Die Bedeutung des Werkes „Das Kapital“ von Karl Marx für die Schaffung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus in der DDR und den Kampf gegen das staatsmonopolistische Herrschaftssystem in Westdeutschland
Genossinnen und Genossen!
Es ist für die internationale Arbeiterbewegung ein begeisterndes Ereignis, den 100. Jahrestag der Herausgabe des Werkes „Das Kapital“ von Karl Marx, der Grundlage des wissenschaftlichen Sozialismus, zu begehen. Wir, die Erben des „Kommunistischen Manifestes“, können an diesem Jahrestag mit Stolz feststellen, daß der von Karl Marx und Friedrich Engels begründete und von Lenin weiterentwickelte wissenschaftliche Sozialismus durch die bolschewistische Partei zum Siege geführt wurde und in zahlreichen Ländern der Erde das Banner des Sozialismus weht. Der Sieg des russischen Proletariats in der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und die Herausbildung des sozialistischen Weltsystems stehen im engen Zusammenhang mit dem Ereignis, dem unsere Session gewidmet ist: dem 100. Jahrestag des Erscheinens des ersten Bandes des „Kapitals“.
In der Arbeiterbewegung ist es zu einer guten Tradition geworden, hervorragende Ereignisse ihrer Geschichte gemeinsam zu würdigen und bei diesem Anlaß aus den Erfahrungen des politischen Kampfes Lehren zu ziehen, neue Erkenntnisse und neue Kräfte für den weiteren Kampf zu gewinnen. Das Jahr 1967 ist in dieser Hinsicht von besonderer Bedeutung. Es ist das Jahr der 50. Wiederkehr des Sieges der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, die eine Weltenwende bedeutete und den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus im Weltmaßstab einleitete. Karl Marx’ Lehre von der geschichtlichen Aufgabe der Arbeiterklasse, den Grundwiderspruch zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und den kapitalistischen Produktionsverhältnissen durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel zu überwinden und damit die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beseitigen, wurde vor 50 Jahren auf einem Sechstel des Erdballs verwirklicht. Der welthistorische Sieg der Arbeiterklasse im Bündnis mit den armen Bauern Rußlands unter Führung der Partei der Bolschewiki mit W. I. Lenin an der Spitze wurde zum Fanal des sozialen und nationalen Befreiungskampfes in aller Welt. Sowjetrußland wurde zum Zentrum der revolutionären Weltbewegung, die Kommunistische Partei der Sowjetunion zum Vortrupp der marxistisch-leninistischen Parteien der ganzen Welt. Die Geschichte hat bewiesen: Der Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution schuf die Voraussetzung für das Entstehen der sozialistischen Völkergemeinschaft, für die Erfolge der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Staaten, für die Siege der nationalen Befreiungsbewegung in Asien, Afrika und Lateinamerika und – nicht zuletzt – für das Entstehen des ersten Arbeiter-und-Bauern-Staates auf deutschem Boden, der Deutschen Demokratischen Republik.
Wir sind sehr erfreut darüber, daß in Berlin, der Hauptstadt des sozialistischen Staates auf deutschem Boden, anläßlich des 100. Jahrestages der Herausgabe des „Kapitals“ Wissenschaftler aus der Sowjetunion und aus neun anderen sozialistischen Staaten sowie Wissenschaftler und Vertreter der kommunistischen und Arbeiterparteien aus zwölf kapitalistischen Ländern Europas, aus sechs Ländern Afrikas und Asiens sowie aus vier Ländern Amerikas zusammengetroffen sind.
I. Über die Bedeutung des „Kapitals“
Am 14. September 1867 erschienen im Hamburger Verlag von Otto Meissner die ersten 1000 Exemplare des epochemachenden Werkes „Das Kapital“. Inzwischen ist nach unserem Wissen der erste Band in 43 Sprachen übersetzt worden und hat 220 Ausgaben erreicht Allein in der UdSSR sind in den Jahren der Sowjetmacht über 6 Millionen Exemplare aller drei Bände des „Kapitals“ in 18 Sprachen gedruckt worden. In der DDR erreichte die Auflagenhöhe 888 000 Exemplare. Ein halbes Jahr nach dem Erscheinen des „Kapitals“ schrieb Friedrich Engels, der Mitbegründer des wissenschaftlichen Sozialismus und treue Kampfgefährte Karl Marx‘:
„Solange es Kapitalisten und Arbeiter in der Welt gibt, ist kein Buch erschienen, welches für die Arbeiter von solcher Wichtigkeit wäre wie das vorliegende.“1
Mit Fug und Recht können wir sagen, daß diese Einschätzung noch heute volle Gültigkeit hat. Dieses Buch hat den Auftakt zur Wende in der Geschichte der Menschheit gegeben.
Karl Marx deckte das Wesen des kapitalistischen Eigentums und den daraus resultierenden unversöhnlichen Klassengegensatz zwischen Kapitalisten und Arbeitern, zwischen den Besitzern und den Nichtbesitzern der Produktionsmittel, auf. Auf dieser Grundlage entwickelte er die Theorie vom Mehrwert, der er den wissenschaftlichen Beweis für die Ausbeutung der Arbeiter durch die Kapitalisten antrat. Die Klasse der Kapitalisten, im Besitz der politischen und wirtschaftlichen Macht, eignet sich absolut und relativ wachsenden Mehrwert an. Die Kapitalisten werden immer reicher; die Angehörigen der Arbeiterklasse, die ökonomisch gezwungen sind, ihren einzigen Besitz, ihre Arbeitskraft, als Ware zu verkaufen, bleiben Ausgebeutete, selbst wenn sie im Kampf ihren Lebensstandard erhöhen können.
Die Lehren, die Karl Marx im „Kapital“ dargelegt hat, befähigen die Arbeiterklasse, den Klassenkampf auf wissenschaftlicher Grundlage zu führen. „Das Kapital“ wurde gemeinsam mit dem „Manifest der Kommunistischen Partei“ zum theoretischen Ausgangspunkt der Strategie und Taktik der Arbeiterklasse für den Sturz des Kapitalismus und für den Aufbau der neuen sozialistischen Gesellschaftsordnung.
Der große Ideengehalt, den das „Kapital“ auf alle Ausgebeuteten und Unterdrückten ausstrahlte, machte er der Bourgeoisie unmöglich, das Hauptwerk von Karl Marx längere Zeit totzuschweigen. Aus diesem Grunde ging sie zur zügellosen Verleumdung der Gedanken von Karl Marx über. Ihre Taktik, den Marxismus mit Hilfe des Revisionismus und Reformismus zu verfälschen, wurde durch die geschichtlichen Erfahrungen der Arbeiterklasse widerlegt. Nirgends in der Welt hat die reformistische Politik der Sozialdemokratie zur Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und zur Eroberung der politischen und ökonomischen Macht der Arbeiterklasse geführt. Selbst in den kapitalistischen Ländern, in denen der Lebensstandard der Arbeiterklasse stieg, ist die soziale Unsicherheit und die Gefahr für das Leben des Volkes durch die imperialistische Politik gewachsen. Deshalb ist die Erkenntnis von Karl Marx von so großer Bedeutung, daß die Arbeiterklasse und ihre Organisationen sich nicht auf den Kampf um wirtschaftliche Verbesserungen und Reformen beschränken können, sondern ihn mit dem« Ziel führen müssen, die Macht des Großkapitals und die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beseitigen. Reformismus und Revisionismus waren nicht in der Lage, den Marxismus zu widerlegen, seinen Einfluß auf die Arbeiterbewegung auszuschalten, die Entstehung des sozialistischen Weltsystems und die ständig wachsende Kraft der kommunistischen und Arbeiterbewegung zu verhindern.
Unter den gegenwärtigen Bedingungen des staatsmonopolistischen Kapitalismus sind selbst bürgerliche Ökonomen gezwungen, die von Marx entdeckten Bewegungsgesetze des Kapitalismus zu studieren. Sie hoffen, damit die Entwicklungsprobleme der modernen Produktivkräfte zu meistern, wofür ihre eigene unwissenschaftliche Wirtschaftstheorie nicht brauchbar ist. Aus diesem Grunde ging auch die westdeutsche Großbourgeoisie dazu über, Elemente der Programmierung im Rahmen des staatsmonopolistischen Herrschaftssystems in Form der Regulierung der Wirtschaft anzuwenden. Ein Teil der bürgerlichen Wachstumstheoretiker besinnt sich neuerdings auf Marx. Sie erkennen zwar die Widersprüche im Kapitalismus, versuchen aber durch staatsmonopolistische Maßnahmen diese Widersprüche zu vermindern, ohne ihre Ursache, die Herrschaft des Monopolkapitals, zu beseitigen. Sie negieren die Schlußfolgerungen, die sich aus der von Marx irn „Kapital“ ausgearbeiteten Lehre ergeben: die Notwendigkeit der Beseitigung der kapitalistischen Ordnung und des Aufbaus einer Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung als grundlegende Voraussetzung sozialer Sicherheit und kontinuierlichen ökonomischen Wachstums. Diese historische Aufgabe kann nur unter der Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei gelöst werden, die konsequent von den Lehren des „Kapitals“ ausgeht.
Worin bestehen die Grunderkenntnisse?
Karl Marx gibt im „Kapital“ die allseitige und wissenschaftliche Analyse eines ganzen Gesellschaftssystems. Bei dieser Analyse wendet Karl Marx den dialektischen und historischen Materialismus an, den er in seiner theoretischen Begründung gleichzeitig vertieft und weiterentwickelt.
Die materialistische Geschichtsauffassung wird im „Kapital“, wie Lenin betonte, aus einer Hypothese zu einer wissenschaftlichen Theorie.
Im „Kapital“ begründet Karl Marx die zentrale Kategorie des historischen Materialismus, die ökonomische Gesellschaftsformation. Er weist die Gesetzmäßigkeit der historischen Aufeinanderfolge der verschiedenen Gesellschaftsformationen nach und deckt auf, daß sich jede Gesellschaftsformation durch grundlegende, ihr immanente Gesetzmäßigkeiten von den anderen qualitativ unterscheidet.
Indem Karl Marx den Begriff der Gesellschaftsformation und die bestimmende Rolle der Produktionsweise der materiellen Güter definierte, arbeitete er zugleich die Theorie vom Systemcharakter der Gesellschaft aus. Diese Theorie besagt, daß jeder gesellschaftlichen Formation ein bestimmtes System ökonomischer Gesetze zugrunde liegt und diese Gesellschaft durch eine Komplexität der verschiedensten gesellschaftlichen Beziehungen gekennzeichnet ist, die einer bestimmten Entwicklungsetappe der menschlichen Gesellschaft entsprechen. Von dieser Theorie ließen wir uns leiten, als wir auf dem VII. Parteitag beschlossen, in der DDR das entwickelte gesellschaftliche System des Sozialismus zu errichten. Ich werde darauf später eingehen.
Bei der Ausarbeitung seiner ökonomischen Lehre entdeckte Karl Marx die wesentlichen ökonomischen Gesetze und Kategorien der kapitalistischen Gesellschaftsformation, aber auch jene Gesetze und Kategorien, die die Bewegung aller oder mehrerer Produktionsweisen bestimmen.
Zu den ersteren gehören das Gesetz des Mehrwertes, das Gesetz der kapitalistischen Akkumulation, das Gesetz der Krise, das Gesetz des tendenziellen Falles der Profitrate. Von den letzteren sei das Wertgesetz und das Gesetz der Ökonomie der Zeit sowie das allgemeine Bewegungsgesetz von der Übereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte genannt. Damit wurde im „Kapital“ das theoretische Fundament der marxistischen politischen Ökonomie gelegt und die wichtigste Voraussetzung für die schöpferische Weiterentwicklung der marxistisch-leninistischen politischen Ökonomie geschaffen.
Neben der Aufdeckung der Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise, ihres Bewegungsgesetzes und des Nachweises der Notwendigkeit der Überwindung des Kapitalismus durch den Klassenkampf des Proletariats enthält das „Kapital“ gleichzeitig Aussagen über die wesentlichen Grundzüge der sozialistischen und kommunistischen Produktionsweise. Marx weist nach, daß die Arbeiterklasse, die im Schöße der kapitalistischen Gesellschaft entstand, die geschichtliche Aufgabe hat, die zum Untergang verurteilten kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse durch die Herrschaft der Arbeiterklasse im Bündnis mit den werktätigen Bauern und der Intelligenz abzulösen und die neue sozialistische Gesellschaft aufzubauen.
Die ökonomische Theorie von Marx wurde zum untrennbaren Bestandteil der materialistischen Weltanschauung der Arbeiterklasse. Die Verwirklichung der im „Kapital“ begründeten ökonomischen Lehre von Marx bewies, daß die Theorie zur materiellen Gewalt wird, wenn sie die Massen ergreift.
In Deutschland, dem Land Europas mit der höchsten Kapitalkonzentration und der stärksten Entwicklung zum staatsmonopolistischen Kapitalismus, traten die Widersprüche des kapitalistischen Systems besonders kraß hervor. Die herrschenden Kräfte des deutschen Monopolkapitals tragen die volle Verantwortung für die zahlreichen Krisen und für zwei Weltkriege in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts. Durch die monopolkapitalistische Herrschaft wurde das Leben von Millionen Menschen, ja die Existenz der Nation bedroht. Der Expansionsdrang des deutschen Monopolkapitals, der Drang nach höherem Profit durch Eroberung und Ausbeutung anderer Völker führte zu jenem barbarischen Eroberungskrieg gegen die Sowjetunion und die Völker Europas und des Nahen Ostens, durch den offenkundig dokumentiert wurde, daß die deutsche Großbourgeoisie jedes Recht verwirkt hat, als Führer der Nation zu gelten.
Als nach der Niederlage Hitlerdeutschlands die demokratischen Kräfte unter der Führung der fortschrittlichsten Kräfte der Arbeiterklasse und durch die Schaffung der Einheitsfront der Kommunistischen Partei Deutschlands und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands begannen, in Deutschland eine neue antifaschistisch-demokratische Ordnung zu schaffen, betrieben die reaktionären Kräfte der Großbourgeoisie, unterstützt von den USA, die Spaltung Deutschlands. Die Bourgeoisie fürchtete die Entfaltung der demokratischen Kräfte der Arbeiterklasse und des Volkes in ganz Deutschland und gliederte deshalb die von den imperialistischen Mächten besetzten Westzonen in das System des westlichen Imperialismus ein. Im Interesse der Restaurierung der alten politischen und ökonomischen Machtverhältnisse setzte die Großbourgeoisie die Existenz der Nation aufs Spiel.
In der Deutschen Demokratischen Republik haben die Arbeiterklasse, die werktätigen Bauern, die Angehörigen der Intelligenz, die Handwerker und Gewerbetreibenden die Lehren aus der deutschen Geschichte gezogen. Sie haben entsprechend den Lehren von Marx, Engels und Lenin den Kapitalismus beseitigt und bauen zielbewußt den Sozialismus auf. Damit ist das Volk der Deutschen Demokratischen Republik zum Bannerträger der Nation geworden. Das Anliegen meines Referates ist es, die aktuelle Bedeutung des „Kapitals“ für den Kampf der deutschen Arbeiterklasse in der Deutschen Demokratischen Republik und in Westdeutschland darzulegen und einige Lehren zu ziehen.
