Zum Blutbad in Halle – Wie sich die Bluttat der Schupo in Wirklichkeit abspielte
Thälmann, Ernst: Reden und Aufsätze zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. I, Berlin 1956, S. 126 – 127
1. Die Meldungen des größten Teiles der bürgerlichen und der sozialdemokratischen Presse über den Mord in Halle sind falsch und erlogen.
2. Die Polizei hat die Provokationen vorbereitet. Schon vor den Versammlungen, in denen 8000 bis 10000 Teilnehmer waren, war ein verstärktes Schupoaufgebot aufmarschiert.
3. Die Versammlungsleitung war entgegen den bürgerlichen Meldungen über das Sprechverbot für ausländische Redner von keiner polizeilichen Instanz informiert worden.
4. Der Polizeileutnant Pietzker hat auch keine Einwendungen gegen das Reden der ausländischen Genossen erhoben. Erst als ein Genosse das Wort zur Übersetzung ergriff, erschien der Leutnant mit gezogenem Revolver links im Saale und brüllte unverständliche Worte in die Versammlung.
5. Durch das plötzliche provokatorische Auftreten des Leutnants und den dadurch erzeugten Lärm war es der Versammlungsleitung und den Anwesenden unmöglich, die Worte des Leutnants verstehen zu können.
6. Trotzdem gelang es der Versammlungsleitung für kurze Momente, die Teilnehmer zu beruhigen. Der Versammlungsleiter wandte sich an den Leutnant mit dem Ersuchen, seine Wünsche mitzuteilen, was aber ohne Erfolg blieb.
7. Um die Gewähr für einen ruhigen Verlauf der Versammlung zu leisten, verzichtete der Versammlungsleiter auf weitere Übersetzung der Reden der ausländischen Genossen und erteilte dem Unterzeichneten das Wort.
8. Der Polizeileutnant verlangte trotzdem die sofortige Räumung des Saales.
9. Da bei der Überfüllung der Versammlung das Herausgehen der Massen nur langsam vor sich gehen konnte, verlangte der Offizier von der ihm unterstellten Schupo schärferes Vorgehen.
10. Unmittelbar darauf, nach wenigen Sekunden, kam der Befehl zum Feuern.
11. Blindlings wurde in die zusammengedrängte Masse mit Revolvern und Maschinenpistolen geschossen. Schon wälzten sich einige Frauen und Männer in ihrem Blute.
12. Der Teilnehmer bemächtigte sich eine unbeschreibliche Verwirrung. Darauf wurde der Feuerbefehl in kurz hintereinander folgenden Abständen noch zweimal wiederholt, wobei wiederum neue Tote und Verwundete zu verzeichnen waren.
13. Das unerhörte Vorgehen der Schupo hatte eine unbeschreibliche Panik zur Folge. Die auf den Galerien Versammelten stürmten zum Ausgang. Unter diesem Anprall brach das Geländer, was wieder neue Opfer kostete.
14. Unmittelbar nach den geschilderten Vorgängen sprach Unterzeichneter in einer der beiden Parallelversammlungen. Mitten in seiner Rede erschien der Leutnant Pietzker und forderte die sofortige Räumung auch dieses Lokals. Hier gelang es ihm nicht, ein. zweites Blutbad anzurichten.
15. Die Richtigkeit dieser meiner Angaben kann von der Masse der Versammlungsteilnehmer – mit Ausnahme der anwesenden Spitzel, die sich aus allen polizeilichen Kreisen zusammensetzten-bestätigt werden.
gez.: Ernst Thälmann
Berlin, 14. März.
Hamburger Volkszeitung vom 16. März 1925.