzipien des Generalstabs oben und dem Kadavergehorsam unten“. Das mag in einem gewissen Zeitalter richtig gewesen sein. Zu Zeiten des Alten Fritz und der Potsdamer Wachtparade war es völlig genügend, wenn unten, in blindem Gehorsam, die Beine zu Karrees aufmarschierten und oben der Wille des Königs lenkte. Im Zeitalter der großen Armeen, der Volksheere, der Massenarmeen genügte das nicht mehr. Der „moralische Faktor“ erforderte mehr und mehr sein Recht. Große Armeen sind nicht nur ein militärisches, sie sind auch ein politisches Instrument. Sie hängen mit tausend Fäden an den nichtuniformierten Massen; unsichtbar geht zwischen diesen und jenen ein Austausch des Wollens, des Fühlens, des Denkens vor sich: der Feldherr, der nicht versteht, in diesem Sinn eine Armee politisch zu führen, verdirbt damit die beste Armee – so wie Ludendorff es getan.
Nicht anders aber ist es mit politischen Parteien. Für einen anarchistischen Klub genügt es vollkommen, wenn der Wille des Führers befiehlt und der Todesmut der Gläubigen gehorcht. Für eine Massenpartei, die nicht nur Massen in Bewegung setzen will, sondern auch selbst Masse ist, genügt das nicht. Was von den Kommunisten erwartet werden muß, das ist, daß sie Kampfsituationen rasch erspähen, energisch ausnützen und jederzeit über das Kampfziel hinweg auf das Endziel weisen. Aber kein Kommunist ist kraft der Aufnahme in die Kommunistische Partei und der Übernahme des Mitgliedsbuches verpflichtet oder auch nur befähigt, eine Kampfsituation zu ersehen, wo keine ist und wo nur der Wille der Zentrale in einem unsichtbaren und geheimen Konventikel und aus anderen Gründen als denen, die den Proletariern vor Augen liegen, beschließt: eine Kampfsituation bestehe. Die Zentrale hat damit noch nicht einmal die simple Kunst jenes Indianerhäuptlings gezeigt, der, um seine Allmacht zu erweisen, jeden Morgen von Sonnenaufgang vor sein Zelt trat und sagte: Sonne, geh du den Weg, den ich dir weise. Er deutete dabei mit der Hand von Osten nach Westen. Die Zentrale, von denselben Allmachtsgefühlen beseelt, deutete aus Versehen mir der Hand von Westen nach Osten. Sie hat damit das Grundgesetz verletzt, nach dem eine Massenpartei überhaupt nur bewegt werden kann; nur eigener Wille, eigene Einsicht, eigene Entschlossenheit der Massen kann sie bewegen; auf Grund dieser Voraussetzungen kann eine gute Führung – führen. Die Zentrale hat aber auch die Bedingungen nicht erkannt, unter denen eine Massenpartei, die Masse unter Massen ist, die im persönlichen, im beruflichen Verkehr in den Betrieben, in den Gewerkschaften, überall mit den Proletariern zusammenhängt, die von da dem bestärkenden und beflügelnden Einfluß der Sympathie, dem lähmenden der Antipathie oder Feindschaft unterliegt, Überhaupt nur kämpfen kann und damit kommen wir zurück zu der Frage: wie muß das Verhältnis der Kommunisten zu den Massen in einer Aktion sein? Eine Aktion, die lediglich dem politischen Bedürfnis der Kommunistischen Partei und nicht dem subjektiven Bedürfnis der proletarischen Masse entspricht, ist verfehlt an sich. Die Kommunisten haben nicht die Möglichkeit und zumal nicht, solange sie eine solche Minderheit im Proletariat sind, die Aktion an Stelle des Proletariates, ohne das Proletariat, am Ende gar gegen das Proletariat zu machen. Sie können nichts anderes, als vermöge der oben erwähnten politischen Mittel Situationen schaffen, in denen das Proletariat die Notwendigkeit des Kampfes sieht, kämpft, und in den Kämpfen können dann die Kommunisten durch ihre Parolen das Proletariat führen.
Wie aber dachte sich die Zentrale das Verhältnis der Kommunisten zu den Massen? Wie schon oben angeführt, dachte sie zunächst, man könne die Situation auch mit nichtpolitischen Mitteln scharfen. Nun hatte sie ihre Toten. In Hamburg und im Mansfeldischen lagen sie. Aber die Situation war von Anfang an so ohne jede Voraussetzung für eine Aktion, daß nicht einmal die Toten die Massen m Bewegung zu bringen vermochten. Man hatte aber noch ein anderes Mittel bereit. In Nr. 133 der Roten Fahne vom Sonntag, dem 20. März, steht ein Artikel mit der Überschrift:
„Wer nicht für mich ist, der ist wider mich! Ein Wort an die sozialdemokratischen und unabhängigen Arbeiter.“
Im Artikel ist zwar nur das „für mich“, erörtert und lediglich am Schluß den Arbeitern gesagt, unter welchen Bedingungen sie „mittun dürfen“. Es heißt da:
„Unabhängige und sozialdemokratische Arbeiter! Euch strecken wir brüderlich die Hand entgegen. Aber wir sagen euch auch, wenn ihr mit uns kämpfen wollt, so müßt ihr ebenso hart wie die Kapitalisten die treffen, die in euren Reihen die Sache der Kapitalisten führen, die mit der Orgeschbande ins Feld ziehen gegen euch Arbeiter und auch die feigen Memmen, die euch einschläfern und entmutigen, wo euch Orgesch die Schwertspitze auf die Brust setzt.“
Man denke sich: für die unabhängigen und sozialdemokratischen Arbeiter lag m dieser Situation kein Grund zu einer Aktion vor. Der geniale Kopf, der die Aktion ersonnen, war ihnen unbekannt, ein Beschluß der Kommunistischen Partei war für sie kein Ereignis, das sie, ohne daß sie eine Begründung kannten, in eine Aktion riß, und wir vermuten: hätten sie die Begründung gekannt, so würde ihr Wille zur Aktion nicht größer geworden sein. Man verstehe: diesen Arbeitern, die der Aktion völlig verständnislos gegenüberstanden, stellt man als Bedingungen dafür, daß sie mitmachen dürfen, die, daß sie möglichst ihre bisherigen Führer an die Laterne knüpfen. Und für den Fall, daß sie sich dieser Bedingung nicht willig fügen, wird ihnen die Alternative gestellt: „Wer nicht für mich ist, der ist wider mich!“ Eine Kriegserklärung für vier Fünftel der deutschen Arbeiter zu Beginn der Aktion!
Wir wissen nicht, ob der Verfasser jenes Artikels erfahren genug ist, um zu wissen, daß er mit diesem Artikel einen Vorgänger hat. Dieser Vorgänger freilich besaß wenigstens die Bescheidenheit zu sagen: „Wer nicht für uns ist, der ist wider uns.“ Er war nun freilich kein Marxist, er war kein Sozialist; er hieß – Bakunin, der russische Anarchist, der im Jahre 1870 einen Aufruf an die russischen Offiziere unter dieser Alternative richtete. Der Artikelschreiber der Roten Fahne mag in Marx und Engels Schrift: Die Allianz der sozialistischen Demokratie und die internationale Arbeiterassoziation Marx’ Urteil darüber und einiges andere Zeitgemäße nachlesen. Wobei überhaupt bemerkt werden muß, daß die ganze Einstellung zu den revolutionären Klassen unter den Gesichtspunkt: „Wer nicht für ist, der ist gegen“ die dem Anarchismus eigentümliche ist, daß der Satz: „Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns“ geradezu das Lieblingswort sowohl Bakunins 7 als seines Schülers Netschajev ist, und daß nur aus dieser Gesamteinstellung sich die ganzen Methoden ergeben, die der Anarchismus anwendet – nicht um die Konterrevolution zu besiegen, sondern, um mit einem Mitglied der Zentrale der VKPD zu sprechen, „um die Revolution zu zwingen“. Der Kommunismus ist nie und nimmer gegen die Arbeiterklasse. Aus dieser Bakunistischen, allem Marxistischen Hohn sprechenden Grundeinstellung der Aktion, diesem völligen Verkennen, der völligen Verleugnung aller marxistischen Stellung der Kommunisten zu den Massen, ergeben sich dann alle folgenden, bewußten oder unbewußten, gewollten oder ungewollten, gezwungenen oder freiwilligen, bereuten oder nicht bereuten anarchistischen Wesenszüge dieses Märzaufstandes ganz von selbst: der Kampf der Arbeitslosen gegen die Arbeitenden, der Kampf der Kommunisten gegen die Proletarier, das Hervortreten des Lumpenproletariates, die Dynamitattentate – das alles waren die logischen Folgen. Durch das alles wird die Märzbewegung als das charakterisiert, was sie ist: der größte Bakunisten-Putsch der bisherigen Geschichte.