II. Der Marxismus als wissenschaftliche Gesellschaftsprognose
Das „Kommunistische Manifest“ war und ist eine meisterhafte Gesellschaftsprognose, die in dem Marxschen Lebenswerk „Das Kapital“ ihre allseitige Ausarbeitung erfuhr. Indem diese Lehre durch den Kampf der Arbeiterklasse unter Führung ihrer marxistisch-leninistischen Partei zur materiellen Gewalt wurde und vor 50 Jahren auf dem Boden des ehemaligen zaristischen Rußlands begonnen wurde, die sozialistische Gesellschaft zu errichten, die nunmehr auch auf anderen Gebieten unseres Erdballs Fuß faßte, bewahrheitete sich die geniale Prognose, wurde der Sozialismus zum wissenschaftlich vorausgesehenen Resultat des Kampfes der Arbeiterklasse. Es ist dies die Eigenart der Prognose der Entwicklung der Gesellschaft auf der Grundlage der Theorie des Marxismus-Leninismus, daß sie im praktischen Handeln, im politischen Kampf in reale Wirklichkeit verwandelt wird. Die Klasse, die diese Prognose aufstellt und zu ihrem Gedankengut macht, bringt auch die Kraft hervor, die Prognose zu verwirklichen, wobei die Prognose selbst Ziel und Richtung des Kampfes angibt.
Von Marx und Engels begründet, von W. I. Lenin in der Epoche des Imperialismus weiterentwickelt und durch die Erfahrung der internationalen Arbeiterbewegung bereichert, wurde die wissenschaftliche Vorausschau zu einem charakteristischen Element der Führungstätigkeit der marxistisch-leninistischen Arbeiterparteien. Sie trug wesentlich dazu bei, die gesellschaftlichen Umwälzungen zu vollbringen, die seit den Tagen der Großen Sozialistischen Okto berrevolution in der Welt vor sich gehen und die heute den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus im Weltmaßstab zum Inhalt haben.
Die theoretischen Grundlagen der marxistischen Gesellschaftsprognose sind der dialektische und historische Materialismus. Die Entdeckung, daß sich Natur und Gesellschaft nach objektiven Gesetzen entwickeln, gibt der Arbeiterklasse die Möglichkeit der wissenschaftlichen Einsicht in die Bedingungen ihres Kampfes, und sie gibt ihr die unerschütterliche Gewißheit ihres Sieges. Die Kenntnis der Entwicklungsgesetze der kapitalistischen Wirtschaft und Gesellschaft und die darauf beruhende wissenschaftliche Voraussicht ihrer Wirkung wurde zur notwendigen Voraussetzung für den Erfolg des Kampfes der Arbeiterklasse. Nur dadurch war sie imstande, die den jeweiligen Entwicklungsbedingungen entsprechende Strategie und Taktik auszuarbeiten. In den Ländern, in denen die Arbeiterklasse die politische Macht errungen hat und den Sozialismus errichtet, ergibt sich die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Gesellschaftsprognose aus dem Charakter der Entwicklungsgesetze des Sozialismus und der sich in der wissenschaftlich-technischen Revolution vollziehenden komplexen Entwicklung der Produktivkräfte. Sie ist ein unentbehrliches Instrument in der Auseinandersetzung mit den kapitalistischen Ländern, die sich vor allem in der materiellen Produktion und in der Wissenschaft vollzieht.
Marx und Engels zeigten, daß der entscheidende Bestandteil der marxistischen Gesellschaftsprognose das Erkennen der die Entwicklung tragenden gesellschaftlichen Kräfte und der ihnen eigenen Entwicklung ist Schon damals, als der industrielle Kapitalismus noch in seinen Anfangen stand und die Arbeiterklasse nur schwach organisiert war, erkannten beide im Proletariat die revolutionäre Kraft, die die Aufhebung der kapitalistischen und den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft vollbringen wird. Im Nachwort zur zweiten Auflage des „Kapitals“ schrieb Marx, daß es eine Klasse gibt, „deren geschichtlicher Beruf die Umwälzung der kapitalistischen Produktionsweise und die schließliche Abschaffung der Klassen ist – das Proletariat“.2 Durch den Sieg des Sozialismus in der Sowjetunion bestätigten die sowjetischen Arbeiter und Bauern als erste in der Geschichte diese geniale wissenschaftliche Vorausschau. Sie zeigten, daß die Arbeiterklasse die politische Macht erobern, sie zur radikalen Umwälzung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse einsetzen und die sozialistische Wirtschaft und Gesellschaft errichten kann. Die Allgemeingültigkeit dieser Prognose erwies sich, als nach dem zweiten Weltkrieg weitere Staaten in Europa und Asien – und mit Kuba auch in Amerika – aus dem kapitalistischen System ausschieden und den Weg zum Sozialismus beschritten.
Die Errichtung der Macht des Sozialismus in der Sowjetunion und die Entstehung des sozialistischen Weltsystems bestätigen auch die Leninsche Prognose von der Möglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem oder in einigen Ländern und der sich daraus ergebenden Koexistenz von Sozialismus und Kapitalismus für eine längere Periode. Den siegreichen sowjetischen Arbeitern und Bauern gab sie den festen Rückhalt, unter den schwierigsten Bedingungen den Sozialismus aufzubauen.
Die deutsche Arbeiterbewegung wandte die marxistische Gesellschaftsprognose an, als die faschistische Diktatur errichtet wurde und die deutschen Imperialisten ihren Eroberungskrieg vorbereiteten und führten. Auf Grund der marxistischen Analyse der inneren Widersprüche des deutschen Kapitalismus und der Anwendung der Lehre Lenins über den Imperialismus wurden eine richtige Prognose und die ihr entsprechende Strategie erarbeitet Sie hatte die Einigung aller Hitlergegner zum Inhalt und das Ziel, die militärische Niederlage des faschistischen deutschen Imperialismus herbeizuführen und die antifaschistisch-demokratische Ordnung zu errichten. Es galt, zunächst die faschistische Staatsmacht zu zerschlagen und die Macht der großen Monopole als der Hauptwurzel des deutschen Imperialismus zu beseitigen. Die allgemeine Aufgabe, den Kapitalismus als Gesellschaftsformation zu überwinden, konnte noch nicht gestellt werden, und sie wurde nicht gestellt. Darüber sollte das deutsche Volk später selbst entscheiden, um den realen Bedingungen entsprechend schrittweise eine neue Gesellschaftsordnung schaffen zu können.
Diese Prognose erwies sich als richtig und konnte im Osten Deutschlands realisiert werden.
Diese Prognose mußte später für Westdeutschland neu erarbeitet werden. Ursprünglich waren in ganz Deutschland im Inneren die objektiven und subjektiven Bedingungen für die antifaschistisch-demokratische Umwälzung im ganzen Lande vorhanden. Die Verschärfung der äußeren Bedingungen durch den Übergang der im perialistischen Westmächte von der Antihitlerkoalition zur antisowjetischen Politik durch den Bruch des Potsdamer Abkommens, durch das Bündnis mit den eben im Kriege geschlagenen Gegnern, den westdeutschen Imperialisten, wurde das politische Kräfteverhältnis in den drei westlichen Besatzungszonen verändert. Auf diese Weise verhinderte die internationale Aktion des Imperialismus den Vollzug der historischen Gesetzmäßigkeit im Westen Deutschlands.
Als die reaktionärsten Kräfte des Großkapitals in Westdeutschland gemeinsam mit den USA-Imperialisten die alten politischen und ökonomischen Machtverhältnisse wiederherstellten und Westdeutschland zu einem Separatstaat machten mit der Funktion des Bollwerks gegen den Sozialismus in Europa, erforderten die Interessen des Volkes die Schaffung der Deutschen Demokratischen Republik als Bastion des Friedens und der Demokratie in Deutschland.
Um diesen ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staat zu entwickeln und zu stärken, mußten die Arbeiterklasse, die Bauern und die Intelligenz lernen, alle Vorzüge der sozialistischen Gesellschaftsordnung auszunutzen, mußten sie lernen, ihre Verantwortung für die Leitung des Staates zu tragen. Sie mußten lernen, die antagonistischen Widersprüche des Kapitalismus aus der Welt zu räumen und den Kräften des Imperialismus jede Möglichkeit zu nehmen, Positionen in der DDR aufrechtzuerhalten oder zu gewinnen.
So wurde die konsequente Gestaltung der sozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung objektiv notwendig, um soziale und politische Sicherheit für das Volk zu erreichen, die Kriegszerstörungen und die Folgen der ökonomischen Spaltung Deutschlands allmählich zu überwinden und den Lebensstandard des Volkes zu erhöhen.
Mit der Überführung des überwiegenden Teiles der Produktionsmittel in das Eigentum des Volkes vollzog die Arbeiterklasse gemeinsam mit ihren Verbündeten einen sehr wichtigen Akt der sozialistischen Revolution. Denn mit der Bildung des Volkseigentums an den Produktionsmitteln wurden die ökonomischen Gesetze des Sozialismus ins Leben gerufen und in Bewegung gebracht. Mit dem Wachsen des Volkseigentums gewannen diese ökonomischen Gesetze immer mehr an objektiver Kraft, machten sie die vorausschauende Arbeit auf dem Gebiet der Volkswirtschaft, nämlich die sozialistische Planwirtschaft, nicht nur möglich, sondern zwingend notwendig.
Über rund eineinhalb Jahrzehnte hinweg haben wir von den ersten Anfängen schrittweise ein modernes System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft erarbeitet, das den Erfordernissen einer entwickelten sozialistischen Gesellschaft und der wissenschaftlich-technischen Revolution entspricht. Als wir uns 1954 auf der 21. Tagung des Zentralkomitees systematisch mit der theoretischen Begründung und der praktischen Anwendung der wirtschaftlichen Rechnungsführung befaßten, waren wir uns darüber im klaren, daß es sich zunächst nur um erste Schritte handeln konnte. Aber wir hatten damals schon eine annähernde prognostische Vorstellung, ein Modell von dem, was wir heute als das ökonomische System des Sozialismus bezeichnen. In diesem unserem modernen System der Planung und Leitung hat die Prognostik heute einen festen und eigenständigen Platz inne.
Marxistische Prognostik heißt also bewußte Ausnutzung objektiv wirkender Gesetzmäßigkeiten in der Gesellschaft. Prognostik vom Standpunkt der Monopole und der Vertreter des kapitalistischen Staatsapparates kann letzten Endes nichts anderes bedeuten als den Versuch, sich dem Wirken der Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung entgegenzustemmen. Die Planung und Prognostik der Monopole kann den antagonistischen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit nicht aus der Welt schaffen. Deshalb müssen alle wesentlichen Aussagen einer wissenschaftlich begründeten Prognostik im Widerspruch zu den Interessen der Monopole stehen. Aus diesen Gründen sind die herrschenden Kreise Westdeutschlands unfähig bzw. desinteressiert, eine reale Prognose zu stellen. Das Volk Westdeutschlands dagegen sollte sich in seinem Handeln von der marxistischen Prognose der gesellschaftlichen Entwicklung leiten lassen und den Kampf gegen die Atomrüstung und die Expansionspolitik der Monopole führen, die seine Lebensinteressen gefährden.
Eine solche umfassende gesellschaftliche Umwälzung wie die sozialistische Revolution, die zu neuen höheren Formen der Produktion, der Beziehungen der Menschen zueinander, der Entfaltung der schöpferischen Fähigkeiten der Menschen führt, ist nur unter direkter aktiver Anteilnahme der Massen möglich. Sie zeigt zugleich, was das Geschwätz der Bonner Machthaber wert ist, die Deutsche Demokratische Republik sei nicht „demokratisch legitimiert“. Was kann demokratischer sein als die Taten des Volkes, die die Ausbeutung, Unterdrückung und Rückständigkeit beseitigen und den Weg zum Fortschritt, dauerhaften Frieden und zur Menschlichkeit bahnen?
Das westdeutsche Monopolkapital hat den Arbeitern und Bauern in der Bundesrepublik den Weg zu diesen einzig wirklich demokratischen Rechten verwehrt. Der bekannte Philosoph Karl Jaspers, der sich der bürgerlichen Gesellschaftsordnung eng verbunden fühlt, aber mit großer Sorge die Entwicklung der Bundesrepublik „von der Parteienoligarchie zur Diktatur“ verfolgt, rührt an die Wurzel dieser gefährlichen Entwicklung, wenn er schreibt: „Die Verfasser des Grundgesetzes scheinen vor dem Volke Furcht gehabt zu haben. Denn dieses Gesetz schränkt die Wirksamkeit des Volkes auf ein Minimum ein.“3
Die Bundesrepublik folgt dem Entwicklungsgesetz der kapitalistischen Ordnung. Auch daran rührt Karl Jaspers, wenn er schreibt:
„Revolutionäre Bewegungen und Wandlungen sind für die Erhaltung der Freiheit notwendig. Nicht die falschen Revolutionen durch Putsche und Gewalt. Wohl aber die Revolution auf legalen Wegen bis zum politischen Generalstreik.“4
In der Deutschen Demokratischen Republik hat das Volk unter der Führung der Arbeiterklasse die sozialistische Revolution auf friedlichem Wege vollzogen und so die soziale Freiheit der Menschen errungen. Die Arbeiterklasse ist immer bestrebt, ihre Ziele mit friedlichen Mitteln zu erreichen; jedoch war und ist es die Methode der imperialistischen Reaktion, die friedliche Entwicklung mit der blutigen Gewalt, mit Putsch und militärischem Terror zunichte zu machen oder zu unterbrechen. Aber die Monopolbourgeoisie ist nicht mehr imstande, das Geschick des ganzen deutschen Volkes und seine Zukunft zu bestimmen. Allein die Arbeiterklasse und die mit ihr verbündeten demokratischen Kräfte können dem deutschen Volke eine Zukunft des Friedens, der Sicherheit und des Wohlstandes gewährleisten. Die Deutsche Demokratische Republik gibt das Vorbild eines geeinten, friedlichen, sozialistischen Deutschlands. Die Monopolbourgeoisie hat die Nation gespalten, die Arbeiterklasse der beiden deutschen Staaten wird sie wieder einen.
Die Gesellschaftsprognose ist für die marxistisch-leninistische Partei nicht eine einmalige Arbeit, sondern ein permanenter schöpferischer Denk- und Arbeitsprozeß, der um so vordringlicher wird, je höher sich die sozialistischen Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte entwickeln. Mit dem Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse in allen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft und der wirksamen Sicherung der Staatsgrenze und damit der Gesellschaftsordnung der Deutschen Demokratischen Republik vor dem westdeutschen Imperialismus wurden die objektiven ökonomischen Gesetze des Sozialismus voll wirksam, und es entstand eine neue Qualität ihrer bewußten, das heißt planmäßigen Ausnutzung. „Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen“, schrieb Marx im „Kapital“, „daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den, ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn.“5
Mit der Gestaltung des ökonomischen Systems des Sozialismus, das heißt mit der wissenschaftlich begründeten Ausnutzung des jetzt voll wirksamen Komplexes der objektiven ökonomischen Gesetze des Sozialismus erschließen wir uns diese Freiheit voll und ganz!
In der Deutschen Demokratischen Republik tritt die Prognose der Entwicklung der Wissenschaft als Produktivkraft und der Leitung der Wirtschaft und Gesellschaft in den Vordergrund. Sie dient dazu, auf lange Frist vorausschauend, das Wechselverhältnis der sich entwickelnden Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse zu erkennen, entstehende Widersprüche rechtzeitig aufzudecken und die Möglichkeiten ihrer Lösung zu erarbeiten. Unsere Partei erkannte frühzeitig die wissenschaftlich-technische Revolution und ihre Bedeutung für die Entwicklung der sozialistischen Produktionsverhältnisse, besonders für die Organisation und Leitung, für die Entwicklung der Menschen sowie für den Kampf zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Sie traf rechtzeitig vorausschauende Maßnahmen. Im Mittelpunkt steht immer wieder die Entwicklung der Menschen der Deutschen Demokratischen Republik, die durch die Entfaltung ihrer schöpferischen Fähigkeiten ihre materiellen, politischen, sozialen und geistig-kulturellen Bedürfnisse immer besser befriedigen.
