„Gudok“ (Die Sirene) Nr. 22, 9. März 1908.
Artikel ohne Unterschrift.
Nach dem russischen Zeitungstext
Quelle: J. W. Stalin – Gesammelte Werke, Band 2
Vor nicht so langer Zeit – noch vor ein paar Monaten – „sprachen“ unsere Erdölindustriellen von „europäischen“ Beziehungen zwischen Arbeitern und Unternehmern.
Sie versuchten damals, eine versöhnlerische Haltung einzunehmen. Das war auch begreiflich: die unermüdliche Predigt des „geistreichen“ Rin über den göttlichen Ursprung des Kollektivvertrages, die immer mehr anschwellende Woge der Teilstreiks, die Aussichten der Erdölindustriellen auf eine „Regulierung der Produktion“ durch eine „europäische“ Beratung, ein bestimmter Druck von Seiten der Behörden – alles dies stimmte die Erdölindustriellen eben versöhnlerisch, „europäisch“.
„Nieder mit der Anarchie der Streiks!“ rief Rin aus. „Es lebe die Ordnung!“ stimmten ihm die Erdölindustriellen bei.
So schien die „Ordnung“ ihren Einzug zu halten. Die Maßregelungen von Seiten der Unternehmer schienen zahlenmäßig zurückzugehen. Auch die Zahl der Streiks nahm ab. Die Erdölindustriellen „fanden es notwendig, zu einer Verständigung zu gelangen“ (siehe „Neftjanoje Delo“, Dezember).
Nun aber wurde die Kampagne eröffnet. Die Arbeiter lehnten die alte, hinter den Kulissen geführte Beratung entschlossen ab. Die gewaltige Mehrheit unter ihnen sprach sich für eine Beratung mit Garantien aus. Hierdurch brachten die Arbeiter den bestimmten Wunsch zum Ausdruck, sich die Beratung voll und ganz zunutze zu machen, sie in eine Waffe des organisierten, bewussten Kampfes zu verwandeln.
Was aber sehen wir?
Man hört keine Reden mehr über „europäische“ Beziehungen. Von den „Aussichten“ einer „Regulierung der Produktion“ kein Wort. Die „Anarchie der Streiks“ schreckt die Erdölindustriellen nicht mehr – im Gegenteil -, sie selbst drängen die Arbeiter zur „Anarchie“, indem sie sie angreifen, ihnen das Eroberte wieder abnehmen, die fortgeschrittenen Kollegen entlassen usw. usw.
Augenscheinlich halten die Erdölindustriellen es nicht mehr für notwendig, zu einer Verständigung zu gelangen. Sie ziehen es vor anzugreifen.
Schon auf dem Kongress der Erdölindustriellen, Ende Januar, eröffneten sie die Attacke gegen die Arbeiter. Sie verboten den Vertretern der Gewerkschaften den Mund. Sie begruben die Frage der Siedlungen. Sie beschlossen, die Fragen der Schulen, der ärztlichen Hilfe usw. „abzutun“. Sie nahmen den Arbeitern das Recht, sich an der Verwaltung der Volkshäuser zu beteiligen.
Durch alles dies gaben die Erdölindustriellen zu fühlen, dass sie einen „neuen“, „nichteuropäischen“ Weg beschreiten, den Weg der offenen Überfälle auf die Arbeiter.
Der Rat des Kongresses setzt das „Werk“ ihres Kongresses fort. Er hat die Arbeiter mit der Einführung einer „Zehn-Kopeken-Krankenabgabe“ überfallen. Wir sprechen schon gar nicht von den kleinen Verfügungen des Rats, die den Stempel des gleichen Umschwungs in der Taktik der Erdölindustriellen tragen.
Weiter gibt es da die gewöhnliche „Vertiefung“ der Maßregelungen in Form der Entziehung von bereits eroberten Rechten der Arbeiter auf den Ölfeldern und in den Betrieben, der Einschränkung der Beschäftigtenzahl, der Entfernung der fortgeschrittenen Arbeiter, der Aussperrungen usw.
Man hat die Ölfeld- und Betriebskommissionen auf ein Nichts reduziert. Die Zusammenstöße wegen der Kommission bei Rothschild (Balachany) , der Kaspi-Gesellschaft, Schibajew (Balachany), „Born“ (Balachany), Biering, Mirsojew, der Naphthalangesellschaft bezeugen das mit aller Klarheit.