Also: die Kriegserklärung an die Arbeiterschaft war da. Die Zentrale scheint auch das nicht bemerkt zu haben. Denn ein oben erwähntes Mitglied der Zentrale gab auch für diese „falsche Einleitung“ der Bewegung – den mansfeldischen Arbeitern die Schuld. Und für das, was nun geschah, gibt es kein Wort der Bezeichnung. Das Wort Blanquismus auf diese Aktion anzuwenden, wäre eine Schändung von Blanqui. 8 Denn auch Blanqui war immerhin nur der – von Marx wie Engels in jedem Teil gemißbilligten – Auffassung: „daß Revolutionen überhaupt sich nicht selbst machen, sondern gemacht werden; daß sie gemacht werden von einer verhältnismäßig geringen Minderzahl“, und daß diese Minderheit die Mehrheit durch ihr Beispiel mit fortreißt. In der Roten Fahne aber, unter der Autorität der Zentrale der VKPD, erklärt ein Artikelschreiber zu Beginn der Aktion den Arbeitern den Krieg, um sie dann zur Aktion zu prügeln. Und der Krieg begann. Die Arbeitslosen wurden als Sturmkolonnen voran geschickt. Sie besetzten die Tore der Fabriken. Sie drangen in die Betriebe ein, löschten hier und da die Feuer und versuchten, die Arbeiter aus den Betrieben herauszuprügeln. Es kam zum offenen Krieg der Kommunisten gegen die Arbeiter. Aus dem Moerser Bezirk kam folgende Nachricht:
„Auf der Kruppschen Friedrich-Alfred-Hütte in Rheinhausen ist es am Donnerstagmorgen zu heftigen Kämpfen gekommen zwischen Kommunisten, die das Werk besetzt hielten, und Arbeitern, die zur Arbeit wollten. Die Arbeiter gingen schließlich mit Knüppeln auf die Kommunisten los und erzwangen sich den Zutritt zur Arbeitsstelle mit Gewalt. Dabei gab es acht Verwundete. In die Schlägerei griffen schließlich belgische Soldaten ein, die die Kämpfenden auseinanderbrachten und 20 Kommunisten verhafteten. Die aus den Betrieben herausgeworfenen Kommunisten kehrten später mit Verstärkung zurück und besetzten erneut das Werk.“
Noch erschütterndere Berichte werden aus Berlin gegeben. Es sei, so sagt man uns, ein entsetzlicher Anblick gewesen, wie die Arbeitslosen, laut weinend vor Schmerz über die Prügel, die sie empfangen, aus den Betrieben hinausgeworfen wurden, und wie sie denen fluchten, die sie dahin gesandt. Freilich, als es dann zu spät war, als der Krieg der Kommunisten gegen die Arbeiter schon begonnen und für die Kommunisten schon verloren war, kam auch die Rote Fahne plötzlich mit guten Lehren. Am 26. März setzte offenbar ein anderer Redakteur der Roten Fahne als der, der den Artikel „Wer nicht für mich ist, der ist wider mich“ in Druck gegeben hatte, Mahnungen in die Zeitung: kein Kampf von Arbeitern gegen Arbeiter! Dieser Pontius Pilatus wusch seine Hände in Unschuld.
Aber nicht genug damit. Waren nicht schon Arbeitslose genug da, so schuf man neue. Die Kommunisten in den Betrieben waren in der schweren Lage, zu entscheiden, ob sie aus den Betrieben herausgehen sollten, in denen sie die Minderheit waren, in denen also ihr Streik keine Stillegung, oft nicht einmal eine Behinderung bedeutete. Die Zentrale will die Anweisung gegeben haben, dieses Falles in den Betrieben zu bleiben. Der Berliner Sekretär will dasselbe getan haben, aber es liegt ein Schreiben der Berliner Organisation vorn 29. März vor, in dem es heißt: „Unter keinen Umständen darf ein Kommunist, auch wenn er Minderheit ist, zur Arbeit schreiten.“ Die Kommunisten gingen heraus aus den Betrieben. In Trupps von 200, 300 Mann, oft mehr, oft weniger, gingen sie aus den Betrieben: der Betrieb ging weiter; sie sind heute arbeitslos, die Unternehmer haben die Gelegenheit benutzt, die Betriebe „kommunistenrein“ zu machen in einem Falle, in dem sie selbst ein groß Teil der Arbeiter auf ihrer Seite hatten. Kurzum, die „Aktion“, die begann mit der Kriegserklärung der Kommunisten gegen das Proletariat und der Arbeitslosen gegen die Arbeiter, war verloren vom ersten Augenblick an und in einer Aktion, die so beginnt, können die Kommunisten nie und nimmer irgend etwas, auch nur moralische Werte, gewinnen.
Die Zentrale hatte zu entscheiden, was weiter geschah. Sie entschied sich für „Steigerung der Aktion“. Die Aktion, die irrsinnig begonnen war, in der kein Mensch wußte, worum man eigentlich kämpfe, in der die Zentrale – offenbar weil ihr nichts anders einfiel und weil sie den Kniff für furchtbar klug hielt – zurückgriff auf die Gewerkschaftsforderungen aus dem Kapp-Putsch (!), die Aktion, die Narretei sollte gesteigert werden. Sie war steigerungsfähig. Zu den Toten im Mansfeldischen und Hamburg kamen die Toten in Halle. Auch sie brachten nicht die „Stimmung“. Nach den Toten in Halle kamen die Toten in Essen. Aber die „Stimmung“ blieb aus. Nach den Toten in Essen kamen die Toten in Mannheim. Aber noch immer keine „Stimmung“. Man wird nervös in der Zentrale wegen des Ausbleibens der Stimmung. In dieser Situation dann am 30. März sprach jenes Zentralmitglied jenen Stoßseufzer aus, daß doch vielleicht in Berlin die Sipo „die Ruhe verlieren“ möge, damit die Arbeiterschaft „gereizt“ werde.
Und daneben wurde die Arbeiterschaft, die „gereizt“ werden sollte, in der Roten Fahne weiter „behandelt“. Am selben 30. März 1921 schrieb dieses Blatt folgendes:
„Wir sagen den unabhängigen und mehrheitssozialistischen Arbeitern mit aller Deutlichkeit: nicht nur auf das Haupt eurer Führer, auf das Haupt jedes einzelnen von euch kommt die Blutschuld, wenn ihr stillschweigend oder auch nur unter lahmen Protesten duldet, daß die Ebert, Severing, Hörsing den weißen Schrecken und die weiße Justiz gegen die Arbeiter loslassen, daß sie dem gesamten Proletariat vorankämpfen …
Die Freiheit fordert eine Intervention der Gewerkschaften und der sozialdemokratischen Parteien. Wir spucken auf eine Intervention der Schurken, die selbst den weißen Schrecken der Bourgeoisie entfesselt haben, die selbst für die Bourgeoisie das Henkerswerk ausüben … Schmach und Schande über den Arbeiter, der jetzt noch beiseite steht, Schmach und Schande über den Arbeiter, der jetzt noch nicht weiß, wo sein Platz ist.“
Das war freilich ein „vollkommener Bruch mit der Vergangenheit“ der Kommunistischen Partei, auf diese Weise die Arbeiter zu „reizen“, in die Aktion zu treten. Das war freilich nichts mehr: nichts vom Geiste von Karl Liebknecht geschweige denn von Rosa Luxemburg, und darum konnte es auch füglich unterbleiben, daß in der Nummer der Roten Fahne vom 26. März (Kampfruf Nr. 1) ein – man verzeihe mir dieses eine harte Wort; doch ich verteidige das Andenken Toter, die sich nicht wehren können – ein Schandbube schrieb: „Der Geist Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs marschiert an der Spitze des revolutionären Proletariats Deutschlands.“ Man hatte genug frischer Leichen zum „reizen“; man konnte die alten in Frieden lassen.