Die marxistische Gesellschaftsprognose wird immer mehr zu einer exakten Wissenschaft. Die bürgerlichen Wissenschaftler, die in Form der sogenannten „Futurologie“ die Gesellschaftsprognose für eine friedliche Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft nutzbar machen möchten, sind dagegen in einer sehr schwierigen Position. Da sie die materialistische Dialektik negieren, können sie im besten Falle nur zu beschränkten Erkenntnissen gelangen, z. B. für die Wissenschaft, das Wohnungswesen, die Bildung. Ihr größtes Hindernis aber besteht darin, daß die zur Verwirklichung dieser Prognose erforderliche politische und ökonomische Macht in den Händen der Monopolbourgeoisie liegt, die die prognostische Arbeit für die Sicherung des Profits und ihrer Macht okkupiert; jede darüber hinausgehende Initiative wird an den Schranken der monopolkapitalistischen Produktionsverhältnisse scheitern. Für die Arbeiterklasse Westdeutschlands dagegen ist die marxistische Gesellschaftsprognose der Entwicklung des Kapitalismus eine wirksame wissenschaftliche Waffe. Sie bildet die Grundlage für die Ausarbeitung der Strategie und Taktik des Kampfes gegen das Monopol- und Finanzkapital.
Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands läßt sich von der marxistisch-leninistischen Lehre leiten und war deshalb imstande, Prognosen zu erarbeiten, die eine bewußte Ausnutzung objektiver Gesetzmäßigkeiten darstellen.
Die Prognostik ist eine große Kraft, um alle Fähigkeiten der sozialistischen Gesellschaft und ihrer Mitglieder zu entfalten. Durch ununterbrochenes Lernen, durch die Fähigkeit unserer Partei, die neuen Entwicklungsbedingungen zu erkennen und entsprechend zu handeln, konnten die Leistungen vollbracht werden, auf die das Volk der Deutschen Demokratischen Republik stolz ist.
Gestützt auf theoretische Erkenntnisse und wertvolle Erfahrungen, konnte auf dem VII. Parteitag unserer Partei eine weitere Prognose der gesellschaftlichen Entwicklung erarbeitet werden, die allen Bürgern unserer Republik neue Kraft gibt und den Weg weist für die ganze Periode der Vollendung des Sozialismus in der DDR.
III. Probleme des staatsmonopolistischen Kapitalismus und des Kampfes der Arbeiterklasse in Westdeutschland
Die Analyse des Kapitalismus war für Marx gleichbedeutend mit der Aufdeckung der Gesetze der Entstehung, Entwicklung und Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise. Ihm ging es im „Kapital“ darum, wie er schrieb, „das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen …“6
Marx löste diese Aufgabe, indem er die Mehrwerttheorie formulierte und das Kapital als ein gesellschaftliches Verhältnis charakterisierte. Damit enthüllte er das Geheimnis der kapitalistischen Ausbeutung, deckte das Wesen der Beziehungen zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie auf und begründete die historische Rolle der Arbeiterklasse im Prozeß der Überwindung des kapitalistischen Systems.
Es ist nicht verwunderlich, daß die bürgerlichen Ideologen der Bundesrepublik nach wie vor diese Marxschen Erkenntnisse entschieden bekämpfen. Sie stützen sich dabei vor allem darauf, daß der kapitalistische Staat in der Wirtschaft eine qualitativ neue Rolle spiele. Sein Hauptanliegen sei, Gemeinwohl, soziale Gerechtigkeit und Sicherheit zu gewährleisten. Allenfalls hätten die Marxschen Erkenntnisse im 19. Jahrhundert Gültigkeit besessen, aber heute wären sie nicht mehr zutreffend.
„Das Kapital“ und das Elend der bürgerlichen Marx-Kritiker
Auch für die ideologischen Verfechter des Kapitalismus ist der 100. Jahrestag des Erscheinens des „Kapitals“ ein Gedenktag. Hinter ihnen liegen 100 Jahre vergeblichen Bemühens, die Wahrheit der Marxschen Analyse des Kapitalismus totzuschweigen oder zu widerlegen. Die verstärkte Aktivität der imperialistischen Ideologen, die Aktualität der Erkenntnisse des „Kapitals“ zu bestreiten, bestätigt vor allem, wie recht Marx hatte, als er schrieb, mit seinem Werk hoffe er, der Bourgeoisie „theoretisch einen Schlag zu geben, von dem sie sich nie erholen wird“7.
Heute wagt es kaum ein Vertreter der bürgerlichen Ökonomie, die Marxsche Analyse frontal anzugreifen und ihre Wahrheit generell zu leugnen. Die Hauptmethode dieser Leute besteht jetzt darin, die Gültigkeit des „Kapitals“ auf das 19. Jahrhundert zu reduzieren, auf den Kapitalismus der freien Konkurrenz, und als unzutreffend für den Kapitalismus des 20. Jahrhunderts zu bezeichnen. Aber dieser Trick zieht nicht. Im „Kapital“ handelt es sich, wie Marx selbst betonte, „nicht um den höheren oder niedrigeren Entwicklungsgrad der gesellschaftlichen Antagonismen, welche aus den Naturgesetzen der kapitalistischen Produktion entspringen. Es handelt sich um diese Gesetze selbst, um diese mit eherner Notwendigkeit wirkenden und sich durchsetzenden Tendenzen“8. Das „Kapital“ enthält eben nicht nur die Analyse eines spezifischen Entwicklungsstadiums des Kapitalismus, sondern die Analyse der für den gesamten Kapitalismus gültigen grundlegenden Prozesse und Gesetze, des Wesens des Kapitalismus. Die von Marx gegebene Analyse entspricht deshalb dem gegenwärtigen Kapitalismus in vieler Beziehung noch mehr als dem Kapitalismus, wie er vor 100 Jahren existierte.
Die historische Entwicklung des Kapitalismus erweist sich als stufenweise zunehmende Verschärfung seiner grundlegenden ökonomischen Widersprüche und sozialen Konflikte. Zunächst wurde, wie Marx bewies, die Staatsmacht als konzentrierte und organisierte Gewalt benutzt, „um den Verwandlungsprozeß der feudalen in die kapitalistische Produktionsweise treibhausmäßig zu fördern und die Übergänge abzukürzen“9. Mit dieser erfolgten Verwandlung aber wurde das Kapital stark genug, sich auf das Wirken der objektiven ökonomischen Gesetze des Kapitalismus der freien Konkurrenz zu verlassen, dem der Staat lediglich die allgemeinen gesellschaftlichen Bedingungen für den Verwertungsprozeß des Kapitals zu sichern hatte.
Doch schon in den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts begann das Kapital als Schranke seiner eigenen Entwicklung zu wirken, und es änderte sich erneut das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Staat. Elemente des staatlichen Eingriffes in die Wirtschaft bildeten sich heraus, weil die spontanen Kräfte allein zur Sicherung der Kapitalherrschaft nicht mehr ausreichten. Schon Marx hatte geschlußfolgert, daß die mit dem Aktienwesen entstehende neue Form der kapitalistischen Widersprüche in gewissen Sphären das Monopol herstellt und daher die Staatseinmischung herausfordert und eine neue Finanzaristokratie produziert.10 Engels verfolgte die beginnende Entfaltung der zweiten und dritten Potenz der Aktiengesellschaft, der Trusts, und bewies: „… die altgerühmte Freiheit der Konkurrenz ist am Ende ihres Lateins und muß ihren offenbaren skandalösen Bankrott selbst ansagen.“
Doch schon in den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts begann das Kapital als Schranke seiner eigenen Entwicklung zu wirken, und es änderte sich erneut das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Staat. Elemente des staatlichen Eingriffes in die Wirtschaft bildeten sich heraus, weil die spontanen Kräfte allein zur Sicherung der Kapitalherrschaft nicht mehr ausreichten. Schon Marx hatte geschlußfolgert, daß die mit dem Aktienwesen entstehende neue Form der kapitalistischen Widersprüche in gewissen Sphären das Monopol herstellt und daher die Staatseinmischung herausfordert und eine neue Finanzaristokratie produziert.10 Engels verfolgte die beginnende Entfaltung der zweiten und dritten Potenz der Aktiengesellschaft, der Trusts, und bewies: „… die altgerühmte Freiheit der Konkurrenz ist am Ende ihres Lateins und muß ihren offenbaren skandalösen Bankrott selbst ansagen.“11
Wenn also heute die Ideologen des Kapitalismus behaupten, die wachsende Rolle des kapitalistischen Staates in der Wirtschaft widerlege die Analyse von Marx und Engels, so blamieren sie sich nur wie alle „Marxtöter“ vor ihnen, weil sie den organischen Entwicklungsgang der Marxschen Analyse und seine wissenschaftliche Methode nie begriffen haben oder nicht begreifen wollen.
Was charakterisiert die formierte Herrschaft im gegenwärtigen Westdeutschland?
Prüft man, wer Wirtschaft und Gesellschaft in der Bundesrepublik beherrscht, wem die entscheidenden Produktionsmittel gehören, dann findet man, daß es nach wie vor die stärksten Monopolgruppen sind. In ihrem Interesse mobilisiert der Staat in gewaltigem Ausmaß Kapital und wendet es an, steuert und lenkt er global den Reproduktionsprozeß. Deshalb ist es auch ganz zwangsläufig, daß die gesellschaftliche Stellung der übergroßen Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung, der Arbeiterklasse, durch ihre Eigentumslosigkeit an den Produktionsmitteln bestimmt wird. Ihre Arbeits- und Lebensbedingungen, ihre Existenz hängen wie eh und je vom Verkauf der Arbeitskraft ab, was in der gegenwärtigen Krise erneut bestätigt worden ist und wird. Die Verflechtung der Macht der Monopole mit der Macht des Staates schützt die Arbeiter weder vor Entlassungen und Feierschichten noch vor Angriffen auf Löhne und soziale Errungenschaften. Im Gegenteil! Staat und Monopole gehen gemeinsam vor und versuchen, die gegenwärtige Depression zu Lasten der Arbeiter und der anderen werktätigen Schichten zu überwinden.
Entgegen allen Theorien der bürgerlichen Ideologen von einer angeblichen Transformation des kapitalistischen Systems muß festgestellt werden: Die neue Rolle, die heute der Staat im Wirtschaftsleben spielt, ist nur Ausdruck dafür, daß in der Bundesrepublik der Prozeß des Hinüberwachsens des monopolistischen Kapitalismus in den staatsmonopolistischen Kapitalismus vollzogen ist.
Die grundlegende Ursache dieser Entwicklung ist die Bewegung und Entfaltung des von Marx entdeckten Grundwiderspruchs der kapitalistischen Produktionsweise, des Widerspruchs zwischen gesellschaftlicher Produktion und kapitalistischer Aneignung. Aber die Geschichte des deutschen Imperialismus lehrt auch, daß dieser Widerspruch nicht automatisch den staatsmonopolistischen Kapitalismus hervorbringt, sondern eine Vielzahl von Faktoren dabei wirksam ist.
Die Verschärfung der kapitalistischen Widersprüche in Deutschland führte zur Expansionspolitik des deutschen Imperialismus, zu seinem Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Aber gerade die expansionistische Politik bewirkte ihrerseits die weitere Zuspitzung eben dieser Widersprüche. Auch heute sucht der westdeutsche Imperialismus die antagonistischen Widersprüche abzuschwächen oder zu überwinden durch die Expansionspolitik, die in der Alleinvertretungsanmaßung, im Revanchismus, im Streben nach Hegemonie über Westeuropa und im Neokolonialismus ihren Ausdruck findet. Die Zuspitzung der inneren und äußeren Widersprüche veranlaßt die Großbourgeoisie Westdeutschlands, die Formen und Methoden ihrer Herrschaft zu verändern und, wie es im Beschluß des Düsseldorfer Parteitages der CDU heißt, „zur formierten Gesellschaft“ überzugehen. Das ist aber nichts anderes als staatsmonopolistischer Kapitalismus, verbunden mit Atomrüstung, Notverordnungsverfassung, Militarisierung des Lebens und psychologischer Kampfführung. Der Übergang zum staatsmonopolistischen Kapitalismus ist ein Wesensmerkmal der allgemeinen Krise des kapitalistischen Systems, um die Ausbeuterherrschaft aufrechtzuerhalten, und zugleich ist er eine Reaktion auf den Vormarsch des Sozialismus in der Welt.
Die kapitalistischen Widersprüche haben sich in Westdeutschland besonders im Zusammenhang mit der stürmischen Entwicklung der wissenschaftlich-technischen Revolution zugespitzt. Eine Zeitlang hat die technische Revolution dem westdeutschen Kapitalismus die Möglichkeit gegeben, neue Produktionszweige zu schaffen und den Produktionsapparat in wesentlichen Teilen zu erneuern. In dieser Zeit gewährte die Bourgeoisie aus den steigenden Profiten der Arbeiterschaft gewisse ökonomische Zugeständnisse. Sozialdemokratische Führer phantasierten von der krisenlosen Wirtschaft, vom Wohlstandsstaat und vom Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus ohne Klassenkampf.
Die westdeutsche Großbourgeoisie hat jedoch wenig beachtet, daß die wissenschaftlich-technische Revolution die inneren Widersprüche in Westdeutschland unter der Oberfläche schnell verschärfte. Sie vergrößerte auch die Ungleichmäßigkeit der ökonomischen Entwicklung der kapitalistischen Länder, was besonders im qualitativen Zurückbleiben Westdeutschlands gegenüber den USA auf wichtigen Gebieten zum Ausdruck kam. Die wissenschaftlich-technische Revolution verschärfte den Konkurrenzkampf auf dem Weltmarkt und veranlaßte das westdeutsche Großkapital, die Ausbeutung in den Betrieben zu verschärfen, wodurch sie den Klassenkampf in Westdeutschland zuspitzte. Es kam hinzu, daß durch die strukturellen Änderungen in der Industrie Teile der Arbeiterklasse, wie z. B. die Ruhrbergarbeiter, zu dauernder Arbeitslosigkeit verurteilt wurden und infolge der Rationalisierung Arbeiterentlassungen auf der Tagesordnung standen. Die Bourgeoisie schuf eine industrielle Reservearmee, um den Abbau sozialer Errungenschaften zu erzwingen und einen frontalen Angriff gegen die gewerkschaftliche Tarifpolitik zu führen.
Das westdeutsche Monopolkapital versucht, die Widersprüche zu lösen durch Expansionspolitik, durch Erringen der führenden Rolle in der EWG und gegenüber den EFTA-Staaten, durch Einbeziehung der DDR in das Ausbeutungsgebiet des westdeutschen Monopolkapitals, durch das Zurückdrängen des Sozialismus in den anderen sozialistischen Staaten und durch Verhinderung des nichtkapitalistischen Weges in den befreiten Nationalstaaten. Zu diesem Zwecke betreibt es eine gewaltige Rüstungsproduktion, die weiter zur Verschärfung der inneren Widersprüche beiträgt.