Unter dem Schein einer „Einschränkung der Beschäftigtenzahl“ werden die einflussreichsten Kollegen, besonders die Beratungsbevollmächtigten, „hinausgeworfen“. Die in der Kaspi-Gesellschaft, bei „Born“, Muchtarow (Balachany), Schibajew (Balachany), Lapschin (Bibi-Eibat), Malnikow zu verzeichnenden Tatsachen lassen in dieser Hinsicht keinen Zweifel.
Die Aussperrung bei Wotan ist die Krönung der „neuen“ Taktik der Erdölindustriellen.
Durch alles das drängen sie die Arbeiter auf den Weg spontan-anarchischer Ausbrüche, die die Arbeiter erschöpfen.
Noch charakteristischer sind die Formen der Abrechnung mit den Streikenden. Wir denken an die Firma Mirsojew, eigentlich an den Verwalter dieser Firma, Herrn Markarow, der mit Berdangewehren bewaffnete Mohammedaner auf die streikenden Armenier hetzt und auf diese Weise die Bedingungen für Zusammenstöße zwischen Armeniern und Tataren schafft.
Von dieser Art ist der Umschwung in der Taktik der Erdölindustriellen.
Offensichtlich wollen die Erdölindustriellen keine „europäischen Verhältnisse“ mehr.
Die Erdölindustriellen, die nicht mehr an einen „Erfolg“ der Beratung glauben, die die Hoffnung auf die Möglichkeit einer „Regulierung der Produktion“ allein durch die Beratung ohne die Befriedigung der Hauptforderungen der Arbeiter verloren haben, die sehen, wie die Beratung aus einer Waffe der Desorganisation zu einer Waffe der Organisation einer fünfzigtausendköpfigen Masse wird, wollen sich die Beratung auf irgendeine Weise vom Halse schaffen, indem sie sie auf unbestimmte Zeit verschieben oder sie zum mindesten entkräften.
Zu diesem Zweck greifen sie zu einem System von Maßregelungen: Sie provozieren die Arbeiter zu vorzeitigen Aktionen, zersplittern die im Entstehen begriffene allgemeine Bewegung in einzelne Teilbewegungen und drängen die Arbeiter von der breiten Straße des Klassenkampfes auf die krummen Winkelpfade gruppenweiser Zusammenstöße ab.
Durch alles dies wollen sie die Aufmerksamkeit der Arbeiter von der Beratung mit Garantien ablenken, in den Augen der Arbeiter die Bedeutung des Bevollmächtigtenrats, der sie zusammenschließen könnte, zunichte machen, die Arbeiter daran hindern, sich zu vereinigen, ihnen also nicht die Möglichkeit geben, sich auf die Durchsetzung ihrer Forderungen vorzubereiten.
Indem sie so vorgehen, bemühen sie sich, die einstweilen noch unorganisierten Arbeiter zu einer vorzeitigen allgemeinen Aktion zu provozieren, die ihnen die Möglichkeit bieten könnte, die Kraft der Arbeiter „endgültig“ zu brechen und eine „ununterbrochene“ Erdölförderung für lange Zeit sicherzustellen.
Das ist der Sinn des Umschwungs in der Taktik der Erdölindustriellen.
Von welcher Art muss allem Gesagten zufolge unsere Taktik sein?
Uns überfallen die Erdölindustriellen, indem sie sich unsere Unorganisiertheit zunutze machen – es ist also unsere Aufgabe, uns um unsere Gewerkschaft zusammenzuschließen und uns mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Schläge zu wehren.
Man will uns zu spontanen Teilausbrüchen provozieren, weil man unsere allgemeine Bewegung zersplittern will – es ist also unsere Pflicht, den Erdölindustriellen nicht auf den Leim zu gehen, uns nach Möglichkeit der Teilstreiks zu enthalten und die Gesamtbewegung nicht zu zersplittern.
Man will uns die Waffe unseres Zusammenschlusses rauben, man will uns den Bevollmächtigtenrat wegnehmen, indem man die Beratung auf unbestimmte Zeit verschiebt und uns zu einer vorzeitigen Gesamtaktion drängt – es ist also unsere Pflicht, die sofortige Einberufung des Bevollmächtigtenrats zu fordern, uns mit der Ausarbeitung der Arbeiterforderungen zu befassen und die Massen im Laufe dieser Arbeit um den Bevollmächtigtenrat zusammenzuschließen.
Wenn wir aber den Rat der Bevollmächtigten stärken und die fünfzig-tausendköpfige Masse um ihn zusammenschließen, wird es uns nicht schwer sein, mit den nichteuropäischen Machenschaften der Herren Erdölindustriellen in würdiger Weise fertig zu werden.