Und was nun folgte, war ein erschütterndes Schauspiel. Die Zentrale „steigerte die Aktion“. Fähnlein um Fähnlein erhob sich. Da war kein Unterschied zwischen „Altkommunisten“ und „Neukommunisten“, über die die ganz Gesalbten noch immer die Nase rümpfen. Mit Heldenmut und Todesverachtung ohnegleichen standen die Genossen auf. In den Städtchen und Dörfern Mitteldeutschlands, im Leunawerk, in den kleinen und großen Fabriken: Fähnlein um Fähnlein trat an zum Sturm – wie es die Zentrale gebot. Fähnlein um Fähnlein ging vor in den Kampf – wie es die Zentrale gebot. Fähnlein um Fähnlein ging in den Tod – wie es die Zentrale gebot. Ave morituri te salutant! Da ward nicht einmal, da ward dutzende Male in Mitteldeutschland das Geschick der dreihundert Spartaner unter Leonidas erfüllt. Dutzende und Hunderte von mallosen Gräbern in Mitteldeutschland sprechen heute zum Wanderer, der vorübergeht: „Verkündige dorten, du habest uns hier liegen gesehen, wie das Gesetz es befahl!“
Und die Zentrale? Sie saß in Berlin und „steigerte die Aktion“. Seit Tagen bereits vor Abbruch der Aktion stand in einer Sitzung der Zentrale das Stimmenverhältnis der anwesenden Mitglieder auf fünf zu drei für Abbruch der Aktion. Aber es zeigte sich auch hier: in die Grube der „Schlappheit“, des „Opportunismus“, der „Inaktivität“, die sie anderen gegraben, fielen sie nun selbst. Gegenüber der Minorität von drei Stimmen, die für „Durchhalten“ waren, wagten die fünf nicht, ihre Meinung durchzudrücken, um nicht in den Geruch mangelnden revolutionären Willens zu kommen. Drei vage „Berichte“ aus drei Bezirken, daß wahrscheinlich „etwas losgehe“, daß die Landarbeiter in Ostpreußen sich „rühren“, genügten. Und so gingen von neuem die Boten hinaus, um „die Aktion zu steigern“. Und was waren die Gründe jener drei Unentwegten? Wir wissen nicht, ob alle drei ihn teilten, aber einer äußerte als Grund, man müsse jetzt, nachdem die Aktion verloren sei, sie noch so weit treiben, daß, man nach Abbruch sich wenigstens nicht auch noch nach „links“, sondern nur nach „rechts“ zu verteidigen brauche.
Was soll man dazu sagen? Da verblaßt auch der Name Ludendorff. Der schickte, die Niederlage sicher vor Augen, Klassenfremde, Klassenfeinde in den Tod. Die aber schickten ihr eigen Fleisch und Blut zum Sterben für eine Sache, die sie selbst schon als verloren erkannt, zum Sterben, damit ihre, der Zentrale Position, nicht gefährdet werde. Wir wünschen den Genossen, mit denen wir selbst lange frohe und trübe Zeit durchlebt haben, keine Buße für das, was sie getan; nur eine Kasteiung mögen sie sich auferlegen, um ihrer selbst und um der Partei willen, in deren Nutzen zu handeln sie wohl glaubten, und das ist: deutschen Arbeitern nie mehr unter die Augen treten.
Es hätte also müssen mit dem Teufel zugehen, wenn in diesem anarchistischen Hexensabbat, den die Zentrale der VKPD aufgespielt hat, nicht auch das Element mit aufgetreten wäre, das schon die Lieblingsgarde Bakunins, des Erfinders solcher Sorte von „Revolution“ gewesen war: das Lumpenproletariat. Wobei wir zunächst eines vorausschicken. Wir nehmen – ohne, aber auch nach den vorliegenden Versicherungen – an, daß die Kommunistische Partei und ihre Zentrale weder offiziell noch inoffiziell mit den Dynamitattentaten der vergangenen Zeit etwas zu tun hat. Die Parteizentrale wird aber nicht umhin können, diese Dinge öffentlich zu desavouieren, politisch zu ihnen Stellung zu nehmen, sie abzulehnen, von wem auch immer sie ausgegangen sein mögen. Sie ist dazu um so eher gezwungen, als, nachdem einmal der „vollkommene Bruch mit der Vergangenheit“ vollzogen ist, die Selbstverständlichkeit, die früher über solche Dinge bestand, nach dem oben Ausgeführten nicht mehr besteht. Was aber das Lumpenproletariat angeht, so müssen wir bemerken, daß die Liebe dafür bereits über die engere Schule Bakunins hinausgegangen ist. Wir haben bereits vor einigen Monaten lediglich mit einem Worte von Engels auf das Lumpenproletariat und auf die Gefahr einer Verbindung der Kommunisten mit dem Lumpenproletariat hingewiesen. Diese Warnung hat es einigen Genossen angetan. Der Genosse Frölich 9 in der Hamburger Volkszeitung versuchte auf den Busch zu klopfen, ob er gleich genau wußte, welcher Hase dahinter saß. Der Genosse Frölich hat unterdessen Sukkurs bekommen. In einem Artikel des Genossen Radek, der bis jetzt noch nicht erschienen ist und von dem wir auch nicht wissen, ob sein Verfasser die Veröffentlichung noch wünscht, steht zu lesen:
„Mit seinem revolutionären Instinkt fühlte Genosse Frölich sofort, daß es sich hier um irgend etwas Faules handle. Es handelte sich um nicht mehr und um nicht weniger als die Tatsache, daß bei dem rapiden Verfall des Kapitalismus und der langsamen Entwicklung der Revolution immer größere proletarische Massen in die Reihen der Arbeitslosen hineingedrängt werden und hier verelenden und verlumpen. Wer jetzt nach alter sozialdemokratischer Manier seine theoretische Nase über dieses „Lumpenproletariat“ zu rümpfen beginnt, der wird diese Massen niemals zur revolutionären Aktion zu mobilisieren verstehen.“
Also, wohl gemerkt: das „Faule“, das der Genosse Frölich „mit revolutionärem Instinkt“ fühlte, war nicht das Lumpenproletariat, sondern die Warnung vor einer Verbindung damit. Und nun erlaube der Genosse Radek mir, der ich selbst ein armer und irrender Mensch, „selbst der klaren Einsicht bar und in Entwicklung begriffen“ zudem ein „revolutionärer Erfolgspolitiker“ bin, ihm, dem großen Marxisten aus meinem schwachen Verstande heraus einige Bemerkungen zu machen. Genosse Radek redet von „theoretischem Naserümpfen“ über das Lumpenproletariat „nach alter sozialdemokratischer Manier“. Die Manier ist freilich schon sehr alt. Die Manier hat bereits begonnen in der ersten „sozialdemokratischen“ Schrift, die es gibt – im Kommunistischen Manifest. Dort heißt es:
„Das Lumpenproletariat, diese passive Verfaulung der untersten Schichten der Gesellschaft, wird durch eine proletarische Revolution stellenweise in die Bewegung hineingeschleudert; seiner ganzen Lebenslage nach wird es bereitwilliger sein, sich zu reaktionären Umtrieben kaufen zu lassen.“
Man sieht also: das „theoretische Naserümpfen“ begann schon Marx und leidlich früh. Der geistige Stammvater dieses vergangenen Kommunistenaufstandes, Michael Bakunin, war darüber anderer Meinung. In der oben erwähnten Schrift von Marx und Engels wird folgende Ausführung Bakunins zitiert:
„Das Räubertum ist eine der ehrenvollsten Formen des russischen Volkslebens. Der Räuber ist der Held, der Verteidiger, der Rächer des Volkes, der unversöhnliche Feind des Staates und jeder durch diesen begründeten sozialen und zivilen Ordnung, der auf Leben und Tod jede Zivilisation der Beamten, der Vornehmen, der Priester und der Krone bekämpft… Wer das Räubertum nicht begreift, wird auch nichts von der russischen Volksgeschichte begreifen. Wem es nicht sympathisch ist, kann keine Freude am Volksleben haben und hat kein Herz für die Jahrhunderte alten und unermeßlichen Leiden des Volkes; er gehört ins feindliche Lager, zu den Parteigängern des Staates … Die in den Wäldern, Städten und Dörfern ganz Rußlands verstreuten und die in den zahllosen Gefängnissen des Reiches festgehaltenen Räuber bilden eine einheitliche und unteilbare, stark verbundene Welt, die Welt der russischen Revolution. In ihr, in ihr allein lebt seit langem die wirklich revolutionäre Verschwörung.“
Man sieht, ich muß dem Genossen Radek dankbar sein. Während er mich nur mit „theoretischem Naserümpfen“ und „jeder Einsicht bar“ abstraft, ging sein Herr und Meister, Bakunin, mit denen nicht so glimpflich um, die seiner Räubereroika nicht lauschen wollten. Er erklärte sie für „ins feindliche Lager gehörig“, für „Parteigänger des Staates“. Marx und Engels ertrugen das Geschick, von Bakunin für „Parteigänger des Staates“ erklärt zu werden, also werde auch ich mein Schicksal tragen müssen; denn vorläufig vermögen auch die Gründe Radeks mich ebensowenig zu überzeugen, wie Bakunin Marx und Engels zu überzeugen vermochte.