Gerade das schnelle Fortschreiten der wissenschaftlich-technischen Revolution bewirkt, daß der Kapitalismus dem Volk keine soziale Sicherung gewähren kann, daß ein Teil der Arbeiterschaft und der Intelligenz für lange Zeit aus dem Produktionsprozeß ausgeschaltet wird. Für die Atomrüstung und den ungeheuren Machtapparat zur Niederhaltung und zum Betrug des Volkes werden riesige ökonomische Mittel vergeudet. Das macht es Westdeutschland unmöglich, das Tempo der wissenschaftlich-technischen Revolution auf den Hauptgebieten mitzuhalten.
In welchem Maße der staatsmonopolistische Kapitalismus zum Hindernis in Westdeutschland geworden ist, zeigt der Rückstand des Bildungssystems und die systematische Manipulierung der Menschen durch die kapitalistischen Meinungsfabriken, die selbständiges Denken und kulturelles Leben der Werktätigen verhindern soll.
Auf Grund der Analyse der Entwicklung des Imperialismus in Westdeutschland kommen wir zu der Schlußfolgerung: Die grundlegenden Widersprüche des kapitalistischen Systems haben sich so zugespitzt, daß die Verflechtung der Macht der Monopole mit der Macht des Staates objektiv zur einzig möglichen Existenzbedingung des Imperialismus von heute geworden ist. Der staatsmonopolistische Kapitalismus ist zur bestimmenden Entwicklungsform der kapitalistischen Produktionsverhältnisse geworden. Eine Rückkehr zu alten Formen des Kapitalismus ohne Verflechtung der Macht der Monopole mit der des Staates ist nicht mehr möglich. In diesem Sinne ist der staatsmonopolistische Kapitalismus eine selbständige Entwicklungsphase des Imperialismus. Auf sie trifft die Voraussage Lenins zu, daß der staatsmonopolistische Kapitalismus materielle Vorbereitung des Sozialismus, seine unmittelbare Vorstufe ist.12 Dieser Satz Lenins bezieht sich auf den hohen Grad der Vergesellschaftung der Arbeit und die gesetzmäßig daraus resultierenden Formen der Leitung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses. Das Wesen des staatsmonopolistischen Kapitalismus als gesellschaftliche Ordnung, als Ganzes, ist natürlich dem Sozialismus diametral entgegengesetzt, da das kapitalistische Eigentum, die objektive Grundlage des Klassengegensatzes, nicht beseitigt ist.
Das Monopol als das ökonomische Hauptmerkmal des Imperialismus existiert nicht mehr nur als einfaches Privatmonopol, sondern es wird staatlich garantiert. Als Produktionsverhältnis kann es sich heute nur noch mit Hilfe des Staates realisieren. Die grundlegenden Prozesse der gesellschaftlichen Reproduktion wie die kapitalistische Ausbeutung und damit die grundlegenden Klassenbeziehungen, die Entwicklung von Wissenschaft und Forschung, die Akkumulationstätigkeit, die Marktbewegungen usw. können nicht mehr allein privat, sie müssen staatsmonopolistisch organisiert und geleitet werden.
Indem sich die Monopole mit den Potenzen des Staates verflechten, erreicht das System seine höchste Entwicklungsstufe. Die ökonomische und politische Machtkonzentration in den Händen des Monopolkapitals wird auf die Spitze getrieben. Die dem Monopol immanente Tendenz nach absoluter Herrschaft über alle Bereiche der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens setzt sich immer vollständiger durch. Sie ist auf die Zusammenfassung aller Kräfte des kapitalistischen Systems unter seinem Kommando gerichtet.
Der imperialistische Staat erweitert in gewissem Maße durch seine regulierende Tätigkeit den Spielraum für die Bewegung der Produktivkräfte. Das Ergebnis ist ein weiteres Anwachsen des gesellschaftlichen Charakters der Produktion. In diesem Prozeß verschafft die staatsmonopolistische Regulierung den Monopolen neue, größere Möglichkeiten der Mobilisierung und Disposition über das gesellschaftliche Gesamtkapital. Ein immer größerer Teil des gesellschaftlichen Reichtums wird in den Händen der Finanzoligarchie konzentriert Die staatsmonopolistische Regulierung wird benutzt, um das kapitalistische Eigentum an den Produktionsmitteln am Leben zu erhalten.
Aus dieser Vertiefung des Grundwiderspruchs ergibt sich die weitere Zuspitzung des Widerspruchs zwischen dem Gesetz der Anarchie und Konkurrenz und den Tendenzen nach Planung im gegenwärtigen Kapitalismus. Die Organisation der Produktion gilt heute nicht nur in einem Betrieb oder in einem Industriezweig, sondern sie erfaßt die gesamte kapitalistische Wirtschaft. Heute stoßen ständig die entgegengesetzten Tendenzen von Organisation und Desorganisation, von Planung und Anarchie im Rahmen der ganzen kapitalistischen Gesellschaft aufeinander. Das kann auch nicht anders sein, solange die Notwendigkeit einer planmäßigen Steuerung des Reproduktionsprozesses mit Hilfe des Staates den Profit- und Machtinteressen des Monopolkapitals untergeordnet ist. Hieran wird die Widersprüchlichkeit und historische Begrenztheit des staatsmonopolistischen Kapitalismus deutlich. Indem der Staat in den Vordergrund seiner ökonomischen Tätigkeit die Aufgabe stellt, das kapitalistische System ökonomisch, politisch und militärisch zu sichern, indem er also die allgemeinen, kollektiven Interessen der Monopolbourgeoisie vertritt, gerät er unweigerlich in Konflikt mit den Interessen der werktätigen Massen, mit den Produktivkräften und speziell mit der Wissenschaft; er kann auch in Konflikt geraten zu den spezifischen Interessen einzelner Monopole bzw. Monopolgruppen. Ständig treten daher Gegenwirkungen gegen die einzelnen staatlichen Regulierungsmaßnahmen auf und stellen ihre Wirksamkeit in Frage. Die ökonomische Tätigkeit des kapitalistischen Staates kann weder das Marktproblem lösen noch die Krisen aus der Welt schaffen.
Jeder Schritt in der Entwicklung des staatsmonopolistischen Kapitalismus ist mit einer weiteren Konzentration der ökonomischen und politischen Macht des Monopolkapitals, mit einer weiteren Vertiefung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit verbunden. Die volle Herausbildung des staatsmonopolistischen Kapitalismus führt somit dazu, daß der Gegensatz zwischen arm und reich, der Gegensatz zwischen den Interessen der Mehrheit des Volkes und den herrschenden Finanzmagnaten immer größer wird.
Der staatsmonopolistische Kapitalismus und das ökonomische Gesetz der Krise
Jahrelang wurde vom sogenannten Wirtschaftswunder gesprochen, überboten sich Repräsentanten des wiedererstandenen westdeutschen Imperialismus mit Behauptungen, die Zeit der Wirtschaftskrise sei nun endgültig vorüber. „Die Konjunktur wird so, wie man sie haben will. Ich habe genügend Mittel in der Hand, um sie zu gestalten“13, verkündete beispielsweise Erhard in jenen Jahren. Im ersten Halbjahr 1967 war jedoch die Industrieproduktion der Bundesrepublik um 6 Prozent niedriger als in der gleichen Zeit des Vorjahres. Etwa 25 Prozent der Produktionskapazitäten liegen brach. Allein daraus entsteht 1967 ein Verlust von etwa 30 Milliarden DM am westdeutschen Sozialprodukt.
Das Wort Krise ist in Westdeutschland wiederum zu einem geflügelten Begriff geworden. Nach wie vor wirkt das von Marx entdeckte Krisengesetz. Natürlich hat der staatsmonopolistische Kapitalismus neue Bedingungen hervorgebracht, die zu spezifischen Formen seines Wirkens führten. So entladen sich z. B. antagonistische Widersprüche anders als früher, nicht mehr nur in der Krise selbst, sondern auch in anderen Phasen des ökonomischen Prozesses. Beispiele dafür sind Dauerarbeitslosigkeit als Folge der Automatisierung, Finanzkrisen u. a. Einige Anzeichen deuten darauf hin, daß die für Länder wie die USA typische Erscheinungsform des Krisengesetzes auch für Westdeutschland immer mehr charakteristisch wird, nämlich die Verflechtung von lang anhaltender zunehmender Labilität und häufigen Krisen, die meist nur als Teilkrisen bzw. als kurzfristige allgemeine Überproduktionskrisen in Erscheinung treten. Dabei lehrt die Praxis der herrschenden Kreise der USA, daß sie in solchen Situationen immer stärker den Ausweg in forcierter Rüstung und in begrenzten Kriegen suchen. Das von Marx entdeckte Krisengesetz wirkt also auch heute. Das kann allerdings gar nicht anders sein; denn der Grundwiderspruch des kapitalistischen Systems, die tiefste Wurzel also, aus der Wirtschaftskrisen entspringen, gibt auch dem Imperialismus heute das Gepräge.
Wenn auch die spezifischen Nachkriegsverhältnisse die wirtschaftliche Entwicklung Westdeutschlands begünstigten, wenn auch im Zusammenhang mit dem vollzogenen Übergang zum staatsmonopolistischen Kapitalismus in Westdeutschland von selten der Monopolbourgeoisie Einfluß auf die zyklische Entwicklung genommen werden konnte, wenn es auch gelang, in den 50er Jahren einen relativ raschen ökonomischen Aufschwung Westdeutschlands zu sichern – mit den 60er Jahren änderte sich das Bild. Nicht nur, daß seitdem der Anteil Westdeutschlands an der Industrieproduktion der kapitalistischen Welt rückläufig ist. Selbst in der Massenpropaganda mußte man das Wort vom „Wirtschaftswunder“ aufgeben, denn die krisenhafte Entwicklung dieses Systems ließ sich nicht länger verdecken.
Die Ursache hierfür hat Marx bereits vor einem Jahrhundert enthüllt: Die Ausbeuter, heute insbesondere die großen Monopole, sind in ihrer Gier nach Riesenprofiten an sowohl maximaler Produktion wie möglichst niedrigen Löhnen interessiert. Gesamtvolkswirtschaftlich ist jedoch die Kaufkraft der Massen der wichtigste Nachfragefaktor auf dem Markt, die bedeutendste Größe, die all jene Werte realisieren müßte, die produziert werden. Hier entsteht jedoch jene Kluft zwischen wachsender Produktion und begrenzter Kaufkraft, die schließlich notwendig in die Krise mündet. Marx‘ Worte sind unverändert aktuell:
„Der letzte Grund aller wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und Konsumtionsbeschränkung der Massen gegenüber dem Trieb der kapitalistischen Produktion, die Produktivkräfte so zu entwickeln, als ob nur die absolute Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft ihre Grenze bilde.“14
Wenn auch die westdeutsche Arbeiterklasse in den Jahren des Wirtschaftsaufschwungs bedeutende Erfolge in ihrem ökonomischen Kampf erringen konnte, so entfaltete sich doch die Kluft zwischen Produktion und Markt vor allem angesichts der raschen Entwicklung der Produktivkräfte in einem solchen Maße, daß auch die vielfältigen staatsmonopolistischen Maßnahmen eine krisenhafte Entwicklung nicht verhindern konnten. Sie wird verstärkt durch das Zusammenfallen von zyklischer Krise und Strukturkrisen in der Wirtschaft. Aber vor allem die riesigen Mittel, die die aggressive Politik des westdeutschen Imperialismus verschlingt und die selbst die Möglichkeiten des ökonomischen Potentials Westdeutschlands bedeutend übertreffen und damit neue Widersprüche aufreißen, verleihen der krisenhaften Entwicklung weitere Impulse. Wie stets, so sollen auch jetzt wieder die Massen des Volkes und vor allem die Arbeiterklasse die Lasten der Krise und die Kosten der Expansionspolitik tragen. Die „konzertierte Aktion“ der Monopole und ihrer Regierung zielt darauf ab, durch Lohnstopp, Furcht vor Arbeitslosigkeit, Erhöhung der Massensteuern, soziale Demontage die Werktätigen in die Knie zu zwingen, die Notstandsverfassung durchzusetzen und im Innern jene Bedingungen zu formieren, die zur Forcierung der Außenexpansion benötigt werden. Niemals dienten die Krisenrezepte des Imperialismus der Sicherung der sozialen Lage der arbeitenden Menschen, stets waren sie auf die Stabilisierung der Profite und der politischen Macht des Großkapitals gerichtet.
Es ist völlig richtig, wenn führende Vertreter der westdeutschen Gewerkschaften den Schluß ziehen:
„Wir müssen uns intensiver als bisher mit einer Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse beschäftigen. Sonst werden wir weder die Gründe für den eingetretenen Umschwung richtig erkennen noch die gebotenen Schlußfolgerungen für unsere gewerkschaftliche Aktivität ziehen können. Klarheit tut not, sonst laufen wir Gefahr, den richtigen Weg zu verfehlen; denn dem nützt kein Wind, der keinen Hafen hat.“15
Der Schlüssel zu dieser Klarheit aber ist die Lehre von Karl Marx. Im Gegensatz von Kapital und Arbeit liegen nach wie vor jene „Gründe“, ohne deren Erkenntnis die Arbeiterbewegung den richtigen Hafen nicht ansteuern kann.
Die antagonistischen Widersprüche im staatsmonopolistischen Kapitalismus Westdeutschlands wurden durch die wissenschaftlichtechnische Revolution vertieft und werden sich immer weiter zuspitzen. Das zeigt sich in den Strukturkrisen, in der Nichtauslastung zahlreicher Betriebe, in der Differenz zwischen steigender Produktion und Kaufkraft der Massen, in der Ruinierung vieler Kleinbauern und Angehörigen des Mittelstandes. Besonders zeigen sich die Widersprüche in den Folgen der Automatisierung. In Westdeutschland führt die ökonomische Politik des Monopolkapitals dazu, eine ständige Arbeitslosigkeit zu schaffen. Das Neue in der Lage besteht darin, daß im Ergebnis der Automatisierung viele Arbeiter und Angestellte für lange Fristen aus dem Produktionsprozeß ausgeschieden werden. Das betrifft vor allem die Altersklassen über 45 Jahre, aber auch einen Teil der Jugendlichen.
Dieser Faktor wirkt sich auf den Widerspruch zwischen Produktion und Markt aus. Schon jetzt ist vorauszusehen, daß in der nächsten Etappe der Automatisierung die Zahl der aus der Industrie freigesetzten Arbeiter anwachsen wird, die keinen neuen Arbeitsplatz finden können. Es gibt Schätzungen, nach denen mit einer weiteren Beschleunigung des Tempos der Automatisierung in den nächsten 20 Jahren in den imperialistischen Ländern die Zahl der Industriearbeiter fast auf die Hälfte reduziert wird. Es ist klar, daß solche Faktoren die Massenkaufkraft beschränken und den Widerspruch zwischen Produktion und Markt weiter verschärfen müssen. Ein Teil der im Produktionsprozeß verbleibenden Arbeiter wird einen relativ hohen Lebensstandard erhalten können, während eine breite Schicht von Arbeitern für die Dauer aus dem Produktionsprozeß ausgeschieden wird. Ein großer Teil der Bauern wird ruiniert werden. Viele kleinere Unternehmen werden nur mehr als bloße Zulieferer der großen Monopole bestehen können, während die anderen in den Bankrott getrieben werden. Die Praxis der herrschenden Kreise Westdeutschlands läßt schon jetzt keinen Zweifel darüber, daß sie ein Heer von Dauerarbeitslosen ausnutzen möchten, nicht nur um die Löhne zu drücken, sondern um die Abhängigkeit und Knechtung der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen, vor allem der Gewerkschaften, in bisher nicht gekanntem Maße zu verstärken. Ähnlich wie die Gewerkschaften der USA stehen die westdeutschen Gewerkschaften vor einer komplizierten Perspektive, die sie sorgfältig analysieren sollten.
Die westdeutsche Regierung als Vollzugsorgan des staatsmonopolistischen Kapitalismus hält sich an die Ratschläge des staatsmonopolistischen Theoretikers Keynes, der empfohlen hatte, mit Hilfe staatlicher inflationistischer Kreditspritzen und der Umverteilung des Nationaleinkommens zu Lasten der Werktätigen, d. h. durch Abbau der sozialen Errungenschaften, die Depression zu überwinden.
Die sogenannte „konzertierte“ Aktion, die Herr Schiller unter dem Kommando von Abs und Strauß anstrebt, geht aus von dem Bemühen, durch ökonomische Expansion den Absatz auf den Weltmärkten zu erhöhen und im Innern die Macht der Monopole zu stärken. Sie zielt darauf ab, entsprechend den Empfehlungen von Keynes durch die Investitionspolitik des Staates und durch die Aufrüstung die Depression aufzufangen und die Konjunktur zu beleben. Im Grunde genommen sind das altbekannte Maßnahmen, wie sie Herr Schacht schon zu Hitlers Zeiten durchführte.
Das westdeutsche Monopolkapital kann nur mit Hilfe staatlicher Unterstützung die antagonistischen Widersprüche zeitweise auffangen. Diese Tatsache kommt im Reden und Handeln der Führer des Westdeutschen Staates immer stärker zum Ausdruck. Sie gehen davon aus, daß es nur dann denkbar sei, die wirtschaftlichen Ziele zu erreichen, wenn eine Stützung durch den Staat erfolgt. Kiesinger erklärte, daß ohne konjunkturelle Hilfe des Staates ein Aufschwung in der Wirtschaft nicht gesichert sei. In diesem Sinne gab der sozialdemokratische Wirtschaftsminister Schiller dem Krupp-Konzern 300 Millionen Mark Kredit. Da aber auch die anderen Konzerne von der Depression erfaßt sind, geben ihnen Regierung und Bundestag durch die kurz- und mittelfristige Finanzplanung eine Kreditspritze von insgesamt 7,7 Milliarden Mark. Außerdem erhalten die großen Konzerne beträchtliche Unterstützung durch die gewaltigen Bonner Militärausgaben, die für den Zeitraum von 1968 bis 1971 83,6 Milliarden Mark betragen. Gerade diese Tatsachen bezeugen, daß die Märchen von der „Freiheit“ im Kapitalismus und von der „freien“ Marktwirtschaft durch die Führer des westdeutschen Staates in Wort und Tat selbst widerlegt werden. In Westdeutschland zeigt sich, daß die wissenschaftlich-technische Revolution, die das Monopolkapital ausgenutzt hat, um seine Profite schneller zu erhöhen, mit dem Fortschritt der Automatisierung immer mehr den Widerspruch zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und den Produktionsverhältnissen verschärft. Es wird immer deutlicher, daß die Herrschaft der großen Monopole ein Hindernis für die Entwicklung der Wissenschaft und der Wirtschaft ist und zu ständiger sozialer Unsicherheit geführt hat und führt. Der Versuch des sozialdemokratischen Ministers Schiller, mit neuen dekorativen Begriffen die alten Theorien und Praktiken von Lord Keynes aufzufrischen, wird daran nichts ändern.
Wenn Führer westdeutscher Gewerkschaften erklären, daß es gelte, „das Problem an der Wurzel anzupacken“16, so sagen wir ihnen: Karl Marx bewies im „Kapital“, daß die Wurzel aller Übel im kapitalistischen System selbst liegt, das heute durch die Herrschaft der Monopole geprägt ist. Die Überwindung dieser Herrschaft ist zur Bedingung geworden für die Sicherung der Lebensinteressen des Volkes, von der unmittelbaren Erhaltung der Arbeitsplätze bis zur Sicherung des Friedens überhaupt.
Die Ausbeutung und Ausplünderung der weit überwiegenden Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung durch das Monopolkapital wird dadurch besonders forciert, daß Monopole und Staat gemeinsam den Angriff gegen die Arbeiterklasse vortragen. Die Verflechtung von Staat und Monopolen hat zur Folge, daß sich der ökonomische Klassenkampf des Monopolkapitals gegen die Arbeiterklasse immer enger mit der Politik des Staates zur Unterdrückung der ausgebeuteten Massen verbindet. Die Aufteilung von Lohn und Profit wird nur zu einem Teil durch die traditionellen Formen des Lohnkampfes entschieden. Hinzu tritt als immer gewichtigerer Faktor die Umverteilungsrolle des Staates, die Bedeutung staatlicher Entscheidungen über die Verwendung des Staatshaushaltes und damit fast der Hälfte des Nationaleinkommens. Objektiv verschärft sich nicht nur der Gegensatz zwischen den Interessen der Arbeiter, Angestellten, Bauern und der übrigen Schichten der Bevölkerung und denen der Monopole, sondern auch zwischen den Interessen des Volkes und der Politik des Staates.
Deshalb kann der ökonomische Kampf der Arbeiterklasse heute nur erfolgreich geführt werden, wenn er zugleich gegen die Unternehmer und gegen die Politik des Bonner Staates gerichtet wird.
Es gilt, den Klassencharakter des imperialistischen Staates von heute zu erkennen
Verschiedene Faktoren lassen die Rolle des Staates einem großen Teil der Arbeiterklasse nur schwer bewußt werden. Ein Grund ist, daß die ökonomische Rolle, die der Staat heute in den kapitalistischen Ländern spielt, zu einem Teil objektiv notwendig ist. Das mit der Entwicklung der Produktivkräfte verbundene Erfordernis, Bildungswesen, Wissenschaft und Forschung, Verkehrswesen usw. zu entwickeln, aber auch die unumgänglichen staatlichen Regulierungsmaßnahmen im Bereich der Unternehmerwirtschaft führen zum Ausbau dieser Tätigkeiten des Staates und sind zwangsläufig damit verbunden, daß er einen immer größeren Teil des Nationaleinkommens umverteilt. Die Staatspolitik ist zwar objektiv Politik der Monopole – der Form nach aber wird sie oft als Kompromiß der Forderungen unterschiedlicher politisch wirksamer Kräfte – darunter z. B. auch der Gewerkschaften – formuliert. Die Funktion des Regimes des staatsmonopolistischen Kapitalismus besteht ja gerade darin, dem Schein nach Mittler zwischen allen gesellschaftlichen Interessen zu sein und in dieser Hinsicht alle möglichen „Partnerschafts“- und sonstigen Illusionen über die sogenannte pluralistische Gesellschaft zu verbreiten, während in Wirklichkeit die Diktatur der Monopole durchgesetzt wird.
Ebenso sind mit der neueren Entwicklung des Kapitalismus Faktoren verbunden, die das Erkennen der Klassenverhältnisse zwischen Arbeitern und Kapitalisten erschweren. Die Strukturveränderungen in der Arbeiterklasse, die Differenzierung und Spezialisierung der Tätigkeiten im Produktionsprozeß usw. verwischen – wenn man nur die Oberfläche betrachtet – die Klassenspaltung der Gesellschaft. Statt ihrer erscheint eine vielfach unterteilte Hierarchie vom Hilfsarbeiter bis zum Generaldirektor. Es versteht sich, daß die Monopolbourgeoisie diesen falschen Schein, als ob die Klassenteilung der kapitalistischen Gesellschaft der Vergangenheit angehöre und eine nur durch Arbeitsteilung gekennzeichnete sogenannte Industriegesellschaft entstanden sei, durch Gewährung von Privilegien, durch zusätzliche Differenzierung der Löhne und Gehälter noch zu verstärken trachtet.
Aber die angeblich klassenneutrale Rolle des Staates und die Leugnung des Klassencharakters der kapitalistischen Gesellschaft werden nur durch Oberflächenerscheinungen des gegenwärtigen Kapitalismus glaubhaft gemacht. Tatsächlich teilt sich die kapitalistische Gesellschaft nach wie vor in Besitzer und Nichtbesitzer von Produktionsmitteln, in Ausbeuter und Ausgebeutete.
Die Sicherung der Herrschaft des Kapitals ist komplizierter geworden. Das widerspiegelt sich in der von der Kiesinger/Strauß-Regierung praktizierten „Formierung der Gesellschaft“. Sie ist einerseits Ausdruck einer bestimmten relativen Stärke der Position der Monopolbourgeoisie in Westdeutschland, zu der ihr ihre ökonomischen Potenzen und das Verhalten der rechten SP-Führer verhelfen. Nur mit aktiver Unterstützung der Sozialdemokratie kann die staatsmonopolistische Oligarchie die Integrierung großer Teile der Arbeiterklasse in ihr formiertes Gesellschaftssystem betreiben. Aber dieser Drang nach der Formierung drückt andererseits die Schwäche der Monopolbourgeoisie aus. Vor allem unter dem Druck der erstarkenden Kräfte des Sozialismus und der wissenschaftlich-technischen Revolution ist sie immer weniger in der Lage, auf die alte Weise mit den anstehenden Problemen fertig zu werden. Beide Seiten muß man beachten, wenn man die Möglichkeiten des Kampfes der Arbeiterklasse richtig beurteilen will.
Die Monopolbourgeoisie bemüht sich, die Arbeiterklasse ideologisch zu integrieren durch eine Mischung von Entpolitisierung der Widersprüche und „Mängel“ des Kapitalismus und schärfster antikommunistischer Hetze. Gleichzeitig hält dieses System den nackten Terror gegen jede demokratische Regung bereit und baut ihn durch die Notstandsdiktaturgesetze immer weiter aus.
Es ist für das Monopolkapital in Westdeutschland zu einer Existenzfrage geworden, den Widerspruch zu lösen, der zwischen den objektiv immer weiter wachsenden Klassengegensätzen und der Notwendigkeit besteht, jedes offene Ausbrechen dieser Klassenwidersprüche angesichts des erstarkenden Sozialismus und speziell der DDR zu vermeiden. Mit Hilfe seiner nationalistischen Politik des Kampfes um die Wiederherstellung des imperialistischen Deutschlands ist es dem Monopolkapital gelungen, die deutsche Arbeiterklasse zu spalten und große Teile der westdeutschen Arbeiterklasse vom Kampf gegen den Feind im eigenen Lande abzulenken.
Zu diesem Zwecke macht sich das westdeutsche Monopolkapital den Übergang der sozialdemokratischen Minister auf die Position des westdeutschen Imperialismus zunutze. Wenige Monate Regierungszeit von Kiesinger, Strauß, Brandt und Wehner haben bewiesen, daß die Monopolbourgeoisie fest mit der Hilfe der rechten sozialdemokratischen Führer rechnen kann. Ohne die Unterstützung der SPD-Minister wäre der Rechtsruck der Bonner Regierung nach dem Bankrott Erhards nicht möglich gewesen; hätte sie nicht an der Globalstrategie der USA im Krieg gegen Vietnam, im Krieg Israels, beim faschistischen Militärputsch in Griechenland teilnehmen können; hätte sie nicht die Atomrüstung und die sogenannte „neue Ostpolitik“, den Versuch, politisch die sozialistischen Länder aufzuweichen, fortsetzen können. Die Hilfe der sozialdemokratischen Minister wurde gebraucht, um den Staatshaushalt auf Kosten der Werktätigen zu sanieren, den Sozialabbau und die Notstandsverfassung durchführen zu können.
Die Dialektik des Zusammenhanges zwischen Ökonomie und Politik sowie zwischen innerer Reaktion und äußerer Aggression des staatsmonopolistischen Kapitalismus widerlegt auch die angebliche Transformation des Kapitalismus und die sogenannte Konvergenz der beiden gesellschaftlichen Systeme. Die technische Revolution macht eine Planung und Regulierung der Wirtschaft unumgänglich. Diese ist für das Monopolkapital um so dringender notwendig, als es sich von Jahr zu Jahr einem ökonomisch, politisch und militärisch stärker werdenden sozialistischen Weltsystem konfrontiert sieht. Aber aus der staatsmonopolistischen „Planung“ und „Lenkung“ der Wirtschaft kann eine Konvergenz des Kapitalismus zum Sozialismus genausowenig bewiesen werden, wie etwa das vermeintliche Verschwinden des Proletariats im Kapitalismus damit begründet werden kann, daß zunehmend auch Arbeiter Besitzer von Kühlschränken und Kraftfahrzeugen sind. Die Mittel der „Planung und Regulierung der Wirtschaft“ werden angewendet, um den Kapitalismus zu erhalten, ja sie werden angewendet, um den Sozialismus und jeden gesellschaftlichen Fortschritt auch mit militärischer Gewalt zu bekämpfen. Deshalb ist es illusionär, anzunehmen, daß sich der staatsmonopolistische Kapitalismus dem Sozialismus annähert. Und es ist auch lächerlich, in der Entfaltung des sozialistischen Systems mit Hilfe von Wirtschaftsreformen einen teilweisen Rückfall in die kapitalistische Ausbeuterwirtschaft erblicken zu wollen. Es gibt keine Konvergenz zwischen der auf kapitalistischem Eigentum beruhenden Ausbeutergesellschaft und dem auf gesellschaftlichem Eigentum beruhenden Sozialismus.
Die Tatsache, daß der Kapitalismus gezwungen ist, Formen der Planmäßigkeit anzuwenden, beweist nicht die Annäherung der beiden gesellschaftlichen Systeme, sondern demonstriert nur die historische Überlebtheit der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Das Kapital hat jenen Zustand erreicht, den Marx in seinen „Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie“ folgendermaßen charakterisierte:
„Sobald es anfängt, sich selbst als Schranke der Entwicklung zu fühlen und bewußt zu werden, nimmt es zu Formen Zuflucht, die, indem sie die Herrschaft des Kapitals zu vollenden scheinen, durch Züglung der freien Konkurrenz, zugleich die Ankündigung seiner Auflösung und der Auflösung der auf ihm beruhenden Produktionsweise sind.“17
Die Herrschaft des Kapitals muß heute mit Hilfe des Staates durch Methoden und Mittel gefestigt werden, die dem Privateigentum an Produktionsmitteln widersprechen und es zersetzen. Hierin liegt die tiefe Quelle für die wachsende Labilität und Fäulnis des Kapitalismus der Gegenwart.
Jede weitere Entwicklung des staatsmonopolistischen Kapitalismus verschärft somit die Widersprüche des kapitalistischen Systems. Jeder Schritt dieser Entwicklung richtet sich gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung, nicht nur der Arbeiterklasse, sondern auch der Bauernschaft, der Mittelschichten, der kleinen und mittleren Bourgeoisie. Daher kann die Monopolbourgeoisie nicht verhindern, daß die zunehmende Labilität des Kapitalismus die Volksmassen veranlaßt, „sich über die Gesellschaftsordnung Gedanken zu machen, sie zwingt, selber ‚ihr Glück zu schmieden’„18.
Daraus erwachsen ständig demokratische Bewegungen und Bestrebungen. Aber die oppositionellen Kräfte müssen die Frage der Demokratie, ihre Entfaltung und Erweiterung als Mittel des Kampfes gegen die Allmacht der Finanzoligarchie in den Mittelpunkt rücken. Deshalb ist der staatsmonopolistische Kapitalismus bestrebt, seine Existenz auf dem Wege des Abbaus der Demokratie zu sichern.