Was sind die Radekschen Gründe? Im Lumpenproletariat sieht der Genosse Radek „die immer größer werdenden Massen, die in die Reihe der Arbeitslosen hineingedrängt werden“. Davon kann gar keine Rede sein. Die Arbeitslosigkeit ist weder überhaupt, noch ihrem Umfang, höchstens ihrer Dauer nach für den Kapitalismus etwas Neues. Sie ist der stetige Schatten, der den Kapitalismus begleitet. Es hat noch nie ein Mensch daran gedacht, die „industrielle Reservearmee“ mit dem Lumpenproletariat zu identifizieren. Die Lumpenproletarier sind klassenlos, Verfaulungsprodukte aus allen möglichen Klassen und Schichten. Die Arbeitslosen, eben weil ihre Arbeitslosigkeit eine stetige und notwendige Folge ihrer ökonomischen Lage als Verkäufer von Arbeitskraft ist, sind Angehörige der Klasse der Verkäufer von Arbeitskraft, der Proletarier. Sie nehmen teil und müssen teilnehmen am Klassenleben ihrer Klasse. Durch die Bande der Gewerkschaften, der Genossenschaften, der politischen Organisationen und – vor allem – der politischen Betätigung müssen die Arbeitslosen Proletarier sein und bleiben. Gewiß ist, daß die Dauer der Arbeitslosigkeit einzelne Individuen aus der Schicht der Arbeitslosen deklassiert und ins Lumpenproletariat hinabstößt. Dem Prozeß leistet aber gerade der Vorschub, der jene Bande zwischen Arbeitslosen und ihren arbeitenden Klassengenossen, wer vor allem das Band gemeinschaftlicher politischer Betätigung von Arbeitenden und Arbeitslosen zerschneidet. Und das ist geschehen. Nicht nur dadurch, daß man die Arbeitslosen als Sturmkolonne gegen die Arbeitenden schickte. Auch dadurch, daß man die durch Hunger und Elend zermürbten Arbeitslosen zu Methoden mißbrauchte, die sonst dem Lumpenproletariat eigentümlich sind, deklassiert man sie und wirft sie mit Gewalt (und mit schlimmeren Mitteln als Gewalt) in die Reihe des Lumpenproletariates.
Aber, so wird man sagen, wo doch die Kommunisten, wie wir schon oben gesehen haben, sich mit allen anderen revolutionären Klassen verbinden, warum nicht auch mit den Lumpenproletariern? Darauf ist die Antwort sehr einfach. Die anderen Klassen, mit denen sich die Kommunisten zum Zweck des Sturzes des bestehenden Staates verbinden können, die Kleinbauern, die Handwerker, die Bourgeoisie da, wo sie revolutionär ist, sind Klassen. Das heißt eine Vielheit von Menschen, die durch ihre Gleichartigkeit in Beziehung auf die gesellschaftlichen Produktionsmittel zu einem sozialen Körper verbunden sind. Die Lumpenproletarier sind keine Klasse. Sie gehören nicht zu den Arbeitskraftverkäufern wie arbeitende und arbeitslose Proletarier, sie gehören nicht zu den Besitzern von Produktionsmitteln; sie sind verwehte Blätter aus allen Wäldern, sie sind gewiß Opfer einer ungerechten Gesellschaftsordnung, aber ihr schwerster Verlust, den sie erlitten haben, ist der, daß sie eben deklassiert, klassenlos sind und nicht einmal mehr das haben, was der Proletarier noch hat: als Klasse für die Änderung der Zustände kämpfen zu können, deren Opfer sie sind. Gewiß kann aus irgendeiner Bewegung einiger Lumpenproletarier, Räuberbanden usw. eine Situation entstehen, die den Kommunisten erlaubt, sie politisch auszunützen – der Staat muß dann freilich schon sehr geschwächt sein – und ein Tor wäre, wer dann sich nicht der Situation bedienen würde und „theoretisch vernagelt“ der, der eine solche Situation ausließe, nur weil sie von Lumpenproletariern geschaffen ist. Aber was die Verbindung mit den Lumpenproletariern anbetrifft, bleibt es bei dem Wort von Engels:
„Das Lumpenproletariat, dieser Abhub der verkommenen Subjekte aller Klassen, der sein Hauptquartier in den großen Städten aufschlägt, ist von allen möglichen Bundesgenossen der schlimmste. Dieses Gesindel ist absolut käuflich und absolut zudringlich … Jeder Arbeiterführer, der diese Lumpen als Garde verwendet oder sich auf sie stützt, beweist sich schon dadurch als Verräter an der Bewegung.“
Der große Unterschied zwischen einem kämpfenden Proletarier und einem „politischen“ Lumpenproletarier ist eben immer der: der kämpfende Proletarier begeht auch kriminelle Handlungen zu politischen Zwecken, und der Lumpenproletarier begeht auch politische Handlungen zu kriminellen Zwecken. Wir haben nun zu allem hin in Deutschland schon unsere praktischen Erfahrungen gemacht. Man muß auch hier mit der Eigentümlichkeit des deutschen Arbeiters rechnen. Ich möchte dem Genossen Radek die Versuchung ersparen, hier einen billigen Witz zu machen und sage; wie der russische Arbeiter seine Vorzüge und Schwächen hat, so hat auch der deutsche die seinen, und einer der Vorzüge der deutschen Arbeiter ist, um mit Engels zu reden,
„daß sie dem theoretischsten Volk Europas angehören, und daß sie sich den theoretischen Sinn bewahrt haben, der den sogenannten ‚Gebildeten‘ Deutschlands so ganzlich abhanden gekommen ist.“
Und zumal auf diese Eigentümlichkeit wirkt eine auch nur äußerliche Verbindung mit dem Lumpenproletariat im höchsten Grade ungünstig. Wir haben unsere Erfahrungen gesammelt im Spartakusbund, wo wir sicherlich nicht und nirgendwo mit dem Lumpenproletariat uns verbündet hatten, wo wir nur in der raschen Tagen des November und Dezember 1918 uns das Lumpenproletariat nicht genügend vom Halse schaffen konnten, so daß es nahe daran war, daß auch in der Meinung der Arbeiter dieses uns die Farbe gab. Wir haben uns im langen Kampfe, womit ich nicht unsere Auseinandersetzung mit der KAPD 10 meine, davon gereinigt – nicht ohne auch die Erfahrung gemacht zu haben, daß sich das Lumpenproletariat viel lieber von der Bourgeoisie kaufen läßt, als mit den Proletariern zu gehen – so, daß die Arbeiter uns ernst nahmen und unser Einfluß bei den Arbeitern wuchs und sie Vertrauen zu uns bekamen. Und nun der Kommunistenaufstand von 1921! Ich will hier nur die Stimme eines einzigen, freilich in Eisenbahnersachen außerordentlich erfahrenen Genossen wiedergeben, der gar nicht zu meiner, sondern eher zur „Berliner“ Schule gehört. Er sagte in einer Sitzung vom 30. März folgendes:
„Die Spielerei dort bei Ammendorf, den D-Zug zum Entgleisen zu bringen, bringt die Arbeiterschaft gegen uns auf. Jetzt kommen die Eisenbahner, das ganze Zugbegleitpersonal und sagen: wenn ihr doch wenigstens einen Munitionszug oder Militärtransportzug in die Luft jagen würdet. Dresden stellt glattweg Militärtransporte zusammen. Wir müssen dort mit allen Kräften daran arbeiten, diese Zusammenstellung von Zügen zu verhindern. Diese Verhinderung wird uns unmöglich durch die blödsinnigen Attentate. Die Regierung hat die Eisenbahner auf ihre Seite bekommen. Ich schreibe das den blödsinnigen Dynamitattentaten zu. Die haben dazu beigetragen …“
So hat das gewirkt. Wobei ich rundweg erkläre: mit einem einzigen, aus Solidaritätsgefühl und Einsicht in die Lage von Eisenbahnern nicht zusammengestellten Zuge in Dresden war der Sache der Arbeiter in Mitteldeutschland, wie Deutschland überhaupt, viel mehr genützt als mit fünf in die Luft gejagten Zügen.