Dem dient in Westdeutschland die Zentralisation der Staatsmacht. Die sogenannte Reform der Demokratie soll die Rechte des Parlamentes beschneiden, das Wahlrecht in reaktionärer Richtung verändern, die Rechte der Länder und Gemeinden einschränken und vor allem der staatsmonopolistischen Oligarchie diktatorische Vollmachten in Form der Notstandsverfassung bringen. Die Unterstützung der Monopolbourgeoisie durch die rechten sozialdemokratischen Führer läßt diese Politik zu einer ernsten Gefahr für das Volk in Westdeutschland werden.
Deshalb .können sich die demokratischen Kräfte nicht auf die Verteidigung ihrer demokratischen Rechte beschränken. Deshalb können Forderungen nach ökonomischen, politischen und kulturellen Reformen nur zum Ziel führen, wenn sie mit dem grundsätzlichen Kampf gegen die monopolkapitalistische Herrschaft und ihre Herrschaftsmethoden der Notverordnungen und Militarisierung verbunden werden.
Aus der Dialektik des Klassenkampfes ergibt sich, daß gewisse Verbesserungen, die die Arbeiterklasse erkämpft, sich als Schritte zur Einschränkung der Macht der Monopole, als Schritte auf dem Weg zur Befreiung der Arbeiterklasse auswirken können; sie können aber auch von der Monopolbourgeoisie umgefälscht, in ihr Gegenteil verkehrt werden. So verfehlt die jahrelang erfolgreich verteidigte Mitbestimmung in der Montanindustrie, die die Monopolbourgeoisie 1951 der Arbeiterklasse zugestehen mußte, ihren Zweck, wenn sie heute in einigen Unternehmen darauf hinausläuft, daß die Vertreter der Belegschaften „mitbestimmen“ können, wer entlassen wird, und wann kurz gearbeitet wird. Mitbestimmung darf nicht heißen, der Monopolbourgeoisie bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen; Mitbestimmung muß die Zurückdrängung der Macht der Monopole zum Ziel haben. In seinen Arbeiten über die Gewerkschaften schrieb Engels, daß die untere Klasse zuerst um einen Anteil an der Macht kämpft, „später um die ganze Macht, um in die Lage zu kommen, die bestehenden Gesetze entsprechend ihren eigenen Interessen und Bedürfnissen zu ändern“.19 Die Mitbestimmung muß schließlich in die Überwindung der Macht der Monopole einmünden, die den Weg zu einer antiimperialistischen Demokratie versperrt.
IV. Probleme des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus
Im Referat auf dem VII. Parteitag habe ich die Notwendigkeit der Schaffung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus in der DDR ausführlich dargelegt. Dabei können wir von Tatsachen ausgehen: Es ist uns gelungen, in einem Teil Deutschlands, also des Landes in Europa mit der weitesten Entwicklung des staatsmonopolistischen Kapitalismus, den Beweis für den demokratischen Weg zum Sozialismus und für die Lebenskraft des sozialistischen Systems in einem entwickelten Industriestaat zu erbringen.
Unsere Partei hat sich als fähig erwiesen, den Weg des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus entsprechend den deutschen Bedingungen zu finden und zu beschreiten. Wir führen unsere Arbeit fort, wie sie im Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vorgezeichnet ist: mit dem vollständigen und umfassenden Aufbau des Sozialismus in der DDR.
Auch in diesem Abschnitt ist es sehr wichtig, die Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung richtig zu erkennen und anzuwenden. Gerade jetzt kommt dem Begreifen des Systemcharakters der Gesellschaftsformation große Bedeutung zu.
Immer enger wird der Zusammenhang der Ökonomie mit der Politik und mit der gesamten Sphäre des geistigen Lebens und der ideologischen Beziehungen der Gesellschaft. Die Gesellschaftsformation zeigt sich immer zwingender als ein System von Elementen und Untersystemen, die miteinander durch funktionale und andersgeartete Abhängigkeiten eng verknüpft sind.
Welche Bedeutung hat die Marxsche Lehre von der Gesellschaftsformation für die Vollendung des Sozialismus?
Marx entdeckte die Gesellschaftsformation als einheitlichen sozialen Organismus, in dem die Produktionsweise der materiellen Güter die bestimmende Grundlage bildet und alle Seiten der gesellschaftlichen Beziehungen einbezogen sind. Das sind Erkenntnisse von aktueller Bedeutung. Nach sorgfältiger Untersuchung der neuen Prozesse in der Entwicklung der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse in der DDR haben wir, gestützt auf die marxistisch-leninistische Theorie, auf dem VII. Parteitag das strategische Ziel formuliert, das entwickelte gesellschaftliche System des Sozialismus zu gestalten und so den Sozialismus zu vollenden. Diese Zielstellung verallgemeinert die Erfahrungen, die bei der Erfüllung des vom VI. Parteitag beschlossenen Programms gesammelt wurden. Unsere Partei hat damit schöpferisch, dem Geiste des Marxismus entsprechend, die Vorstellungen vom Sozialismus als einer neuen Gesellschaftsordnung vertieft.
Was ist die wichtigste Schlußfolgerung, zu der wir in dieser Hinsicht gelangt sind? Sie besteht darin, daß der Sozialismus nicht eine kurzfristige Übergangsphase in der Entwicklung der Gesellschaft ist, sondern eine relativ selbständige sozialökonomische Formation in der historischen Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus im Weltmaßstab. Früher war es üblich, besonders ausgehend von Marx‘ Bemerkungen zum Gothaer Programm, den Sozialismus nur als Übergangsphase anzusehen, in der sich die Gesellschaft von den „Muttermalen“ des Kapitalismus freimachen und die materiellen und geistigen Voraussetzungen für die zweite Phase des Kommunismus schaffen muß. Es wurde wenig beachtet, daß der Sozialismus sich auf seiner eigenen Grundlage entwickelt. Die Bürde der kapitalistischen Vergangenheit erschwerte diese Einsicht. Deshalb wurden häufig die Kategorien der sozialistischen Ökonomik, die formal den Kategorien der kapitalistischen Ökonomik ähnlich sind (Geld, Preis, Gewinn usw.), als unvermeidliches „Übel“ betrachtet, deren Wirksamkeit überwunden werden muß. Natürlich umfaßt der Aufbau des Sozialismus den Kampf gegen die Überreste des Kapitalismus, ist er verbunden mit der Überwindung der materiellen und geistigen Folgen des Kapitalismus. Doch diese Prozesse sehen wir unter dem positiven Blickwinkel des Wichtigsten, des Wesentlichen und Bestimmenden für die neue Gesellschaftsordnung: Der Sozialismus wird im Arbeiter-und-Bauern-Staat auf der Grundlage eines qualitativ neuen Typus der Produktionsverhältnisse errichtet.
Der VI. Parteitag unserer Partei stellte fest, daß die sozialistischen Produktionsverhältnisse in der DDR gesiegt haben. Wir betrachteten diesen Sieg nicht als Abschluß des sozialistischen Aufbaus, sondern als eine wichtige Etappe beim Aufbau der sozialisti schen Gesellschaft. Mit dem Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse beginnen alle Elemente des gesellschaftlichen Systems des Sozialismus, darunter auch die Produktionsverhältnisse selbst, sich auf der eigenen Grundlage des Sozialismus zu entwickeln. So bildet sich im Ergebnis des revolutionären Kampfes der Arbeiterklasse, im Ergebnis der durch unsere Partei geleiteten bewußten Ausnutzung der Entwicklungsgesetze eine im Vergleich zum Kapitalismus qualitativ neue Gesellschaftsformation, der Sozialismus, heraus.
Die Gesetzmäßigkeiten und Kategorien der sozialistischen Gesellschaftsformation, darunter Warenproduktion, Wertgesetz, Preis und Gewinn, wirken auf ihrer eigenen sozialökonomischen Grundlage. Diese Kategorien existieren auch im Sozialismus objektiv, weil sie zutiefst in den gegenwärtigen konkreten Bedingungen des Wechselverhältnisses von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen verwurzelt sind. Deshalb besteht die Aufgabe der wissenschaftlichen Führungstätigkeit beim Aufbau der sozialistischen Gesellschaftsformation nicht darin, diese Kategorien zu überwinden, sondern darin, sie im Interesse der Werktätigen vollständig auszunutzen.
Wenn wir den geschichtlichen Prozeß von der Entstehung der Elemente des Sozialismus in der antifaschistisch-demokratischen Ordnung bis zur Gegenwart betrachten, so zeichnen sich zwei Phasen der Entwicklung ab. In der ersten Phase wurden die Grundlagen des Sozialismus geschaffen durch den schrittweisen Übergang der Produktionsmittel in die Hände des Volkes, durch die Organisierung der Planwirtschaft, durch die allmähliche Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, der Handwerkerproduktionsgenossenschaften und der Betriebe mit staatlicher Beteiligung, der sozialistischen Formen des Handels sowie durch wichtige Bildungsreformen. Diese Phase endete mit dem Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse, mit dem das System der ökonomischen Gesetze des Sozialismus voll wirksam wurde.
In der zweiten Phase geht es darum, das entwickelte gesellschaftliche System des Sozialismus zu gestalten, dessen Kernstück das ökonomische System des Sozialismus ist und zu dem auch das sozialistische Bildungssystem gehört.
Vielleicht wird die Frage gestellt, wie wir das Verhältnis von sozialistischer zur kommunistischen Gesellschaftsformation sehen.
Beide Gesellschaftsformationen beruhen auf dem gesellschaftlichen Eigentum an den Produktionsmitteln. Der Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus wird auch bei uns und in den anderen sozialistischen Ländern allmählich in dem Maße erfolgen, wie die Voraussetzungen und die Keime der höheren Gesellschaftsordnung, vor allem das Niveau der Produktivkräfte, reifen. Der Sozialismus ist in dieser Beziehung die vorbereitende Gesellschaftsformation für den Kommunismus. Er muß vor allem in einem erbitterten Klassenkampf gegen die ökonomische Gesellschaftsformation des Kapitalismus seine Überlegenheit beweisen. Dieser Kampf zeigt sich in den unterschiedlichsten Formen, vom ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Wettbewerb, ideologischen und politischen Kampf, diplomatischen Auseinandersetzungen bis zu militärischen Zusammenstößen, wie das in Vietnam der Fall ist.
Der Sozialismus kann in diesem vielfältigen und offensichtlich nicht kurzfristigen Kampf als höhere Gesellschaftsordnung nur dann siegen, wenn er alle Seiten, alle Elemente des neuen gesellschaftlichen Systems in ihrer harmonischen Einheit entwickelt und zu einer unwiderstehlichen Anziehungskraft für die Werktätigen aller Länder wird, sowohl in materieller als auch in geistiger Hinsicht. Auch deshalb kann unter den entstandenen historischen Bedingungen der Sozialismus keine kurzfristige Übergangsphase in der Entwicklung der Gesellschaft sein. Vielmehr werden wir einen bestimmten historischen Zeitabschnitt für die Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus in der DDR brauchen. In diesem Lichte stellt sich der Sozialismus immer mehr als ein sich ständig entwickelndes, äußerst dynamisches System vielfältiger, reicher gesellschaftlicher Beziehungen dar.
Über das Ziel der sozialistischen Produktion
Ich möchte in diesem Zusammenhang einige Bemerkungen darüber machen, nach welchem Maßstab wir die Effektivität der volkswirtschaftlichen Entwicklung beurteilen.
Marx wies nach, daß das Ziel der kapitalistischen Produktionsweise die maximale Verwertung des vorgeschossenen Kapitals ist. Der Grad der Kapitalverwertung findet daher in der Profitrate seinen Ausdruck. Entsprechend diesem Ziel der kapitalistischen Gesellschaftsformation werden alle gesellschaftlichen Beziehungen durch die Ausbeutung geprägt. Für die herrschende Klasse ist der Mensch nur dann von Bedeutung, wenn er der Profitproduktion dient. Eine wesentliche Aufgabe, die im Prozeß der Ausarbeitung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus – des ökonomischen Systems im besonderen – gelöst werden mußte, ist die Bestimmung der wirtschaftlichen Zielfunktion dieses Systems, des zusammenfassenden Nutzenskriteriums, in dem alle Faktoren des ökonomischen Wachstums ihren Niederschlag finden. Die Lösung dieser Aufgabe wurde theoretisch wie praktisch um so dringlicher, als im Prozeß der wissenschaftlich-technischen Revolution die Vielfalt der Faktoren des ökonomischen Nutzeffektes, die Komplexität und Dynamik ihres Wirkens außerordentlich schnell zunehmen.
Das Ziel der sozialistischen Produktion ist die ständig bessere Befriedigung der materiellen und geistigen Bedürfnisse der Mitglieder der Gesellschaft, die Entfaltung der sozialistischen gesellschaftlichen Beziehungen und der Persönlichkeit der Menschen, ihrer schöpferischen Fähigkeiten und die Stärkung ihrer politischen Organisation, des Staates und der Gesellschaft.
Im Sozialismus gehört das gesamte Produkt der Gesellschaft, den Werktätigen. Es existiert kein antagonistischer Gegensatz zwischen Mehrprodukt und notwendigem Produkt, der im Kapitalismus Ausdruck des Klassengegensatzes zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse ist. Im ökonomischen System des Sozialismus wird der volkswirtschaftliche Nutzeffekt der Arbeit folglich nicht nur durch das Mehrprodukt bestimmt, wie dies im Kapitalismus der Fall ist, sondern kommt am deutlichsten im gesamten neugeschaffenen Wert, d. h. im physischen Volumen des verfügbaren Nationaleinkommens zum Ausdruck. Selbstverständlich ist jedoch das Verhältnis zwischen Mehrprodukt und notwendigem Produkt für die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft von größter Bedeutung, weil es über die reale Akkumulation und Konsumtion entscheidet. Die Bedeutung der Akkumulation hob Marx im „Kapital“ mit folgenden Worten hervor:
„Die Akkumulation ist Eroberung der Welt des gesellschaftlichen Reichtums.“20
Marx machte mit seiner Arbeitswerttheorie den gesamten gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß durchschaubar, indem er das Gesetz der Ökonomie der Zeit formulierte sowie den Wert selbst auf das Quantum der verausgabten gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit zurückführte. Damit machte er den kausalen Zusammenhang zwischen dem gesellschaftlichen Fonds an Arbeitszeit und der Entwicklung des gesellschaftlichen Reichtums sichtbar und schuf so die entscheidenden Grundlagen für die exakte Planung der gesellschaftlichen Produktion, für die Beurteilung der ökonomischen Effektivität im Nationaleinkommen und die Organisation des Kampfes um die Senkung der Kosten. Das Gesamtwerk von Marx durchzieht wie ein roter Faden die Analyse und Aufdeckung derjenigen Faktoren, die die Effektivität des modernen industriellen Produktionsprozesses bestimmen. Er zeigt sowohl ihr Wesen als auch ihre ökonomischen Erscheinungsformen und ihren Zusammenhang. Es kann behauptet werden, daß letztlich die moderne Theorie der Optimierung, der Planung, der quantitativen Analyse von Aufwand und Nutzen ihre tiefere Grundlage in den Marxschen Theorien haben.
Ich sage das deshalb, um nochmals zu unterstreichen, daß die Marxschen Lehren und ihre konkrete Darlegung im „Kapital“ von nicht zu überschätzender Bedeutung für die sozialistische Wirtschaftsführung auch unter den heutigen modernen Bedingungen sind.