Das sind unsere deutschen Erfahrungen. Und so werde ich auch weiterhin vorziehen, lieber mit Marx und Engels zu irren, als mit Radek und Bakunin die Wahrheit zu finden. Wobei mir übrigens erlaubt sei, noch einmal auf die „alten sozialdemokratischen Manieren“ zurückzukommen. Genosse Radek ist der letzte, der diese Stellung von Marx und Engels nicht wüßte. Ihm habe ich wohl mit alledem nichts Neues gesagt. Diese Tatsache wirft aber ein eigentümliches Licht auf diese Art von Marxismus. Ich bin gewiß nicht der, der irgendeines Toten oder Lebendigen Wort hinnimmt mit dem „autos epha“, „der Meister hat gesprochen“. Das Gewaltige und Überwältigende an der Marxschen Gedankenwelt, das, was auch die anerkennen, die sie als Ganzes ablehnen, ist, daß sie nicht nur die Tausendfältigkeit der staatlichen und sozialen Geschehnisse erkennt und auflöst, sondern daß sie das Tausendfältige zurückführt auf jene Simplizität, jene Einfachheit, die allem Großen eigentümlich ist. Darum ist es für mich unmöglich, im einzelnen Falle, wenn es gerade so paßt, einige Kapitel des Marxismus in die hintere Hosentasche zu stecken und über „alte sozialdemokratische Manier“ nun die „Nase zu rümpfen“. Aber auch das kommt vielleicht daher, daß ich ein armes und einfältiges Menschenkind bin, „jeder Einsicht bar“, und daß es eines größeren Geistes bedarf, um gelegentlich, weil man kein „Erfolgspolitiker“ ist, aber weil es gerade sich so trifft oder weil eine achtmonatige Karenz zu wirken beginnt, bei Michael Bakunin eine Stippvisite zu machen.
Wie also erobern die Kommunisten die Staatsgewalt? Mit einem Wort gesagt; nachdem man mit der Vergangenheit „vollkommen gebrochen hat“, nur dadurch, daß man zunächst vollkommen, gründlich und unnachsichtig mit dieser Gegenwart breche:, mit einem Zustand, von dem niemand weiß, wo der Hanswurst endigt und das politische Verbrechen beginnt. Es gibt nur die Rückkehr zu dein Satze des Kommunistischen Parteiprogrammes:
„Der Spartakusbund wird nie anders die Regierungsgewalt übernehmen als durch den klaren unzweideutigen Willen der großen Mehrheit der proletarischen Masse in Deutschland, nie anders als Kraft ihrer bewußten Zustimmung zu den Ansichten, Zielen und Kampfmethoden des Spartakusbundes.“
Dieses bedeutet zunächst folgendes. Niemals wieder in der Geschichte der Kommunistischen Partei darf es geschehen, daß die Kommunisten den Arbeitern den Krieg erklären. Wer nach Bakuninscher Methode glaubt, mit Dynamit oder Prügeln die Arbeiter in Aktionen treiben zu können, hat keinen Platz in einer kommunistischen Partei.
Niemals wieder in der Geschichte der Kommunistischen Partei darf es geschehen, daß auch nur ein Versuch gemacht wird, mit Polizeispitzelmanieren „Kampfsituationen zu schaffen“. Die Kommunistische Partei ist eine Kampfpartei, sie freut sich des Tages und erwartet den Tag, an dem sie mit dem Proletariat und an dessen Spitze kämpfen darf, und sie arbeitet politisch und organisatorisch auf diesen Tag hin, sie sucht mit politischen Mitteln Kampfsituationen zu schaffen, statt, wie die Sozialreformisten tun, sie durch Kompromisse zu umgehen.
Die Kommunistische Partei ist nur der Vortrupp des Proletariats und niemandes Büttel gegen das Proletariat; sie kann auch nicht darauf losmarschieren, daß sie die Verbindung mit dem Haupttrupp verliert.
Dazu ist zunächst die erste Vorbedingung, daß das ungeheure Mißtrauen, das nach dieser tollen Eskapade die Mehrheit der deutschen Arbeiter beseelt, wieder beseitigt wird. Hier liegt der größte Schaden, den die Märzvorgänge dieses Jahres angerichtet haben. Niemand täusche sich über die Schwierigkeit dieser Aufgabe. Noch nie war das Mißtrauen, um kein stärkeres Wort zu gebrauchen, der deutschen Arbeiter gegen die Kommunisten so stark wie heute. Und doch war es ein unendlich schwerer Kampf, in der Arbeiterschaft organisatorisch und vor allem geistig Fuß zu fassen. Die Frucht dieser Arbeit ist jetzt zerstört, und es gilt offen auszusprechen: solange die Arbeiterschaft nicht wieder Vertrauen zur Kommunistischen Partei gewinnt, ist von einer Aktionskraft der deutschen Kommunistischen Partei nicht die Rede. Es muß also nach außen hin sichtbar die Korrektur für die Märzvorgänge erfolgen in einer für die Arbeiter sichtbaren Weise. Würde die Kornmunistische Partei auf ihrem Standpunkt, auf ihrer Gegenwart, verharren, so wäre sie eine Sekte, der das Schicksal aller Sekten: Unbedeutendheit an Zahl und Einfluß, in drei Monaten beschieden wäre.
Daneben aber ist es notwendig, sofort und energisch mit einer politischen Führung der Parteigeschäfte zu beginnen. Auch hier zeigt sich der ungeheure Schaden, den die Bewegung angerichtet hat. Hätte die Zentrale, statt in „geheimen Informationen“ herumzuschmökern, die politischen Vorgänge betrachtet, so würde sie wohl anders gehandelt haben. In England brach in diesen Tagen der Bergarbeiterstreik aus. In England ist der Belagerungszustand verhängt. Nicht unerwartet. Wer die Vorgänge auf dem englischen Kohlenmarkt verfolgte – der ganze englische Kohlenexport, eine Säule der englischen Weltmacht, brach zusammen; seit Oktober vorigen Jahres exportieren die Vereinigten Staaten mehr Kohle als England produziert, die ganze englische Kohlenwirtschaft beruhte auf einem Exportpreis von 150 Schilling, während Amerika Kohle frei Frankreich und Belgien für 90 Schilling anbot –, wußte, daß das kam. Hätte die Zentrale, statt meine Reichstagsrede vom 12. März nach „Opportunismus“ zu durchschnüffeln, sie gelesen, so würde sie das dort bereits vorausgesagt gefunden haben. Ohne „geheime Informationen“! Die Blockade Deutschlands beginnt. Nicht, wie die „geheimen Informationen“ sagten, am 20. März, sondern allmählich. Ein langsames Aushungern wie im Kriege. Der Konflikt zwischen Bayern und dem Reich wird offen, weil das Reich die Entwaffnung durchführen muß. Nicht wegen, sondern trotz dem Kommunistenaufstand. Ja freilich, „die Situation schreit nach Kampf“. Aber durch ein bakunistisches Abenteuer, in das sich die Zentrale durch einen putschistischen Wirrkopf hat hetzen lassen, um des Ruhmes „gesteigerter Aktivität“ willen, ist die Kampfkraft der Kommunistischen Partei gebrochen und, was schlimmer ist: ist die Kampfkraft des deutschen Proletariats gebrochen, weil es in den kommenden Kämpfen zu dem, was ihr Kopf sein sollte, kein Vertrauen haben würde. „Es hätte nur des Zusammenschlusses zur proletarischen Einheitsfront bedurft, um geschlossen den Kampf aufzunehmen.“ So schreibt die Zentrale am Schluß ihres Putsches, um zu zeigen, daß sie auch später nichts gelernt hat. Ja „nur“. Es hätte nur der Einsicht der Zentrale bedurft, um zu begreifen, daß man nicht heute Offenen Brief 11 und morgen Krieg der Kommunisten gegen die Arbeiter machen kann! Es hätte nur der Einsicht der Zentrale bedurft, daß die Einheit des Proletariats die Frucht eines politischen Prozesses und nicht die Frucht von Spitzelprovokationen sein kann.