Deshalb gestalten wir die Wirtschaftsbedingungen der Betriebe in einer solchen Weise, daß der Gewinn ihren Beitrag zur Erhöhung des gesellschaftlichen Reichtums ausdrückt. Mit der allseitigen Orientierung des ökonomischen Systems auf den Zuwachs des Nationaleinkommens entsprechen wir der Tatsache, daß der Nutzen der gesellschaftlichen Arbeit im Sozialismus volkswirtschaftlich bestimmt ist. Jedes Mitglied unserer Gesellschaft lebt so gut und so sicher, wie sich die Volkswirtschaft stabil entwickelt, und die volkswirtschaftliche Entwicklung hängt entscheidend davon ab, welchen Beitrag jeder einzelne für das Ganze leistet.
Die Ökonomik der sozialistischen Gesellschaft ist der Kern dieses Systems, aber selbst wiederum nur ein Teil des gesamten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus. Die sozialistischen Produktionsverhältnisse werden durch die Tätigkeit der Menschen realisiert, die Interessen, Prinzipien und Ideale haben, von denen sie sich bei ihren Handlungen leiten lassen. Die materiellen Produktionsverhältnisse sind, wie Marx zeigte, untrennbar mit den ideologischen, gesellschaftlichen Beziehungen, mit der Sphäre der Politik und des Staates, des Rechts und der Moral verflochten.
Die Hauptrichtung der Tätigkeit der Partei bei der Entwicklung des gesamten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus wird durch die Aufgabe bestimmt, eine reale sozialistische Demokratie zu entwickeln und die Aktivität der Werktätigen voll zu entfalten. Diesem Ziel dienen die Vervollkommnung des Systems der staatlichen Leitung der Wirtschaft, die Ausarbeitung des sozialistischen Rechts und der Prinzipien der sozialistischen Moral, die politische, ideologische, weltanschauliche Erziehungsarbeit unserer Partei.
Durch die Entwicklung dieses Systems der Beziehungen wird eine wahre Menschengemeinschaft gestaltet, in der jede Persönlichkeit zum Subjekt des gesellschaftlichen Prozesses erhoben wird. Der Mensch ist, wie Marx zeigte, ein gesellschaftliches Wesen, und die Entwicklung der allseitigen sozialistischen Persönlichkeit erfordert die Entwicklung des gesamten Reichtums der gesellschaftlichen Beziehungen des Sozialismus. Die allseitige Entwicklung des Menschen steht also im Mittelpunkt unserer Politik. Im Sozialismus erhöht sich die gemeinsame Verantwortung der Menschen gegenüber der Gesellschaft und füreinander. Die fortgeschrittenen Werktätigen gehen an die Lösung ihrer Probleme vom Standpunkt der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung heran. Wir lassen uns davon leiten, daß die Teilnahme der Werktätigen an der Leitung des Staates und der Wirtschaft, ihre Möglichkeit und Fähigkeit mitzuplanen, mitzuregieren und mitzuarbeiten, für die innere Festigkeit der neuen gesellschaftlichen Ordnung entscheidend ist.
Die Haltlosigkeit der bürgerlichen Entfremdungstheorie im Sozialismus
Die Wirklichkeit des Lebens in der sozialistischen Gesellschaft bestätigt die Haltlosigkeit der bürgerlichen Behauptung von der Entfremdung im Sozialismus, die sich leider auch in den Auffassungen einiger sozialistischer Theoretiker widerspiegelt. Marx analysierte gerade im „Kapital“ den historischen, vergänglichen Charakter der Entfremdung, deren soziale Basis mit der Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln vergeht.
Die ökonomische Entfremdung der kapitalistischen Warenproduktion beschreibt Marx mit folgenden Worten:
„Der Arbeiter wird um so ärmer, je mehr Reichtum er produziert, je mehr seine Produktion an Macht und Umfang zunimmt. Der Arbeiter wird eine um so wohlfeilere Ware, je mehr Waren er schafft. Mit der Verwertung der Sachenwelt nimmt die Entwertung der Menschenwelt in direktem Verhältnis zu. Die Arbeit produziert nicht nur Waren; sie produziert sich selbst und den Arbeiter als eine Ware … Der Gegenstand, den die Arbeit produziert, ihr Produkt, tritt ihr als ein fremdes Wesen, als eine von dem Produzenten unabhängige Macht gegenüber … Diese Verwirklichung der Arbeit erscheint… als Verlust und Knechtschaft des Gegenstandes, die Aneignung als Entfremdung, als Entäußerung … Die Aneignung des Gegenstandes erscheint so sehr als Entfremdung, daß, je mehr Gegenstände der Arbeiter produziert, er um so weniger besitzen kann und um so mehr unter die Herrschaft seines Produkts, des Kapitals, gerät.“21
Die ökonomische Entfremdung, verwurzelt durch das Privateigentum an den Produktionsmitteln, ist Grundlage der anderen Formen der Entfremdung. Sie ist Grundlage der politischen Entfremdung, die in tiefem Gegensatz zwischen den Interessen des Volkes, der Arbeiterklasse und denen des kapitalistischen Staates, in tiefem, unversöhnlichem Gegensatz der persönlichen Interessen der Ausgebeuteten und der Interessen der kapitalistischen Gesellschaft zum Ausdruck kommt. Sie ist Grundlage der ideologischen Entfremdung, die in der geistigen Niederhaltung des Volkes durch die herrschende Klasse in den verschiedensten Formen zum Ausdruck kommt. In zugespitzter Form tritt sie uns heute in der imperialistischen Manipulierung des Volkes entgegen. Der Klassenkampf der Arbeiterklasse richtet sich daher auch ganz entschieden gegen alle Formen der Entfremdung.
Die Beseitigung des Privateigentums und der Unterdrückung des Volkes führt zur Beseitigung der Entfremdung. Natürlich geschieht das nicht im Selbstlauf, automatisch, sondern nur durch die zielstrebige Entwicklung der Initiative der Werktätigen durch die Partei im Prozeß des sozialistischen Aufbaus, durch die Entwicklung der sozialistischen Demokratie und Menschengemeinschaft.
Die Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus ist unsere Alternative zum staatsmonopolistischen Kapitalismus in Westdeutschland. Im staatsmonopolistischen Kapitalismus werden die Erkenntnisse des Systemcharakters der Gesellschaft und die Systembeziehungen für die Aufrechterhaltung der Klassenherrschaft ausgenutzt. Auch die neuen wissenschaftlichen Mittel, die Anwendung der Mathematik und Kybernetik können den dem Kapitalismus innewohnenden Antagonismus von Mensch und Technik nicht beseitigen, denn sie negieren das Wichtigste, die notwendige Veränderung der Produktionsverhältnisse. In den Händen der Monopole dienen die neuen wissenschaftlichen Entdeckungen lediglich zur Perfektionierung der Technik der Klassenherrschaft. Jedoch dürfen wir die Wirksamkeit der Versuche des westdeutschen Monopolkapitals, mit dem Systemcharakter, mit der Komplexität der Gesellschaft fertig zu werden, nicht unterschätzen.
Die Imperialisten sind entschlossen, das gesamte gesellschaftliche System mittels der „Formierung“ aller seiner Elemente, aller Gebiete der sozialen Tätigkeit und aller gesellschaftlichen Klassen und Schichten zu einer Art des „Superbetriebes“ zu verwandeln, in dem ungeteilt der Wille und die Ordnung herrschen müssen, die die Interessen der Monopole vorschreiben. Dazu dient auch das umfangreiche System der geistigen Manipulierung der Menschen.
Zur Beseitigung des Antagonismus von Mensch und Technik muß man die Klassenherrschaft der Monopolbourgeoisie liquidieren. Anders kann dem Systemcharakter der modernen Gesellschaft, in der das Entwicklungsniveau der Produktivkräfte mit den Produktionsverhältnissen übereinstimmt, nicht entsprochen werden.
Worum geht es bei der Gestaltung des ökonomischen Systems des Sozialismus?
Unsere Partei läßt sich in ihrem Programm von den Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung, insbesondere von den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten, leiten. Auf dem VII. Parteitag haben wir in konsequenter Fortsetzung dieser Politik beschlossen, das ökonomische System des Sozialismus als Kernstück des entwickelten gesellschaftlichen Systems auszubauen. Damit tragen wir auch den Erfordernissen der wissenschaftlich-technischen Revolution Rechnung. Die wissenschaftlich-technische Revolution ist eine spezifische und heutzutage entscheidende Entwicklungsform der modernen Produktivkräfte. Ohne die Meisterung der wissenschaftlich-technischen Revolution können wir den heute notwendigen Zuwachs der Produktivität nicht gewährleisten und die Auseinandersetzung mit dem westdeutschen Imperialismus nicht erfolgreich führen. Deshalb ist die Vollendung des sozialistischen Aufbaus nicht zu trennen von der Meisterung der wissenschaftlich-technischen Revolution. Die Beherrschung der wissenschaftlich-technischen Revolution ist mit der Beherrschung der hohen und ständig wachsenden Komplexität der gesellschaftlichen Prozesse verbunden. Das ökonomische System entspricht dem Charakter der modernen Produktivkräfte, der Dynamik der wissenschaftlichtechnischen Revolution und den sozialistischen Produktionsverhältnissen.
Im ökonomischen System verbinden sich vor allem
- die Übereinstimmung der gesellschaftlichen, kollektiven und persönlichen materiellen Interessen der sozialistischen Produzenten;
- ein modernes System der Planung und Leitung;
- die Wissenschaft als unmittelbare Produktivkraft;
- der wissenschaftlich-technische Höchststand entscheidender Erzeugnisse, der Technologie und Produktionsorganisation;
- die hocheffektive Struktur der Volkswirtschaft;
- die sozialistische Qualität des ökonomischen Denkens, sozialistische Demokratie in der Wirtschaft, Schöpfertum und Initiative der Werktätigen im Arbeitsprozeß;
- die sozialistische Gemeinschaftsarbeit und der sozialistische Wettbewerb;
- die volkswirtschaftliche Effektivität der Außenwirtschaftsbeziehungen;
- die sozialistischen Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen.
Diese Elemente stehen nicht nebeneinander, sie bilden als Ganzes, eng miteinander verflochten, das ökonomische System des Sozialismus. Werden Widersprüche zwischen den Elementen zugelassen, so entstehen ökonomische! Reibungsverluste, und die Wirksamkeit des Gesamtsystems wird herabgesetzt. Richtig vereinigt, vervielfachen die Elemente ihre Wirkung, und das Gesamtsystem erlangt eine höhere Qualität. Deshalb sind die Qualifizierung und höhere Wirksamkeit der Planung und der Organisiertheit des ökonomischen Systems untrennbar verbunden mit der umfassenden Entfaltung der sozialistischen Demokratie, der Gemeinschaftsarbeit und mit der allseitigen praktischen Anwendung der materiellen und ideellen Interessiertheit. Die Gestaltung des ökonomischen Systems geht einher mit der ständigen Entwicklung des Bewußtseins der Werktätigen. Das ökonomische System des Sozialismus entsteht mit der schrittweisen und zugleich komplexen Verwirklichung der Maßnahmen des neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung.
Die Dialektik von zentraler Leitung und schöpferischer Initiative – ein Kardinalproblem des ökonomischen Systems des Sozialismus
Das ökonomische System des Sozialismus beruht auf einem entscheidenden Grundgedanken, den ich auf dem VII. Parteitag hervorgehoben habe:
„Die zentrale staatliche Planung und Leitung der Grundfragen des gesellschaftlichen Gesamtprozesses nämlich ist organisch zu verbinden mit der eigenverantwortlichen Planungs- und Leitungstätigkeit der sozialistischen Warenproduzenten einerseits und mit der eigenverantwortlichen Regelung des gesellschaftlichen Lebens im Territorium durch die örtlichen Organe der Staatsmacht andererseits.“22
Die Rationalität der volkswirtschaftlichen Produktionsorganisation beruht auf der Einheit des sozialistischen Eigentums an den Produktionsmitteln, der dadurch bedingten gesamtgesellschaftlichen Planung und Leitung bei gleichzeitiger ökonomischer Selbständigkeit der Betriebe. Aus den sozialistischen Produktionsverhältnissen selbst ergibt sich die Notwendigkeit des in der Grundrichtung einheitlichen Handelns der Menschen im Reproduktionsprozeß. Durch die zentrale Steuerung der Entwicklung in den Grundfragen werden sowohl die Bedürfnisse der Volkswirtschaft insgesamt als auch die Spezifik der Teil- und Einzelprozesse der Reproduktion konsequent berücksichtigt. Das ist möglich, weil auf der Grundlage des sozialistischen Eigentums an den Produktionsmitteln keine antagonistischen Widersprüche zwischen betrieblichen, zweiglichen, örtlichen und volkswirtschaftlichen Interessen bestehen. Dennoch lehren uns die Erfahrungen des sozialistischen Aufbaus, daß zwischen den Teilsystemen der Volkswirtschaft und innerhalb dieser Systeme infolge der Entwicklungsdynamik immer wieder neue Widersprüche auftreten, die wir lösen müssen. Die Kunst der Führung besteht darin, diese Widersprüche bereits in ihrem Keim zu erfassen und durch ihre Lösung die Entwicklung voranzutreiben.
Aus der Notwendigkeit, die höchste Effektivität des gesellschaftlichen Gesamtprozesses zu erreichen, entstehen neue Anforderungen an die wissenschaftliche Führungstätigkeit auf allen Volkswirtschaftsebenen.
In der eigenverantwortlichen Planung und Wirtschaftsführung der sozialistischen Warenproduzenten auf der Grundlage des Volkswirtschaftsplanes und der wirtschaftlichen Rechnungsführung sehen wir einen wesensbestimmenden Grundzug der sozialistischen Planwirtschaft. Entsprechend dem objektiven Systemaufbau des Reproduktionsprozesses haben wir dem Betrieb die Verantwortung für den betrieblichen Reproduktionsprozeß, der VVB für die zweiglichen Reproduktionsbeziehungen, den örtlichen Organen für territorialbedingte Reproduktionsbeziehungen und dem Ministerrat für den Gesamtprozeß übertragen. Die Verflechtung der Lebenssphäre der Einwohner eines Gebietes (Bezirk, Kreis) mit dem volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozeß ist Ausgangspunkt der Eigenverantwortung der örtlichen Organe und ihres Verhältnisses zur zentralen Planung und Leitung.
Indem wir die staatliche Leitung der Grundfragen des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses mit der eigenverantwortlichen Wirtschaftstätigkeit in den Betrieben und Territorien organisch verbinden, halten wir konsequent am demokratischen Zentralismus fest. Die Klassiker des Marxismus-Leninismus haben wiederholt darauf hingewiesen, daß das Prinzip des demokratischen Zentralismus ein grundlegendes Entwicklungs- und Organisationsprinzip der sozialistischen Gesellschaft ist. Seine konkreten Formen sind stets in Übereinstimmung mit dem erreichten Stand der gesellschaftlichen Entwicklung, der Ökonomik und des Bewußtseins zu bringen. Dabei lassen wir uns vor allem von Lenin leiten, der schrieb:
„Nichts ist irriger als die Verwechslung des demokratischen Zentralismus mit Bürokratismus und Schablonisierung … gleichzeitig aber setzt der Zentralismus, in wirklich demokratischem Sinne verstanden, die zum erstenmal von der Geschichte geschaffene Möglichkeit völliger und unbehinderter Entwicklung nicht nur der örtlichen Besonderheiten, sondern auch der örtlichen Initiative, der Mannigfaltigkeit der Wege, Methoden und Mittel des Vormarschs zum gemeinsamen Ziel voraus.“23
Die Werktätigen beteiligen sich immer wirkungsvoller an der Planung und Leitung von Staat und Wirtschaft. Durch die Bildung der gesellschaftlichen Räte in den VVB und der Produktionskomitees in den Betrieben wurden neue Möglichkeiten und Organisationsformen geschaffen, das Wissen und Können der Werktätigen unmittelbar in den Prozeß der Planung und Leitung einfließen zu lassen.
Durch die Entfaltung der dialektischen Einheit von Demokratie und Zentralismus erzielen wir eine maximale Effektivität unserer gesamten gesellschaftlichen Tätigkeit.
Die sich objektiv vollziehende wissenschaftlich-technische Revolution verlangt heute stärker denn je die Weiterentwicklung der ökonomischen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und mit den anderen sozialistischen Staaten.
Das Wachstum der Produktivkräfte in den sozialistischen Ländern verstärkt die Tendenz zur Internationalisierung des Wirtschaftslebens und verlangt gleichzeitig die bewußte Ausnutzung und Vervollkommnung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen in der sozialistischen Völkergemeinschaft. In diesem Zusammenhang messen wir dem raschen Ausbau der planmäßigen industriellen Kooperation zwischen Betrieben und Vereinigungen der DDR und der Sowjetunion große Bedeutung zu.
Die äußeren Wirtschaftsbeziehungen, die bereits Karl Marx als einen wichtigen Bestandteil des erweiterten Reproduktionsprozesses und als eine eigenständige Produktivkraft erkannte, sind unter den gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungsbedingungen des sozialistischen Weltsystems von ständig wachsender Bedeutung für die Kontinuität, das Tempo und die Qualität des weiteren wirtschaftlichen Aufstiegs.
Kooperation – Hauptkettenglied der sozialistischen Konzentration und Spezialisierung
Genossen! Das schnelle und langfristig stabile Wachstum der sozialistischen Ökonomik erfordert die gesellschaftliche Organisation der Arbeit auf immer höherer Stufenleiter. Im Prozeß der wissenschaftlich-technischen Revolution vertieft sich die gesellschaftliche Arbeitsteilung sehr schnell. Deshalb gilt es, Wege zu finden, um entsprechend der komplexen Verflechtung der Produktionsprozesse in der sozialistischen Volkswirtschaft den gesellschaftlichen Gesamtarbeitsaufwand zur Herstellung wichtiger Erzeugnisse im gesamten Produktionssystem zu senken und den wissenschaftlich-technischen Höchststand zu jeder Zeit mitzubestimmen.
Der Weg, um die Konzentration und Spezialisierung in der sozialistischen Gesellschaft durchzuführen, führt über die sozialistische Kooperation. Marx wies nach, daß die Organisation der gesellschaftlichen Arbeit zur gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit oder Produktivkraft gesellschaftlicher Arbeit wird. Sie entspringt aus der Kooperation selbst.24 Diese Kooperation voll wirksam zu machen, ist eine erstrangige Aufgabe bei der Gestaltung des ökonomischen Systems des Sozialismus als Ganzes. In der klugen und planmäßig organisierten Kooperation der warenproduzierenden Einheiten, d. h. der Betriebe, Handelsunternehmen, landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften usw., kommen in entscheidendem Maße die sozialistischen Produktionsverhältnisse in ihrer ganzen Überlegenheit gegenüber dem Kapitalismus zur Wirkung.
Dabei ist die Kooperation nicht eine Sache, die administrativ angeordnet werden kann. Sie beruht vielmehr auf der zunehmenden Eigenverantwortung der sozialistischen Warenproduzenten für alle Phasen des Reproduktionsprozesses und auf der höheren Qualität der volkswirtschaftlichen Planung. Es ist deshalb auch völlig logisch, daß die Entwicklung der auf echten ökonomischen Beziehungen beruhenden Formen der Kooperation in der sozialistischen Industrie auf die Tagesordnung rückte, nachdem die Prinzipien der Eigenverantwortung der Betriebe und ihrer ökonomischen Regulierung im Zusammenhang mit der Eigenerwirtschaftung der Mittel ausgearbeitet worden sind. In diesem ganzen Prozeß bringt die Kooperation selbst neue Entwicklungsformen der sozialistischen Produktionsverhältnisse hervor.
Ich möchte die Probleme der sozialistischen Kooperation am Beispiel der Landwirtschaft näher erläutern.
In Gestalt vielfältig organisierter Kooperationsbeziehungen fanden unsere Genossenschaftsbauern den Weg, auf sozialistische Art diese Massenkraft nicht nur in der Landwirtschaft, sondern darüber hinaus im gesamten Bereich der Nahrungsgüterwirtschaft voll auszuschöpfen. Die Entwicklung von Kooperationsbeziehungen bringt sowohl den Genossenschaftsbauern wie der Gesellschaft wirtschaftlichen Vorteil. Die Kooperationsbeziehungen reichen von einfachen Formen der gegenseitigen Zusammenarbeit der Genossenschaften bis zu vielseitig verbundenen, einheitlich und demokratisch geleiteten Kooperationsgemeinschaften und -verbänden. Sie sind die folgerichtige und logische Fortsetzung des sozialistischen Umgestaltungsprozesses in der Landwirtschaft der DDR.
Die Kooperationsbeziehungen bilden eine neue Qualität gesellschaftlicher Beziehungen zwischen sozialistischen Produzentenkollektiven. Unter unseren Bedingungen sind sie die Hauptform der bewußten und planmäßigen Zusammenarbeit der Betriebe in der Landwirtschaft. Bei strikter Wahrung der Prinzipien der Freiwilligkeit, der Gleichberechtigung und der Beibehaltung der juristischen Selbständigkeit der beteiligten landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften werden sie von den Genossenschaftsbauern selbst organisiert und gestaltet.
Unser Bemühen ist stets darauf gerichtet, jegliche Form des Schematismus, zum Beispiel Vorgabe bestimmter Größenordnungen, von vornherein zu unterbinden. Die Bauern entscheiden selbst, mit wem, zu welchem Zweck und auf welche Art ihre landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft mit anderen kooperative Beziehungen aufnimmt. Die Kooperationsbeziehungen sind in der gegenwärtigen Entwicklungsphase das Hauptkettenglied, mit dessen Hilfe wir die erforderliche Konzentration der landwirtschaftlichen Produktion und die Spezialisierung der sozialistischen Landwirtschaftsbetriebe erreichen wollen. Gleichzeitig ermöglicht die Kooperation auch die effektivste produktionsmäßige Verflechtung der Betriebe der Landwirtschaft mit denen der Nahrungsmittelindustrie. Erste Schritte in Richtung erzeugnisorientierter Kooperationsketten, die alle Stufen der Produktion und Zirkulation auf der Basis direkter Beziehungen und exakter Verträge vereinen, lassen bereits im jetzigen Stadium erkennen, daß die entwickelten Formen der Kooperation eine ausgezeichnete Grundlage für den Übergang zu industriemäßigen Leitungsmethoden und zur rationellsten Organisation der gesamten Nahrungs güterwirtschaft bilden. Deshalb sind diese kooperativen Beziehungen nicht nur für die ökonomische, sondern für alle Seiten der gesellschaftlichen Entwicklung auf dem Lande und für die Verbindung von Industrie und Landwirtschaft von erstrangiger Bedeutung. Indem die Kooperationsbeziehungen das Denken und Handeln der Genossenschaftsbauern über den Rahmen ihres Betriebes hinaus auf ein bewußtes Miteinanderarbeiten für ein gemeinsames Ziel orientieren und das volkswirtschaftliche Denken stimulieren, üben sie gleichzeitig wichtige ideologische, bewußtseinsbildende Funktionen aus.
Unsere Erfahrungen zeigen eindeutig, daß die verschiedenen Formen bzw. Stufen des sozialistischen Eigentums kein Hindernis für eine kooperative Zusammenarbeit der Betriebe in der Landwirtschaft und darüber hinaus im gesamten Bereich der Nahrungsgüterwirtschaft sind. Kooperationsbedingungen führen vielmehr dazu, daß der sozialistische Produktions- und Aneignungsprozeß die Grenzen der einzelnen genossenschaftlichen Betriebe überschreitet und die Vergesellschaftung des sozialistisch-genossenschaftlichen Eigentums ein weit höheres Niveau erreicht, als dies für das Eigentum einzeln produzierender Genossenschaften möglich ist. Dieses höhere Niveau ergibt sich nicht nur aus der Existenz gemeinsamen Eigentums der Partner der Kooperationsgemeinschaften, sondern auch daraus, daß das jeweilige Gruppeneigentum einzelner LPG in immer stärkerem Maße im stetigen engen Zusammenwirken mit dem Eigentum anderer LPG-Kollektive und mit dem Volkseigentum realisiert wird.
Im Zuge der wachsenden Verflechtung der Landwirtschaft mit den anderen Bereichen der Volkswirtschaft kommt es zur unmittelbaren Verzahnung zwischen genossenschaftlichem Eigentum und Volkseigentum, das bis zur festen Konstituierung neuer Formen sozialistischen Eigentums, z. B. gemeinsamen Eigentums (Volks- und Genossenschaftseigentum), führt. Damit wird zugleich eine wichtige sozialökonomische Grundlage für die weitere Annäherung der Arbeiterklasse und der Klasse der Genossenschaftsbauern geschaffen und das Bündnis zwischen ihnen auf einer höheren Stufe weiterentwickelt.
*
Genossen, ich komme zum Schluß!
Welche Schlußfolgerungen ergeben sich, wenn die Erkenntnisse aus Karl Marx‘ „Kapital“ auf die Analyse der gesellschaftlichen Entwicklung in beiden deutschen Staaten angewandt werden?
Es ist offenkundig, daß im sozialistischen deutschen Staat, der DDR, die Ursachen der Krisen beseitigt sind, das arbeitende Volk sein Schicksal in die eigenen Hände genommen hat und Schritt für Schritt die Probleme des Aufbaus des Sozialismus und die Gestaltung der sozialistischen Menschengemeinschaft meistert.
Im westdeutschen Staat hingegen verschärfen sich die antagonistischen Widersprüche im Kapitalismus. Die Herrschaft der großen Monopole und des Militarismus ist das Hindernis einer fortschrittlichen Entwicklung auf allen Gebieten. Die formierte Herrschaft des staatsmonopolistischen Kapitalismus konnte wohl die Arbeiterklasse und die demokratischen Kräfte spalten, ist jedoch nicht in der Lage, eine Lösung der Lebensfragen des Volkes zu finden.
Es gibt auch keine Losung der deutschen Frage, solange in Westdeutschland das Monopolkapital und der Militarismus herrschen. Durch die einseitige Bindung Westdeutschlands an den USA-Imperialismus mit Hilfe der Pariser Verträge und des NATO-Vertrages ist die Lösung der deutschen Frage blockiert; denn der Hauptinhalt des Pariser Vertrages ist die Bestimmung, daß die westdeutsche Bundesrepublik in das imperialistische Paktsystem der USA integriert ist und die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands mit der Eingliederung ganz Deutschlands in die NATO verbunden sein soll. Das widerspricht den nationalen Interessen des Volkes beider deutscher Staaten. Die Erfahrungen der zwei Weltkriege, die von deutschem Boden ausgingen, machen offenkundig, daß ein einiges Deutschland nur als ein Staat zustande kommen und bestehen kann, der sich durch friedliche wissenschaftliche Leistungen und durch Qualitätsarbeit der Werktätigen auszeichnet, durch freundschaftliche Beziehungen zu allen Völkern, durch eine antiimperialistische Politik und Nichtbeteiligung an Militärblocks. Eine solche Politik muß durch die demokratische Herrschaft des Volkes und die Überwindung der Diktatur der Monopole und der Militärkaste garantiert werden.
Der Ausgangspunkt für eine Einigung zwischen den beiden deutschen Staaten ist die friedliche Koexistenz auf der Grundlage der Anerkennung der Realitäten, Verzicht Westdeutschlands auf die Alleinvertretungsanmaßung, Vereinbarung zwischen beiden deutschen Staaten über Gewaltverzicht, die Herstellung gleichberechtigter normaler Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten, der Verzicht auf diskriminierende Maßnahmen, die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen deutschen Staates, Anerkennung der bestehenden Grenzen, Vereinbarungen über Verzicht auf Kernwaffenrüstung und über Abrüstung, gleichberechtigte Teilnahme an der Herbeiführung der europäischen Sicherheit.
Jeder Arbeiter Und jede Arbeiterorganisation sollte sich anläßlich des 100. Jahrestages der Herausgabe des „Kapitals“ die Frage nach der Rolle der von Marx begründeten Weltanschauung des Proletariats beantworten.
Es gibt in der Geschichte der Menschheit kein« Theorie, keine Weltanschauung, keine Ideologie, die eine mit dem Marxismus vergleichbare Kraft besäße. Karl Marx‘ Theorie ist im buchstäblichen Sinne des Wortes zur materiellen Gewalt geworden, weil die Massen von ihr Besitz ergriffen haben. Deshalb geht es heute gar nicht mehr darum, zu beweisen, daß Karl Marx recht hat. Das Leben selbst hat Lenins kraftvolle Worte bestätigt, daß der Marxismus allmächtig ist, weil er wahr ist. Die Richtigkeit und Wahrhaftigkeit, die Kraft und Siegesgewißheit des Marxismus-Leninismus veranlassen heute Hunderte Millionen von Werktätigen in aller Welt, im Klassenkampf wie in rastloser Arbeit die von Karl Marx entdeckten Gesetze der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung zu vollziehen, um auf diese Weise die Gesellschaft nach ihren Erfordernissen und Bedürfnissen zu gestalten.
Unabhängig von dem, was in Westdeutschland geschieht, gehen die Arbeiterklasse und das Volk der DDR unbeirrt den Weg des gesellschaftlichen Fortschritts, den Weg des Aufbaus des entwickelten Systems des Sozialismus und des brüderlichen Bündnisses mit der UdSSR und den anderen sozialistischen Ländern, nutzen sie die revolutionären theoretischen Erkenntnisse von Karl Marx für ihre gesellschaftliche Praxis.
Anmerkungen
1. Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 16, S. 235
2. Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 22
3. Karl Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? München (1966), S. 129/130
4. Ebenda, S. 218
5. Karl Marx / Friedrich Engels: Werke, Bd. 25, S. 828
6. Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 15/16
7. Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 31, S. 418
8. Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 12
9. Ebenda, S. 779
10. Vgl. Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 25, S. 454
11. Ebenda, S. 453
12. Vgl. W. I. Lenin: Werke, Bd. 25, S. 370
13. Industriekurier (Düsseldorf), Nr. 168 vom 5. November 1953
14. Karl Marx / Friedrich Engels: Werke, Bd. 25, S. 501
15. Otto Brenner, Referat, gehalten am 20. Mai 1967 vor Funktionären der IG Metall, Bezirk Hamburg, zitiert nach „Gewerkschaftsspiegel“, Gewerkschafts- und sozialpolitische Information und Dokumentation ([W-]Berlin), Nr. 23/1967, S. 15
16. Otto Brenner, Referat, gehalten am 20. Mai 1967 vor Funktionären der IG Metall, Bezirk Hamburg, zitiert nach „Gewerkschaftsspiegel“, Gewerkschafts- und sozialpolitische Information und Dokumentation, Nr. 23/1967, S. 23
17. Karl Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953, S. 544/545
18. W. I. Lenin: Werke, Bd. 2, S. 211
19. Karl Marx / Friedrich Engels: Werke, Bd. 19, S. 258
20. Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 619
21. Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Erg.bd., Erster Teil, S. 511/512
22. Walter Ulbricht: Die gesellschaftliche Entwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik bis zur Vollendung des Sozialismus, Berlin 1967, S. 130
23. W. I. Lenin: Werke, Bd. 27, S. 197
24. Vgl. Karl Marx / Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 349