Es hätte nur der Einsicht der Zentrale bedurft, daß die Einheit des Proletariats die Frucht eines politischen Prozesses und nicht die Frucht von Spitzelprovokationen sein kann. Es hätte nur der Einsicht der Zentrale bedurft, daß sie für das Proletariat und die Partei und nicht die Partei und das Proletariat für sie da sei. Dann, ja dann ständen wir heute in einer glänzenden Situation, stark und kampfgerüstet. Dann hätten wir sagen können: Weg mit der Regierung! So müssen wir uns bescheiden und sagen:
Weg mit den Putschisten!
IV
Es bleibt in diesem Zusammenhang auch noch die Frage der Beziehungen der VKPD zur Kommunistischen Internationale zu erörtern. Nicht nur weil eine so katastrophale Niederlage der VKPD auch die Kommunistische Internationale trifft, sondern weil, ohne daß auf Einzelheiten eingegangen werden kann, das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale mindestens ein Teil der Schuld trifft.
Zunächst das eine. Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale sah und sieht eine gewisse Gefahr in unserer und anderer Genossen ziemlich stark antipuschistischen Haltung. Es ist darob so sehr beunruhigt, daß es seine kundigsten Späher und Deuter ausgesandt hat, um festzustellen, ob nicht da und dorten bereits “Opportunismus” sei. Es geziemt, hierüber ganz offen zu reden und zu sagen: diese ganze Einstellung ist unrichtig. Was den Opportunismus, den Sozialreformismus angeht, so ist zu bedenken, daß dieser sich in keinem Lande so klar, so eindeutig, so unverhüllt und nicht mißverständlich kristallisiert hat wie in Deutschland.
Die deutsche Kommunistische Partei ist in ihren führenden Genossen wie in einem überwiegend großen Teil ihrer Mitglieder aus der Sozialdemokratischen Partei hervorgegangen. Der Kampf, die innere und äußere Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie war die Auseinandersetzung mit dem Opportunismus. Und nicht nur das. Unser täglicher Kampf in der Presse, im Parlament, vor allem der Arbeiter in den Gewerkschaften und in Betrieben, ist ein stetiger, lebendiger, energischer und erfolgreicher Kampf gegen den Opportunismus. Die große Macht, gegen die wir kämpfen müssen, ist die opportunistische Sozialdemokratie. Es besteht also unter diesen Umständen keine große Gefahr, daß in der deutschen Kommunistischen Partei sich Opportunismus finde, wenn man ihn nicht eben finden will. Und so beschäftigt uns innerhalb des Rahmens der Partei der Opportunismus wenig.
Dagegen besteht innerhalb des Rahmens der VKPD eine Gefahr des Putschismus. Wieviel uns der Putschismus schon geschadet hat, werde ich am wenigsten dem Genossen Radek sagen müssen, der 1913 die Dinge von der Nähe verfolgt hat. Ich habe, so es nötig sein sollte, die Broschüren bereits zum Zitieren gezückt. Nun waren die Genossen der Exekutive und, ihnen allmählich folgend, Genosse Radek, nach unseren Auseinandersetzungen mit der KAPD, in der sie theoretisch unseren Standpunkt teilten, der Auffassung, daß nunmehr die Gefahr des Putschismus überwunden sei, und daß etwas mehr – sagen wir – „Unruhe“ nicht schaden könne. Diese Auffassung war falsch. Die Gefahr des Putschismus war nicht überwunden, sondern war und mußte akut werden in dem Augenblick, in dem die Massen der USPD zu uns gekommen waren, die die Schule nicht mit durchlebt hatten, die unsere ehemalige Kommunistische Partei durchlebte. Fester denn je galt es, das Ruder zu halten gegen den Putschismus, die Genossen der Exekutive waren anderer Meinung, und – nun liegt das Schiff auf den Felsen!
Wobei wir aber, um keine Irrtümer aufkommen lassen zu wollen, noch einiges über Putschismus sagen wollen. Daß dieses, was hier in Deutschland vorging, ein aus der Pistole geschossener Aufstand gegen die Bourgeoisie und vier Fünftel des Proletariats, ein Putsch sei, bedarf wohl keines weiteren Wortes. Wir sind aber durchaus nicht der Auffassung, daß jede Teilaktion ein Putsch sei. Wir waren gegen die Teilaktionen im Jahre 1919, als die Revolution im Absteigen war und jede bewaffnete Bewegung nur eine von der Bourgeoisie und Noske heiß ersehnte Gelegenheit war, in Blut die Bewegung zu ersticken. In absteigenden revolutionären Situationen sind Teilaktionen zu vermeiden. In aufsteigenden revolutionären Situationen sind Teilaktionen absolut notwendig. Trotz der hohen revolutionären Durchbildung des deutschen Proletariates ist gar nicht damit zu rechnen – es müßte denn gerade das dann von den Kommunisten nicht mißverstandene Wunder eines Kapp-Putsches wiederkommen –, daß das Proletariat auf einen Tag, auf einen Knopfdruck bereitsteht, so wie ein sozialdemokratischer Parteisekretär und Hilferding 12 sich die Sache vorstellen. Wird in Deutschland die revolutionäre Welle wieder steigen, so wird, genau wie vor 1918, die Aktion in Teilen kommen, wobei freilich die höhere Reife des deutschen Proletariates gegenüber damals darin zum Ausdruck kommen wird, daß die Teilaktionen mächtiger, geschlossener sein werden als damals. Aber unter einer Teilaktion verstehen wir nur eines – nämlich das In-den-Kampftreten der Proletarier eines Teiles Deutschlands, einer großen Stadt, eines Wirtschaftsbezirkes. Wir verstehen unter einer Teilaktion aber nicht, daß in einem Teil des Reiches oder dem Reiche – die Kommunisten streiken oder in Aktion treten. Teilaktion ist immer nur gemeint; Teil im vertikalen und nicht im horizontalen Sinne.
Aber; abgesehen von der verschiedenen Einschätzung der Putschgefahr in Deutschland, ist noch eine zweite untergeordnete Differenz m der Beurteilung unserer Tätigkeit in Deutschland. Die Art unserer Propaganda, unseres Auftretens im Parlament usw. wird nicht für revolutionär genug gehalten. Über gewisse Dinge, namentlich die agitatorische Wirksamkeit der Roten Fahne, bestehe kein Streit. Zum größten Teil aber scheinen uns auch hier die Beschwerden des Exekutivkomitees auf falscher Einschätzung zu beruhen. Es möchte mehr, was man in englisch „noisy” heißt, mehr Lärm, mehr Krach. Ich bin aber offen genug, zu sagen, daß wir auch hier schon unsere Erfahrungen gesammelt haben, und die lauten anders. Auch wir haben zu Anfang der Revolution unsere Wanderredner und Propagandisten hinausgesandt, die ein kräftig Wörtlein redeten. Sie hatten in der ersten Versammlung großen Zulauf, und nach der zweiten schrieben uns unsere Organisatoren, wir möchten ihnen andere Redner schicken, die Arbeiter wollten das Geschimpfe nicht hören. Wir müssen auch offen sagen: ein groß Teil der Propagandaliteratur, Aufrufe usw., die wir aus Rußland erhalten, sind für uns entweder schädlich oder, ob ihrer allzu robusten Form, nicht so nützlich, wie sie es nach ihrem Inhalt sein könnten, Wir erinnern an einen Fall, wo nach dem einstimmigen Votum der deutschen Parteizentrale eine Schrift für ungeeignet erklärt wurde, die dann über unsere Köpfe hinweg doch veröffentlicht wurde.
Genau so ist es mit dem Auftreten der Parlamentsfraktion. Eine kommunistische Parlamentsfraktion, die eine revolutionäre Situation nicht gebührend und mit allen Mitteln ausnützen würde, wäre pflichtvergessen. Aber revolutionäre Situationen können im Parlament am allerwenigsten „gemacht“ werden. Das Parlament ist, zumal in revolutionären Zeiten, das „Spiegelbild dessen“, was draußen vorgeht. Eine Parlamentsfraktion, die nun außerdem alle Zeit in einem Wutkoller herumtoben würde, würde sich lächerlich machen. Es kommt bei alledem auch wieder zum Ausdruck: der deutsche Arbeiter ist nachdenklich und theoretisch. Vielleicht viel zu viel; aber man kann ihn nicht durch Schimpfen zu etwas bringen; er will überzeugt sein. Und das ist nicht nur unsere Erfahrung in den 2½ Jahren des Bestehens der Kommunistischen Partei, es ist meine Erfahrung in weit über einem Jahrzehnt praktischer Parteiarbeit und die Erfahrung von Genossen, die ein langes Leben in Parteiarbeit verbracht haben, und es ist, glauben wir, auch dem Genossen Sinowjew 13 nicht entgangen, als er nach Halle 14 schrieb:
Die alte Schule macht sich geltend. Die Arbeit der besten deutschen Revolutionäre war nicht umsonst.
Und als er sah, wie die große Wirkung seiner Rede in Halle gerade darauf beruhte, daß sie so sachlich war, und er in der Form jeden Anstoß vermied.
Alles dieses sind aber Dinge, die völlig zurücktreten hinter die Aufgaben der Kommunistischen Internationale und der praktischen Lösung dieser Aufgaben.
Zunächst das eine. Wir glauben, daß nicht nur hier in Deutschland, sondern überall empfunden wird, daß die Leitung der Exekutive ungenügend ist. Das liegt nicht nur an der Tatsache, daß an ihrer Spitze weder ein Marx, wie an der Spitze der I. Internationale, noch ein Lenin steht. Es liegt an großen technischen Schwierigkeiten, Mangelhaftigkeit der Postverbindung usw. So ist die Exekutive von Westeuropa, ihrem wichtigsten Betätigungskreis, isoliert. Wir glauben, daß das nicht am wenigsten die Exekutive selbst empfindet. Als Ausweg aber benutzte sie einen, der der allerunglücklichste war, und über den zu reden ich als Vorsitzender der Partei mir etwas Zurückhaltung auferlegen mußte, über den ich aber als Parteimitglied mit aller Offenheit reden kann. 15 Es ist das System der Vertrauensleute. Zunächst ist natürlich Rußland nicht in der Lage, die besten Kräfte abzugeben. Die haben in Rußland Posten, an denen sie nicht zu ersetzen sind. So kommen nach Westeuropa Kräfte und Genossen, jeder einzelne voll des besten Willens, jeder einzelne voll eigener Gedanken, und jeder einzelne voll des Eifers, um einmal zu zeigen, wie er „die Sache schmeißt“. So wird Westeuropa und Deutschland zum Versuchsfeld für allerhand Staatsmänner im Duodezformat, von denen man den Eindruck hat, daß sie ihre Künste entwickeln wollen. Ich habe nichts gegen die Turkestaner und wünsche ihnen nichts Böses: aber ich habe oft den Eindruck, diese Kräfte würden bei ihren Kunststücken dort weniger Schaden anrichten.
Verhängnisvoll wird die Sache aber dann, wenn Vertreter gesandt werden, die nicht einmal menschlich die nötigen Garantien bieten. Ich muß auch hier noch einmal auf die italienische Angelegenheit zurückkommen. Der Genosse Rakoczy 16, der in Italien die III. Internationale vertrat, kam von da nach Deutschland. Er wurde in die Sitzungen der Zentrale wie des Zentralausschusses als Vertreter der Exekutive eingeführt. Er hat dort wörtlich ausgeführt, man habe in Italien „einExempel statuiert“, er hat privat wie öffentlich erklärt, auch die deutsche Partei müsse wieder gespalten werden. Er hat mit dieser Notwendigkeit neuer Spaltung die italienische Spaltung an der Bruchstelle verteidigt. Die Reden sind stenographiert. Hundert Zeugen stehen bereit. Rakoczy aber schreibt nach Moskau, und was macht daraus die Kommunistische Internationale? In dem halb-oder ganzoffiziösen, noch apokryphen Artikel des Genossen Radek heißt es:
Der Versuch (der weiteren Spaltung) existiert allein in der Phantasie Levis, der sich auf eine angebliche Äußerung des ungarischen Genossen Rakoczy beruft, der in Italien als Vertreter der Exekutive war, und der nach der Behauptung Levis gesagt haben soll, auch die VKPD müsse gereinigt werden. Genosse Rakoczy, der an der Sitzung des Berliner Zentralausschusses als Privatperson teilnahm, leugnet, irgend etwas Ähnliches gesagt zu haben. Aber selbst wenn Genosse Rakoczy das gesagt hätte, war er dazu nicht bevollmächtigt.
Diese Äußerung enthüllt eine geradezu leichtfertige Art, mit Parteien, Dingen und Personen zu spielen. Genosse Radek weiß, daß zu den Zentralausschußsitzungen der VKPD Privatpersonen keinen Zutritt haben. Genosse Radek erklärt, zu einer solchen Äußerung sei Rakoczy nicht bevollmächtigt gewesen. Nun: Genosse Rakoczy war der Bevollmächtigte des Exekutivkomitees in Livorno. Er gab uns die authentische Erklärung der Grundsätze, die zur Spaltung in dieser Form führten. Er gab dafür Grundsätze, die morgen zur Spaltung der deutschen Partei führen können. Er hat diese Konsequenzen selbst gezogen; wir und 23 Zentralausschußmitglieder mißbilligen ausdrücklich diese Grundsätze, und dann erklärt die Exekutive: Rakoczy war zur Abgabe dieser Erklärung nicht bevollmächtigt. Danach war er offenbar nur zur Spaltung ohne Grundsätze bevollmächtigt. Das ist ein leichtfertiges Spiel, das hier getrieben wird; die Methode, unverantwortliche Personen hinauszusenden, die man nachher je nach Bedarf approbieren oder desavouieren kann, ist gewiß sehr bequem, doch selbst wenn sie durch lange Parteitradition geheiligt ist, ist sie für die III. Internationale verhängnisvoll. Im übrigen aber erlauben wir uns zu bemerken: das Spiel mit neuen Spaltungen ist jedenfalls im Munde der Auslandsvertreter des Exekutivkomitees ein sehr rasch gespieltes. Ich hoffe, nicht gezwungen zu sein, unter Beweis stellen zu müssen, daß man in den der Exekutive nahestehenden Kreisen in Deutschland, in den Kreisen, für die die Exekutive jedenfalls politisch die Verantwortung trägt, über die entsetzliche Niederlage der Partei sich damit hinwegsetzte, daß man sagte: wenn die Aktion nur dazu führe, die Partei von dem rechten Flügel zu säubern, so sei der Preis nicht zu hoch. Das hat man den Genossen, die heute in Mitteldeutschland tot liegen, nicht gesagt, als man sie in den Tod sandte, daß man ihre Leichen zum Dynamit für die Partei verarbeiten würde. Wenn die Exekutive es nicht versteht, uns und sich gewissenlose Burschen dieses Kalibers vom Halse zu halten, ruiniert sie uns und sich.
Die offiziöse Äußerung des Genossen Radek enthüllt aber noch einen weiteren und noch schädlicheren Effekt des Delegiertensystems. Das ist der direkte und geheime Verkehr dieser Delegierten mit der Moskauer Zentrale. Wir glauben, daß ungefähr in allen Ländern, in denen solche Sendboten wirken, die Unzufriedenheit darüber die gleiche ist. Das ist ein System wie die geheime Feme. Sie arbeiten nie mit, immer hinter und häufig gegen die Zentrale des einzelnen Landes. Sie finden in Moskau Glauben, die anderen nicht. Das ist ein System, das alles Vertrauen zu gegenseitiger Arbeit auf beiden Seiten, bei der Exekutive wie bei den angeschlossenen Parteien, untergraben muß. Zu einer politischen Leitung sind diese Genossen zumeist unverwendbar, auch zu wenig vertraut. So ergibt sich der trostlose Zustand: eine politische Leitung vom Zentrum fehlt. Das einzige, was die Exekutive nach dieser Richtung leistet, sind Aufrufe, die zu spät, und Bannstrahlen, die zu früh kommen. Eine solche politische Leitung der Kommunistischen Internationale führt zu nichts oder ins Unglück. So bleibt von der ganzen Organisation nichts übrig als das, was wir oben schilderten. Die Exekutive wirkt nicht anders, als wie eine über die russischen Grenzen hinaus projizierte Tschreswytschaika 17, ein unmöglicher Zustand. Die bestimmte Forderung, daß das anders werde, und daß unberufene Hände unberufener Delegierter nicht die Leitung in den einzelnen Ländern an sich reißen, der Ruf nach einer politischen Führung und gegen eine Parteipolizei ist nicht die Forderung nach Autonomie. An derselben Stelle, an der Marx die heftigsten Worte gegen die Autonomie in der Internationale findet, sagt er doch auch:
Ohne der vollständigen Freiheit für die Bewegungen und Bestrebungen der Arbeiterklasse in den einzelnen Ländern im geringsten Abbruch zu tun, hatte es die Internationale doch vermocht, sie in einem Bunde zusammenzufassen und zum ersten Male die herrschenden Klassen und ihre Regierungen die weltumfassende Macht des Proletariates spüren zu lassen.
Die Exekutive wird selbst am besten ermessen, wie weit sie von diesem Idealzustand entfernt ist. Der jetzige Zustand mag für eine Internationale von Sekten gut sein; für eine Internationale von Massenparteien ist er verderblich.
Wobei wir überhaupt hinweisen möchten auf die Schwere der Entscheidung, vor die dieser Niederbruch der deutschen Partei die Internationale stellt. Wir können uns auf eine eingehende Diskussion der Schuldfrage aus begreiflichen Gründen nicht einlassen; wir müssen feststellen: in der deutschen Kommunistischen Partei ist jetzt mit durch die Schuld der Exekutive und unter ihrer Verantwortung die einzige bisher kommunistisch geführte Massenpartei Europas in ihrer Existenz gefährdet worden. Die deutschen Kommunisten sind vor die Lebensfrage gestellt, ob sie noch einmal die Partei als kommunistische aufbauen können oder ob sie sich auflöst in einen bakunistischen Trümmerhaufen. Es ist das Schicksal revolutionärer Parteien, wenn die Revolution stillsteht, wenn lange gegenrevolutionäre Epochen kommen, daß sie sich zersetzen; der Anarchismus vollendet in solchen Fällen das Schicksal kommunistischer Parteien. Es ist keiner, der hinter das Weben der Geschichte sieht, der die Mannigfaltigkeit der Kräfte nach Stärke und Ziel und Stetigkeit bemessen kann, „kein Auge sieht die goldne Waage nun der Zeit“. Nur aus den Symptomen kann man die siegende der streitenden Tendenzen bemessen. Gelingt es den Deutschen nicht, noch einmal die Kommunistische Partei aufzubauen, ist dieses ihr Märzgeschick ihr Schicksal, so ist es der bündige Beweis, daß die konterrevolutionären Strömungen, die wir durch die ganze Welt sehen, von längerer Dauer und größerer Kraft sind, als wir bisher ihnen beimaßen. Dann ist in diesem Schicksal auch das Schicksal der Kommunistischen Internationale besiegelt.
Gelingt es aber, wie wir hoffen und wünschen, noch einmal den kommunistischen Gedanken in Deutschland zu retten und so zu beweisen, daß es noch die revolutionären Kräfte sind, die die Stunde beherrschen, so möge uns die Internationale keine Schwierigkeiten in den Weg legen, wenn wir zur Vergangenheit der Kommunistischen Partei und zu den Lehren ihrer Gründerin zurückkehren. Den Weg, den wir zu gehen haben, hat sie uns gezeigt in den Worten:
Die Vereinigung der großen Volksmasse mit einem über die ganze bestehende Ordnung hinausgehenden Ziele, des alltäglichen Kampfes mit der großen Weltreform, das ist das große Problem der sozialistischen Bewegung, die sich auch folgerichtig zwischen den beiden Klippen: zwischen dem Aufgeben des Massencharakters und dem Aufgeben des Endzieles, zwischen dem Rückfall in die Sekte und dem Umfall in die bürgerliche Reformbewegung, zwischen Anarchismus und Opportunismus vorwärtsarbeiten muß.
Wir können nicht, um den einen Abgrund zu vermeiden, in den anderen fallen. Beide müssen vermieden werden.
Anmerkungen
1. Levi legte seine prinzipiellen Differenzen mit der Kommunistischen Internationale aus Anlaß des von der Komintern provozierten Putsches in Mitteldeutschland ausführlich in dieser Broschüre dar, die 1921 bei A. Seehof in Berlin erschien. Diese Schrift Levis wurde der offizielle Anlaß zum Ausschluß Levis und der „Leviten“ aus der KPD.
2. Lettow-Vorbeck, Paul v. (1870–1964), preußischer General, Kommandeur der deutschen Schutztruppe in Deutsch-Ostafrika; 1919 schlug er als Reichswehrgeneral den Hamburger Aufstand nieder.
3. Weismann, Robert, unter der Regierung Wirth Preußischer Staatskommissar für Öffentliche Ordnung.
4. Sipo: Abkürzung für Sicherheitspolizei.
5. Orgesch: Abkürzung für Organisation Escherich, eine 1920–1921 an der Niederwerfung der bayerischen Räterepublik beteiligte Freischärlerorganisation, hier allgemein für Freicorps gebraucht.
6. „bester Marxist Westeuropas“: gemeint ist Karl Radek (1885–1938?), 1921 Sekretär der Komintern, Spezialist für deutsche Angelegenheiten 1927–29 als Trotzkist verbannt, dann rehabilitiert, 1937 zu 10 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, im Arbeitslager gestorben.
7. Bakunin, Michail. (1814–1876), russischer Anarchist, arbeitete meist in Westeuropa, Mitglied der I. Internationale, auf Betreiben von Marx ausgeschlossen.
8. Blanqui, Louis Auguste (1805–1881), an den Aufstanden 1830, 1848 und an der Kommune 1871 beteiligt, insgesamt, über 30 Jahre im Gefängnis. Die „Blanquisten“, zusammengeschlossen im Parti socialiste de France, lehnten jede Regierungsbeteiligung ab.
9. Frölich, Paul (1884–1953), Mitbegründer der KPD, deren linkem Flügel er angehörte. Mitglied der Parteileitung. 1921–1924 und 1928–1930 Reichstagsabgeordneter der KPD. Nach der Oktoberniederlage der KPD stand er in Opposition gegen die ultralinke Führung.
10. KAPD: Abkürzung für „Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands“. Auf dem Heidelberger Parteitag der KPD 1919 abgespaltener linker Flügel. Die Rest-KPD nannte sich nach ihrer Vereinigung mit dem linken Flügel der USPD 1920 eine Zeitlang VKPD: „Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands“.
11. Offener Brief: mit ihm hatte sich Levi im Januar 1921 im Namen der VKPD an alle Arbeiterorganisationen gewandt. Der Brief enthielt eine Art Einheitsfrontvorschlag mit Forderungen wie Lohnerhöhung, Auflösung der Freicorps, Schaffung eines proletarischen Selbstschutzes etc.
12. Hilferding Rudolf (1877–1941), Führungsmitglied der USPD. Betrieb die Wiedervereinigung der USPD mit den Mehrheitssozialisten. 1924-1933 Reichstagsabgeordneter der SPD.
13. Sinowjew, Grigorij J. (1883–1936), 1919–1926 Vorsitzender des Exekutivkomitees der Komintern, 1927 als Führer der Linksopposition aus der KPdSU ausgeschlossen. 1936 im Rahmen der „Säuberungen“ liquidiert.
14. Parteitag der USPD in Halle, Dezember 1920, auf dem sich die USPD unter Mitwirkung Sinowjews, des zu diesem Zweck nach Halle entsandten Vorsitzenden des Exekutivkomitees der Komintern, in einen rechten und einen linken Flügel spaltete. Der linke Flügel vereinigte sich später mit der KPD.
15. Levi war im Frühjahr 1921 aus Protest gegen die von der Komintern herbeigeführte Spaltung der italienischen sozialistischen Partei von seinem Posten als Vorsitzender der KPD zurückgetreten.
16. Rakoczy: gemeint ist Matyas Rakosi, später stalinistischer Diktator von Ungarn nach dem II. Weltkrieg.
17. Tschreswytschaika: Abkürzung für russisch „Außerordentliche Kommission“, übliche Abkürzung: Tscheka, die erste Geheimpolizei Sowjetrußlands.